Aarne-Thompson-Index

Der Aarne-Thompson-Index ist ein Klassifikationssystem für Märchen und Schwänke, das in der internationalen Erzählforschung für Identifizierung von Märchentypen und -motiven eingesetzt wird, was einen Vergleich und die Aufdeckung von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Erzähltraditionen ermöglicht. Er ist benannt nach Antti Aarne (1867–1925) und Stith Thompson (1885–1976). Inhaltsverzeichnis Entstehung und Aufbau Zaubermärchen Übernatürliche Gegenspieler Übernatürliche oder verzauberte Verwandte Übernatürliche Aufgaben Übernatürliche Helfer Magische Gegenstände Übernatürliche Kraft oder Wissen Andere Geschichten vom Übernatürlichen Legendenartige Märchen Novellenartige Märchen Entstehung und Aufbau Der Finne Aarne veröffentlichte 1910 die erste Version unter dem Titel Verzeichnis der Märchentypen. Sie basiert auf finnischen Sammlungen, auf den Kinder- und Hausmärche der Brüder Grimm sowie auf der dänischen Sammlung von Svend Grundtvig. 1927 entwickelte der US-Amerikaner Thompson die erste Erweiterung dieses Systems. Eine zweite Überarbeitung veröffentlichte er 1961. Darin sind die verschiedenen Märchentypen und -motive in Gruppen gegliedert, die nach einem Zifferncode angeordnet sind. Die Bezeichnung einer Kategorie heißt dann z.B. »AaTh 310 <Kategoriename>«, wobei AaTh für Aarne und Thompson steht. Der Kategoriename ist entweder das zentrale Motiv des Märchens (wie beispielsweise die »magische Flucht« oder die »Suche nach dem verlorenen Ehemann«) oder der Name eines typischen Vertreters dieses Märchentyps (nicht immer einheitlich). Manchmal wird nach der letzten Ziffer ein Buchstabe angefügt, um noch weiter differenzieren zu können. Diese Verfahrensweise ist einer allgemeinen Eigenschaft derartiger Klassifikationssysteme geschuldet, die auch im Zusammenhang mit dem Aarne-Thompson-Index als problematisch kritisiert wurde, nämlich der, dass ihre Erweiterung nur beschränkt möglich ist. Die Hauptkritik bezieht sich jedoch auf die (durch die Entstehungsgeschichte bedingte) Fokussierung auf die europäische Erzähltradition. Auch wurde angemerkt, dass die Kategorisierung der Märchen nicht zwangsläufig ihre »Verwandtschaftsbeziehungen« widerspiegelt, denn da sich das System an Motiven orientiert, kann es einerseits vorkommen, dass zwei Märchen anhand des zur Klassifikation herangezogenen Motivs als ähnlich gelten (es aber insgesamt nicht sind); andererseits kann es sein, dass ähnliche Erzählungen in weit voneinander entfernten Kategorien des Baumes einsortiert werden. Ungeachtet dieser Einschränkungen (die in ähnlicher Form für jede historisch gewachsene Klassifikation gelten) hat sich der Aarne-Thompson-Index für die Erzählforscher als überaus nützlich erwiesen. Im Jahr 2004 wurde von dem deutschen Märchenforscher Hans-Jörg Uther eine dritte Erweiterung vorgenommen, um insbesondere die Einordnung nichteuropäischer Märchen zu ermöglichen. Als Abkürzung wird seither oft ATU (für Aaarne, Thompson, Uther) anstelle von AaTh verwendet. Die ursprüngliche, grobe Einteilung nach Aarne sieht folgendermaßen aus: Tiermärchen (Animal Tales) Zaubermärchen (Fairy Tales) Legendenartige Märchen (Religious Tales) Novellenartige Märchen (Romantic Tales) Märchen vom dummen Teufel/Riesen (Tales of the Stupid Ogre) Schwänke (Jokes and Anecdotes) Um eine Vorstellung vom feineren Aufbau des Index zu geben, seien im Folgenden die Nummern und Bezeichnungen der Kategoriegruppen für die Zaubermärchen sowie einige Beispiele für die legendenartigen und romanartigen Märchen angegeben. Dabei bedeutet kursive Schrift, dass es sich um eine Leitfassung handelt. 