Eine Antwort auf Beijing

Das Ringen um Einfluss im Indo-Pazifik dominierte die politischen Spitzentreffen der vergangenen Wochen. Sein Ausgang ist offen. Diese Geschichte beginnt mit einer Panne. Auf dem Flughafen von New Delhi, als die Arbeit getan und die Delegationen aus der ganzen Welt nach Hause flogen, wollte die Regierungsmaschine des kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau einfach nicht abheben. So wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrem Pazifikflug Wochen zuvor schon in den Vereinigten Arabischen Emiraten hängen geblieben war, so saß Trudeau in Indien fest. Sein unfreiwilliger Aufenthalt wurde zum Symbol für eine gestörte Beziehung: Denn Indien und Kanada liegen inzwischen dermaßen über Kreuz, dass indische Medien sogar schon wagten, Kanada als „ein zweites Pakistan“ zu bezeichnen. Dem Konflikt liegt ein Mord zugrunde. Trudeau verkündete auf der Weltbühne, seine Beamten verfolgten beim Aufklären des Mordes an dem bekannten Sikh-Führer Hardeep Singh Nijjar erkennbare Spuren bis in die indische Regierung. Das hatte Trudeau wohl zuvor schon im Zwiegespräch mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi geäußert, der darüber extrem verärgert gewesen sein soll. Denn der Vorwurf der Kanadier schwenkt das Scheinwerferlicht auf die Frage der Menschenrechte auf dem Subkontinent. Vorwurf des religiösen Nationalismus Unter den Hindunationalisten verspüren die mehr als 200 Mio Muslime im Land extremen Druck. Das gleiche gilt für Andersdenkende, für Regierungskritiker, für Christen. Der UN-Berichterstatter über die Lage der Minderheiten, Fernand de Varennes, erklärte gerade: „Indien läuft Gefahr, zu einem der weltweit größten Verursacher von Instabilität, Gräueltaten und Gewalt zu werden, weil die Verletzungen und Übergriffe, die sich vor allem gegen religiöse und andere Minderheiten wie Muslime, Christen, Sikhs und andere richten, so massiv und schwerwiegend sind. Es handelt sich nicht nur um individuelle oder lokale Gewalt, sondern um systematische Gewalt, die Ausdruck eines religiösen Nationalismus ist.“ Genau dieses Bild Indiens und seiner hindunationalistischen Regierung aber wollte Modi im Rahmen des G20-Gipfels keinesfalls verbreitet sehen. Er präsentierte sein Land als eine selbsternannte Führungsnation des „Globalen Südens“, Fürsprecher einer neuen, besseren Welt. Trudeau störte da nur. Zumal Modi eigentlich leichtes Spiel hatte. Denn sein Widersacher auf der Weltbühne, Chinas Ministerpräsident Xi Jinping, war dem G20-Gipfel fern geblieben. Allerdings stichelte Xi aus der Ferne: Beim BRICS-Gipfel der großen Schwellenländer zuvor in Johannesburg hatte China sich damit durchgesetzt, ihm nahestehende Länder in das bisherige Quintett aufzunehmen. Mit ihnen wird Beijings Einfluss weiter gestärkt werden, im selben Maße schwindet der indische. Dann veröffentlichte China nur Tage vor G20 seine traditionelle Landkarte: Auf ihr sind Beijings Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, im Einflussbereich Japans und im Himalaja eingetragen, als hätte die Weltgemeinschaft sie anerkannt. Die indischen Gebiete Arunachal Pradesh und Aksai Chin im Himalaja weist China als eigene aus. Gleichzeitig zeigen jüngste Satellitenaufnahmen, dass das Reich der Mitte auf seiner Seite der Line of Actual Control Bunker baut, um sich vor möglichen Luftangriffen der Inder zu schützen. Die Stimmung im Vorfeld von G20 war also aufgeheizt – umso harmonischer gaben sich dann die 18 Teilnehmer, die den ebenfalls daheim gebliebenen russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Angriffskrieg in einer Form verurteilten, die deutlich hinter jenen Worten zurückblieb, die noch im Vorjahr beim Gipfel auf Bali gefallen waren. Teure Neue Seidenstraße Aus europäischer Sicht dominierte der Blick auf die Entwicklung des globalen Südens. Denn inzwischen haben die Demokratien die Lektion aus Beijing verstanden: Die von Xi’s Strategen vor nun zehn Jahren entwickelte Strategie der Neuen Seidenstraße (Belt&Road-Initiative, BRI) ist zu einem unwiderstehlichen Cocktail aus Infrastruktur und Finanzierung für viele Regierungen von Entwicklungs- und Schwellenländern geworden: Die helfende Hand aus Beijing sichert – zumindest über Jahre – die eigene politische Macht ab. Denn die Menschen merken, dass es voran geht. Der Preis für die wachsende Abhängigkeit und in den meisten Fällen tiefe Verschuldung in China wird erst Jahre später fällig – siehe etwa Sri Lanka, wo der giftige Cocktail ein ganzes Land zusammenbrechen ließ. IMEC konkurriert mit BRI Über Jahre fanden die Industrieländer keine Antwort auf Beijings Avancen. Stunden vor G20 aber war es zum politischen Knall gekommen: Italien hatte sich entschieden, die BRI zu verlassen. Das war zum Zehnjährigen mehr als Gesichtsverlust Beijings – der Ausstieg der Italiener schloss ein sicher geglaubtes Einfallstor in die Europäische Union. Dann kam der zweite Knall: Am Rande des Gipfels von New Delhi verkündeten Amerikaner, Europäer und Inder eine umfassende Zusammenarbeit: Sie wollen eine Brücke von Indien bis nach Europa bauen, den „India – Middle East – Europe Economic Corridor“, IMEC. Washington hat dafür Grundsatzvereinbarungen mit seinen bislang sieben Partnern Indien, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, der EU, Italien, Frankreich und Deutschland vorgelegt. Alle sind aufgerufen, in den nächsten 60 Tagen einen Aktionsplan für den in einen nördlichen und einen östlichen Teil zerlegten IMEC zu verhandeln. Israel und Jordanien zählen nicht zu den Unterzeichnern, sind aber ausdrücklich erwähnt. Koordinierter Kraftakt statt Einzelinitiativen Noch ist ein solcher Korridor nicht mehr als eine Vision. Sie kommt mit Hunderten von Fragen – sie kreisen um die Zusammenarbeit mit Ländern wie Saudi-Arabien, die nicht nur beim Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi die Menschenrechte mit Füßen traten und enden noch nicht beim Blick auf Pakistan, das im Wortsinn links liegen gelassen und damit noch weiter in Beijings Arme getrieben werden. Doch steht IMEC für einen eigenen, koordinierten Ansatz der Entwicklung und Verbindung mit der Wachstumsregion der Welt. Denn bislang warben Amerikaner für Einzelinitiativen. Die EU verkündete die Strategie „Global Gateway“. Ihr sind 300 Mrd Euro versprochen, hat aber bislang wenig Inhalt. Ob IMEC die Antwort einer demokratischen Allianz um Brüssel, Washington und New Delhi auf BRI ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen müssen. Allein schon die Wahl in den Vereinigten Staaten könnte den Ansatz wieder zum Erliegen bringen, sollten die Republikaner die Oberhand bekommen. US-Gelder unter Auflagen Wie dringend eine koordinierte Antwort auf Beijing ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Die australische Denkfabrik Lowy Institute weist aus, dass die ersten vier der fünf größten Geber in Südostasien zwischen 2015 und 2021 asiatische Länder und Institutionen waren: Sie standen für 73% der gut 200 Mrd US-Dollar an Entwicklungshilfe in der Region der zehn ASEAN-Länder. China hat mit BRI die Führungsposition inne, gefolgt von der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), in der Tokyo die stärkste Stimme hat, gefolgt von den Einzelinvestoren Japan und Südkorea. Auf dem fünften Platz rangiert die Weltbank. Beijing stützt Südostasien mit rund 5,5 Mrd Dollar jährlicher Entwicklungshilfe. Hinzu kommen massive Investitionen von Staatsfirmen und privaten Konzernen. Hier halten Amerikaner gegen – sie vertreten auch in Südostasien einen privatwirtschaftlichen Ansatz. Er ist, keine Frage, für die Industrialisierung der Region wichtig. Doch ersetzt er aus Sicht der dortigen Regierungen keinesfalls das „billige“ Geld aus Beijing, zumal er immer wieder mit Auflagen, Bedingungen, Mahnungen kommt. Tokyos langer Atem Wirklich mithalten mit den Chinesen kann nur Japan. Dessen Ansatz gilt in Asien als nachhaltiger: Tokyo schafft keine finanziellen Abhängigkeiten wie Beijing und fördert oft über Jahrzehnte komplizierte Infrastrukturprojekte, wie etwa den Bau von Untergrundbahnen in dicht besiedelten Metropolen wie Jakarta oder Manila. Das ist weniger sichtbar, wie ein Kraftwerk oder eine Brücke, die Beijing bauen lässt. Aber es schafft auch über die technische Betriebshilfe langjährige Verbindungen. Wachstumsmotor und Problemfeld Die werden auch die westlichen Regierungen brauchen. Denn trotz aller Herausforderungen wächst Asien zusammen. Die indo-pazifische Region mit ihren mehr als 4 Mrd Menschen wird der Wachstumsmotor der Welt bleiben. Und zugleich ihr Problemfeld – es drohen Kriege, etwa um Taiwan, im Himalaja und auf der koreanischen Halbinsel, der Klimawandel dürfte zu wachsenden Migrationsbewegungen führen. Wer hier Einfluss gewinnt, sammelt nicht nur Stimmen etwa bei den Vereinten Nationen – bei denen Berlin um Unterstützung zum Einzug Deutschlands in den Sicherheitsrat wirbt. Sondern er bestimmt auch die Geschicke der Welt in Zukunft mit. Dabei sind die Asiaten inzwischen so selbstbewusst, dass sie keine Scheu zeigen, dem Beispiel des Stadtstaates Singapur zu folgen, und potenzielle Partner gegeneinander auszuspielen. Denn inzwischen ist die Wirtschaftskraft Asiens beachtlich gewachsen: heute macht der Regionalhandel schon 58% seines gesamten Handelsvolumens aus. Damit nähert er sich – ohne institutionell so eng verbunden zu sein wie die Europäische Union – dem europäischen Niveau von 69% allmählich an. Noch 1990 hatte der asiatische Wert bei nur 46% gelegen. All dies ist auch Trudeau klar. Auch das Bodenschatzland Kanada wird dringend im westlichen Bündnis gebraucht. Doch wagt Trudeau in diesen Tagen, Indien und damit auch dem von den Industrieländern als neuer Partner in einer Front gegen China umworbenen Modi die Stirn zu bieten. Ob er sich damit durchsetzen kann, bleibt offen. Indien reagierte damit, Kanadiern keine Visa auszustellen. Der Konflikt zeigt, dass der Subkontinent kein einfacher Partner beim Versuch der Demokratien wird, Beijing in dessen Vorhof Asien die Stirn zu bieten. Dr. Christoph Hein ist Asien-Pazifik-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Sitz in Singapur.

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