Die neue schöne Arbeitswelt: Roboter übernehmen nicht

Es gäbe keine per se schlechte oder gute Technologie, schrieb der Futurologe Stanislaw Lem in Summa Technologiae, „[s]ie liefert die Mittel und Werkzeuge – das Verdienst bzw. die Schuld für ihre gute oder schlechte Verwendung liegt bei uns“. So wie diese Aussage früher auf die – friedliche und weniger friedliche – Anwendung von Atomenergie zutraf, trifft sie heute auch auf das Internet, die Vernetzung und Digitalisierung zu. Mit der Verbreitung des Internets schien vor einigen Jahren endlich das Mittel gegen die Probleme moderner Demokratien gefunden worden zu sein. Von Enthusiasten wurde es zur „Technologie der Freiheit“ (Ithiel de Sola Pool) und zum Revival der „athenischen Demokratie“ (Al Gore) erhoben. Das Internet wurde als ein politisch besonders attraktives Medium eingestuft, da es nicht nur eine Fülle von Informationen bereitstellt, sondern als Ort politischer Selbstorganisation und globaler Verständigung Bürger mit gleichlautenden Zielen miteinander verbindet und deren politische Durchsetzungskraft bündelt. Auf lange Sicht hätte das Internet sogar direkte Bürgerbeteiligung und Entscheidungen in Onlinereferenden ermöglichen und politische Vertreter sowie Intermediäre vollkommen überflüssig machen können. Mittelfristig wollte man sich damit begnügen, seine Stärken zur Verbesserung der Partizipation und politischen Kommunikation zu nutzen: die Interaktion zwischen den Bürgern verbessern, die Mitsprache bei politischen Entscheidungen und den politischen Diskurs erleichtern, den informierten Bürger herbeibeschwören. Digitale Arbeitswelten Das Internet sollte nicht nur die Demokratie revitalisieren, sondern auch Lebens- und Arbeitswelt radikal verändern: Jeder sollte von überall und zu jederzeit arbeiten können; dank Netz und Telefonkonferenz sollte es uns von den grauen Wänden der Büros und den Schreibtischen befreien. Am Strand, in der Datsche, im Aufzug oder im Supermarkt – überall hätte man arbeiten können. Die neue Arbeiterklasse: informiert, selbstbewusst, selbstbestimmt – und selbstständig. Zwar gibt es heute kaum Bürowände mehr und teilweise auch keine Bürotische, aber nur, weil sie den modernen mobilen und agilen Arbeitsplätzen gewichen sind, wie die Großraumbüros gern bezeichnet werden. Noch mehr enttäuscht dürften Frauen sein, denen man versprochen hat, dank Internet endlich mit High Heels ins Büro kommen zu können, denn sie würden dank moderner Kommunikations­technologien nicht mehr hinter dem Zug oder zum nächsten Gate rennen müssen. Doch es kam anders. Digitale Transformation revolutioniert die Arbeitswelt, gewiss. Nur ist die Richtung der Veränderung eine andere, als in den Visionen, die man vor den Menschen noch in den 90ern ausgebreitet hat. Und diese Richtung, stellen die Autoren der WISO-direkt „Machtverschiebung in der digitalen Arbeitswelt“ (11/2018) – Michael Schwemmle und Peter Wedde – fest, heißt: Entsicherung, Entkollektivierung und Entmächtigung.[1] Entsicherung Digitale Technik, schreiben Schwemmle und Wedde „und ihre Anwendung zu betriebswirtschaftlichen Rationalisierungszwecken“ würden die „Entsicherung der abhängigen Erwerbstätigkeit in zweierlei Hinsicht forcieren“. Erstens durch die Ersetzbarkeit menschlicher Arbeit durch Technik, womit zahlreiche Berufe, Kompetenzen und Fertigkeiten obsolet werden sollten. Die zweite Ursache ist die Verbreitung „plattformbasierter Geschäftsmodelle“, die „hyperflexible Arbeitskraftnutzung“ ermöglichen. Sie forcieren Arbeitsmodelle, bei denen man Arbeitskräfte „wie eine Lampe an- und ausschalten kann“, und induzieren ein deutliches Machtübergewicht der Auftraggeber bzw. Arbeitgeber gegenüber den (meist selbstständigen) Arbeitskräften. Entkollektivierung Die digitale Technik, so Schwemmle und Wedde, „trägt […] erheblich zur Erosion einer historischen Konfiguration bei, in der der Schutz des und der Einzelnen durch die Gemeinschaft erfolgte“[2]. Drei Faktoren befördern die Vereinzelung und erschweren die Solidarisierungsprozesse: Entkopplung von einem festen Arbeitsplatz, die bewirkt, dass sich der Arbeit- bzw. Auftraggeber nur „räumlich versprengten“ Einzelkämpfern gegenübersieht, „ohne schlagkräftige Interessenvertretung“. Differenzierung bei der Bewertung, Kontrolle und Leistungsbemessung der „arbeitenden Individuen“, die dank Verfügbarkeit immer mehrere Daten über ihre Arbeit möglich ist, „erschwert die Prozesse der Solidarisierung, die in der Regel ein mehr oder minder ausgeprägtes Gleichheitsempfinden voraussetzen“. Und zuletzt Konkurrenz, die nicht nur auf den