300 bis 749: Zaubermärchen mit den Untergruppen 300 bis 399: Übernatürliche Gegenspieler Diese Gruppe ist weiter untergliedert u.a. in ATU 306 Die tanzenden Prinzessinnen: Die zertanzten Schuhe (Grimm) ATU 310 Petersilienmädchen (Dämonin hält Mädchen gefangen): Petrosinella (Basile), Rapunzel (Grimm), Die weiße Katze (Aulnoy) ATU 311 und 312 Mädchen mordender Dämon: Der Blaubart (Perrault), Cannetella (Basile), Fitchers Vogel (Grimm), Der Räuberbräutigam (Grimm) ATU 313 magische Flucht vor der Dämonin/dem Dämon: Fundevogel (Grimm), Der Liebste Roland (Grimm), Die beiden Königskinder (Grimm), Der Floh (Basile), Der Orangenbaum und die Biene (Aulnoy), Die wahre Braut (Grimm) ATU 314 dämonischer Pate: Der Eisenhans (Grimm), Guerrino und der Waldmensch (Straparola) ATU 327 Hexe, die Kinder mästet: Hänsel und Gretel (Grimm), Nennillo und Nennella (Basile) ATU 328 Einem Dämon den Schatz rauben: Jack und die Bohnenranke (Jacobs), Corvetto (Basile) ATU 330 Der Schmied überlistet den Teufel: Bruder Lustig (Grimm), Der Schmied von Jüterbog (Bechstein) 400 bis 459: Übernatürliche oder verzauberte Verwandte Diese Gruppe ist weiter untergliedert in 400 bis 424: Verzauberte Ehefrau, darunter u.a. ATU 400 Suche nach der verschwundenen Braut: Die Rabe (Grimm), Das Soria-Moria-Schloss (Asbjörnsen/Moe) ATU 401a Befreiung der Prinzessin im verzauberten Schloss: Der König vom goldenen Berg (Grimm), Die drei Prinzessinnen aus Witenland (Asbjörnsen/Moe) ATU 405 Braut wird in einen Vogel verwandelt und gefangen gehalten: Jorinde und Joringel (Grimm) ATU 408 Mädchen wurde in eine Frucht verwandelt: Die drei Zitronen (Basile) ATU 410 Die schlafende Schöne: Dornröschen (Grimm), Die schlafende Schöne im Wald (Perrault), Sonne, Mond und Thalia (Basile) 425 bis 449: Übernatürlicher/verzauberter Ehemann, darunter u.a. ATU 425 Suche nach dem verlorenen Ehemann: Amor und Psyche (Apuleius), Das singende, springende Löweneckerchen (Grimm), Der Eisenofen (Grimm), Die goldene Wurzel (Basile), Östlich von der Sonne, westlich vom Mond (Asbjörnsen/Moe), Von dem Sommer- und Wintergarten ATU 426 Bär ist verzauberter Prinz: Schneeweißchen und Rosenrot (Grimm) ATU 430 Bräutigam in Eselgestalt: Das Eselein (Grimm) ATU 432 Bräutigam in Vogelgestalt: Der blaue Vogel (Aulnoy) ATU 433 Lindwurm (Schlange) legt Haut ab: Die Schlange (Basile) ATU 440 Frosch ist verzauberter Prinz: Froschkönig oder der eiserne Heinrich (Grimm) ATU 441 Jüngling trägt eine Stachelhaut: Hans mein Igel (Grimm), König Schwein (Straparola) ATU 442 Vogel ist verzauberter Prinz: Die Alte im Wald (Grimm) 450 bis 459: Bruder oder Schwester, darunter u.a. ATU 450 Bruder wird in ein Tier (Reh, Ziege o.