Doppelbesteuerungsabkommen und die Kapitalertragsteuer in Altfällen

§ 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes vom 02.06.2021 ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Insoweit ist jeweils eine Günstigerprüfung durchzuführen, bei der zunächst die Voraussetzungen der jeweils ursprünglich einschlägigen Altfassung und -wenn diese zum Ausschluss der Entlastung führt- sodann die Voraussetzungen der Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG zu prüfen sind. Können Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, so sind die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer ungeachtet des Abkommens anzuwenden (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG a.F., später verlagert in § 50c Abs. 1 EStG i.d.F. des AbzStEntModG -EStG n.F.-). Unberührt bleibt der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge oder Vergütungen auf völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG a.F., s. nunmehr § 50c Abs. 3 EStG n.F.). Ein den Maßgaben des § 50d Abs. 1 bis 3 EStG a.F. unterliegender Erstattungsanspruch setzt zunächst voraus, dass steuerpflichtige Einkünfte vorliegen. Ist Kapitalertragsteuer auf nicht der inländischen (beschränkten) Steuerpflicht unterliegende Vergütungen einbehalten worden, besteht zwar entsprechend dem Rechtsgedanken des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. ebenfalls ein Erstattungsanspruch des Vergütungsgläubigers; dieser wäre aber nicht gegenüber dem BZSt, sondern gegenüber dem jeweiligen Finanzamt geltend zu machen [1]. Gemäß § 50d Abs. 3 EStG a.F. hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach § 50d Abs. 1 EStG a.F., soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielen, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen, oder die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt, oder die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt (§ 50d Abs. 3 Satz 1 EStG a.F.). Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes), bleiben außer Betracht (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG a.F., sog. Verbot der Merkmalsübertragung). An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt (§ 50d Abs. 3 Satz 3 EStG a.F.). Im vorliegenden Fall hat das Finanzgericht Köln eine Subsumtion des Sachverhalts unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG a.F. nicht vorgenommen, sondern hat sein der Klage stattgebendes Urteil allein auf eine in § 50d Abs. 3 EStG a.F. aus unionsrechtlichen Gründen im Wege der geltungserhaltenden Reduktion hineinzulesende Möglichkeit des Gegenbeweises für ein nicht missbräuchliches Verhalten gestützt, den die Klägerin erfolgreich geführt habe [2]. Diese Begründung hatte vor dem Bundesfinanzhof aus mehreren Gründen keinen Bestand: Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die vom Finanzgericht für die Einschränkung des § 50d Abs. 3 EStG a.F. herangezogene, zu Dividenden ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu § 50d Abs. 3 EStG a.F. [3] ohne Weiteres auf die im Streitfall in Rede stehenden Zinsen übertragen werden kann. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Zinsen auch für im Inland ansässige Körperschaftsteuersubjekte steuerpflichtig sind. Die den EuGH, Entscheidungen zugrunde liegenden Konstellationen (Dividendenbezüge im Kontext der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten [4] -Mutter-Tochter-Richtlinie-) waren demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass Gebietsfremden eine Erstattung der Kapitalertragsteuer versagt war, während bei Gebietsansässigen die Einnahmen als Dividenden den besonderen Vorschriften des § 43b EStG a.F. bzw. § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 8b des Körperschaftsteuergesetzes unterlagen, somit weitestgehend auf die festgesetzte Körperschaftsteuer angerechnet worden sind und im Ergebnis nahezu steuerfrei waren. Ob die bei einem Ausschluss der Entlastung nach § 50d Abs. 3 EStG a.F. eintretende abgeltende Wirkung der Quellenbesteuerung aus anderen Aspekten zu einer unionsrechtswidrigen Ungleichbehandlung führt -etwa aufgrund im Ergebnis unterschiedlich hoher Steuersätze [5]-, bedarf im gegenwärtigen Verfahrensstadium keiner Erörterung durch den Bundesfinanzhof. Außerdem beruht die Annahme des Finanzgericht, der Klägerin sei der ihr auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung zu eröffnende Gegenbeweis (fehlender Regelungsmissbrauch) gelungen, auf einer unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage. Die Vorinstanz stützt sich insoweit -unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31.05.2005 [6] auf den Umstand, dass die Unternehmensgruppe, der die Klägerin angehöre, in deren Ansässigkeitsstaat Zypern über eine Konzerngesellschaft verfügt habe, die frei von Missbrauchszweifeln sei, nämlich die F. Ltd. Diese habe über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt und eine aktive Wirtschaftstätigkeit ausgeübt. Ein derart pauschaler Hinweis auf die wirtschaftliche Betätigung einer weiteren Konzerngesellschaft im Ansässigkeitsstaat des Vergütungsempfängers würde zur Führung des Gegenbeweises nicht ausreichen. Geboten wäre vielmehr eine umfassende Prüfung der betreffenden Konzernverhältnisse, die sich auf Gesichtspunkte wie die organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale sowie die Strukturen und Strategien dieses Konzerns bezieht [7]. Aus dem BFH-Urteil in BFHE 210, 117, BStBl II 2006, 118 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Im Streitfall wäre mithin eine nähere Befassung mit der Gesamt-Konzernstrategie und den Funktionen, die der Klägerin sowie der F. Ltd. darin zukommen, unerlässlich. Aufgrund der nach dem Erlass des angefochtenen Urteils mit Rückwirkung auch für den Streitfall eingetretenen Rechtsänderungen wäre vor weiteren unionsrechtlichen Erwägungen zudem die nunmehr in § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. enthaltene gesetzliche Entlastungsmöglichkeit zu prüfen. Nach dem durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz modifizierten Tatbestand des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG (EStG n.F.) hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse keinen Anspruch auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer auf Grundlage eines DBA; und vom Steuerabzug nach § 50a EStG n.F., soweit Personen an ihr beteiligt oder durch die Satzung, das Stiftungsgeschäft oder die sonstige Verfassung begünstigt sind, denen dieser Anspruch nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG n.F.), und die Einkunftsquelle keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit dieser Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse aufweist; das Erzielen der Einkünfte, deren Weiterleitung an beteiligte oder begünstigte Personen sowie eine Tätigkeit, soweit sie mit einem für den Geschäftszweck nicht angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb ausgeübt wird, gelten nicht als Wirtschaftstätigkeit (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG n.F.). § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. bestimmt, dass der vorstehend wiedergegebene Satz 1 der Vorschrift keine Anwendung findet, soweit die Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nachweist, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist, oder wenn mit der Hauptgattung der Anteile an ihr ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. Zur zeitlichen Anwendbarkeit der Neuregelungen sieht § 52 Abs. 47b EStG n.F. vor, dass § 50d Abs. 3 EStG n.F. in allen offenen Fällen anzuwenden ist, es sei denn, § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung, die zu dem Zeitpunkt galt, in dem die Einkünfte zugeflossen sind -im Streitfall mithin § 50d Abs. 3 EStG a.F.-, steht dem Anspruch auf Entlastung nicht entgegen. Folglich ist eine Günstigerprüfung durchzuführen [8], bei der zunächst die Voraussetzungen der Altfassung und -wenn diese zum Ausschluss der Entlastung (im Streitfall des Erstattungsanspruchs)- führt, sodann die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG n.F. zu prüfen sind. Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. November 2021 I R 27/19 s. hierzu BFH, Urteil vom 22.04.2009 I R 53/07, BFHE 224, 556; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 50d Rz 9 FG Köln, Urteil vom 23.01.2019 2 K 1315/13 EuGH, Urteil Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Internationales Steuerrecht -IStR- 2018, 197; EuGH, Beschluss GS vom 14.06.2018 C-440/17, EU:C:2018:437, IStR 2018, 543 ABl.EG 1990, Nr. L 225, 6, Nr. L 266, 20, 1997 Nr. L 16, 98, in der durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20.11.2006, ABl.EU 2006, Nr. L 363, 129 geänderten Fassung vgl. z.B. Schaumburg, Internationale Steuer-Rundschau 2021, 135 ff. BFH, Urteil vom 31.05.2005 I R 74, 88/04, BFHE 210, 117, BStBl II 2006, 118 vgl. EuGH, Urteil Deister Holding und Juhler Holding, EU:C:2017:1009, IStR 2018, 197, Rz 74 vgl. auch BT-Drs.19/27632, S. 63; Schönfeld/Erdem, IStR 2021, 189, 190; Schnitger/Gebhardt, IStR 2021, 289, 299; Grotherr, Deutsches Steuerecht 2021, 1321, 1328

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