Arbeitsplattformen herrscht, „sondern […] auch durch diese ausgeübt“ und durch „Unterbietungswettbewerbe“ charakterisiert wird. Das Machtgleichgewicht verschiebt sich zugunsten der Arbeit-Anbieter, der Anpassungsdruck wirkt sich auch auf den Bereich der (noch regulären) Beschäftigung aus. Entmächtigung Noch selten wird die Frage gestellt, so Schwemmle und Wedde, „welche Folgen ein immer engerer Datenzugriff auf Erwerbstätige für die Machtverhältnisse im Arbeitsleben haben wird“. Einerseits werden dadurch die Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten erweitert, damit aber zugleich ihre Persönlichkeitsrechte und Schutz der Privatsphäre am Arbeitsplatz aufgeweicht. Durch digitale Steuerung bspw. durch sogenannte Assistenzsysteme, wie Datenbrille oder Navigationshilfen, werden Daten über die Arbeitsabläufe und -prozesse gesammelt und ausgewertet, um „Anleitungen zur vorgeblich optimalen Erledigung der jeweiligen Aufgabe“ zu geben. Dies schränkt einerseits die Handlungsautonomie der Beschäftigten, sammelt aber zugleich Mengen an Daten, die den Menschen, die die Assistenzsysteme nutzen, austauschbar machen. „Hinzu kommt, dass die aus der digitalen Durchdringung der Produktions-, Arbeits- und Kommunikationsabläufe generierten Datenflüsse in ganz asymmetrischer Weise in erster Linie den Arbeitgeber_innen zugutekommen“[3]. Eins haben alle drei Phänomene gemeinsam: Es handelt sich um keine Neuerscheinung, und sie gehen nicht alleine auf die Digitalisierung zurück. Wobei sich die Thesen des Soziologen Zygmunt Bauman zu bestätigen scheinen: Computer „haben ihren lichtschnellen Aufstieg der Tatsache zu verdanken, dass sie ihren Nutzern bessere Möglichkeiten bieten, das zu tun, was sie schon immer tun wollten, aber mangels geeigneter Werkzeuge nicht tun konnten“, sagte Bauman in Daten, Drohnen, Disziplin.[4] So gesehen spiegelt das Internet – und nun in der Arbeitswelt die Digitalisierung – „lediglich die Impulse des wirklichen Lebens wider“[5]. Fazit „Nicht die in mancher dystopischen Erzählung beschworene Machtübernahme einer digitalen Maschinerie – in Gestalt von Robotern, Algorithmen oder künstlicher Intelligenz – zeichnet sich hier ab. Es droht vielmehr ein massiver Ausbau von Herrschaftspositionen derjenigen, die über diese digitale Maschinerie verfügen und damit über deren Entwicklungsziele und Einsatzbedingungen entscheiden“,[6] konzedieren die Autoren. Dem Fatalismus zum Trotz sehen die Autoren die Möglichkeit einer Trendwende: „Wollen wir die Potentiale der Digitalisierung nutzen und ihre negativen Folgen eindämmen, müssen wir die Digitalisierung politisch gestalten“[7], so Schwemmle und Wedde. Forderungen nach Beteiligung der Politik oder gar Regulierung werden immer lauter. Sogar aus den Reihen der Techkonzerne, wo bspw. der Google-Chef mit Regulierungswünschen vorgestochen ist. Aber auch aus der Aufsicht selbst, die sich ihrer Rolle zunehmend bewusst zu sein scheint. Wie zum Beispiel der Chef der Finanzaufsichtsbehörde BaFin, Felix Hufeld, der in der Gastkolumne der WirtschaftsWoche (WiWo 25/15.6.2018) Nutzen und Risiken des Einsatzes von Datentechnik und künstlicher Intelligenz abwägte: „Gefragt sind auch Gesetzgeber und Regulierer“, schrieb er. „Sie müssen den Rahmen so weiterentwickeln, dass sich die positiven Kräfte der Digitalisierung entfalten können und Risiken minimiert werden.“ Es sei ein Balanceakt, gab Hufeld zu, „aber einer, der gelingen kann“[8]. Schwemmle und Wedde haben gleich sieben Punkte – von „Recht auf Nichterreichbarkeit“ bis zur Stärkung der Rechte von Plattformarbeitern und „Recht auf Weiterbildung“ – aufgeschrieben, wie und was die Politik und der Gesetzgeber konkret für die Beschäftigten tun kann. [1] Schwemmle, M. und Wedde, P. 2018. „Machtverschiebung in der digitalen Arbeitswelt“, WISO-direkt (11/2018), Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn [2] Ebenda, S. 2 [3] Ebenda, S. 3 [4] Bauman, Z. und Lyon, D. 2013. Drohnen, Daten, Disziplin. Suhrkamp Verlag: Berlin, S. 66–67 [5] De Saint Victor, J. 2015. Die Antipolitischen. Hamburger Edition: Hamburg, S. 82 [6] Schwemmle/Wedde, S. 3 [7] Ebenda, S. 1 [8] Hufeld, F. 2018 „Der gläserne Verbraucher muss besser geschützt werden“ Gastkommentar, WirtschaftsWoche (WiWo 25/15.6.2018), S. 10. Ähnliche Beiträge:Mut zu mehr FantasieNutzung der Corona-Warn-App erlauben!Macht den Seesack voll: Deine 5 Ideen für den digitalen Norden!Der Beitrag Die neue schöne Arbeitswelt: Roboter übernehmen nicht erschien zuerst auf Arbeitskreis Digitale Gesellschaft.

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