Ä.) verwandelt: Brüderchen und Schwesterchen (Grimm), Aljonuschka und Iwanuschka, Nennillo und Nennella (Basile) ATU 451 Viele Brüder werden in Vögel verwandelt und von ihrer einzigen Schwester gerettet: Die sechs Schwäne (Grimm), Die sieben Raben (Grimm), Die sieben Tauben (Basile), Die wilden Schwäne (Andersen), Die zwölf Brüder (Grimm) 460 bis 499: Übernatürliche Aufgaben Beispiele aus dieser Gruppe sind ATU 461 Reicher Mann schickt Schwiegersohn ins Verderben: Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (Grimm), Der Vogel Greif (Grimm), Die sieben Tauben (Basile) ATU 475 Der Höllenheizer: Des Teufels rußiger Bruder (Grimm) ATU 480 Geschichten von artigen und unartigen Mädchen: Die drei Männlein im Walde (Grimm), Die Feen (Perrault), Der Frost (Afanassjew), Die beiden Kuchen (Basile), Frau Holle (Grimm) 500 bis 559: Übernatürliche Helfer Beispiele aus dieser Gruppe sind ATU 500 Name des Helfers muss erraten werden: Rumpelstilzchen (Grimm), Ricdin-Ricdon (Marie-Jeanne l’Heritier) ATU 503 hilfreiche Elfen: Die Geschenke des kleinen Volkes (Grimm) ATU 510A Hilfe durch die tote Mutter: Aschenputtel (Grimm), Cendrillon (Perrault), Die wahre Braut (Grimm), Die Aschenkatze (Basile) ATU 510B Vater begehrt eigene Tochter: Allerleirauh (Grimm), Eselshaut (Perrault), Aschenpüster (Bechstein), Die Bärin (Basile), Die Nymphe des Brunnens (Musäus) ATU 511 Die heimlich nährende Mutter: Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein (Grimm) ATU 513 Gefährten mit übernatürlichen Fähigkeiten: Sechse kommen durch die ganze Welt (Grimm), Der Floh (Basile), Der Dummling (Basile) ATU 516 Der versteinerte Freund: Der treue Johannes (Grimm), Der Rabe (Basile) ATU 533 Von der Nebenbuhlerin verdrängte Braut: Die Gänsemagd (Grimm), Die beiden Kuchen (Basile) ATU 545 Kater als Helfer: Der gestiefelte Kater (Grimm) ATU 550/51 Suche nach dem Wasser des Lebens oder dem Wundervogel: Der goldene Vogel (Grimm), Die Bienenkönigin (Grimm), Das Wasser des Lebens (Grimm) ATU 554 Die dankbaren Tiere: Die weiße Schlange ATU 555 Das Weib, das wie Gott werden wollte: Vom Fischer und seiner Frau, Mann und Frau im Essigkrug (Bechstein) 560 bis 649: Magische Gegenstände Hier u.a. ATU 562 Der hilfreiche Geist in der Lampe: Aladdin und die Wunderlampe, Das blaue Licht (Grimm), Das Feuerzeug (Andersen) ATU 563 Tischlein deck dich (Grimm) ATU 565 Zaubertopf bzw. Zaubermühle: Der süße Brei (Grimm) und Die Mühle auf dem Meeresgrund (Norwegen), beide ATU 565. 650 bis 699: Übernatürliche Kraft oder Wissen Zum Beispiel Die drei Sprachen (ATU 671), Simeliberg (Ali Baba und die vierzig Räuber, ATU 676), Die Nelke, Der starke Hans. 700 bis 749: Andere Geschichten vom Übernatürlichen Hier u.a. Marienkind, Das Mädchen ohne Hände, Schneewittchen. 750 bis 849: Legendenartige Märchen Hierzu gehören u.a. Märchen vom belohnenden und strafenden Gott (z.B. Der Arme und der Reiche, Der Schneider im Himmel, Die Sterntaler), von Missetaten, die irgendwann ans Licht kommen (z.B. Der singende Knochen) und vom Pakt mit dem Teufel (z.B. Der Schmied von Jüterbogk), 850 bis 999: Novellenartige Märchen Zum Beispiel König Drosselbart, Die kluge Bauerntochter, Griseldis, Die klare Sonne bringts an den Tag. Der Beitrag Aarne-Thompson-Index erschien zuerst auf Märchenatlas.

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Aktualisiert: 21.8.2024

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