Die Sängerin Emeli Sandé spricht über ihr neues Album „Let's Say For Instance“, Vocoder-Effekte, die Rolle der Hautfarbe im Musikgeschäft und warum Homophobie noch immer weit verbreitet ist.+++ Emeli Sandé spielt zwei Konzerte in Köln: 04.06. Carlswerk Victoria (mit Band) und 09.06. Kulturkirche (Solo Piano Show) +++ Emeli Sandé, vor Ihrer Musikkarriere haben Sie Medizin studiert. Hat Ihnen dieses Wissen geholfen, die zwei Jahre der Pandemie zu verstehen und zu überstehen? Sandé: Ich glaube, das Wissen über den menschlichen Körper hat mir ein bisschen mehr Vertrauen gegeben, um nicht zu sehr in Panik zu verfallen. Aber am Ende habe ich mit Covid so beschäftigt wie alle anderen auch. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mein medizinisches Wissen da besonders von Nutzen war. Hatten Sie Angst, Covid könnte Ihre Stimme beeinträchtigen? Oh, ja. Die Stimme ist etwas, womit man sehr vorsichtig sein muss, besonders wenn man auf Tournee ist. Man muss sich wirklich isolieren, wenn man seine Stimme intakt halten will. Aber das ist etwas, womit man sich als Sänger immer auseinandersetzt, man versucht, seine Immunität so gut wie möglich zu stärken, nur um sicherzugehen, dass man die Stimme nicht verliert. ZitiertDer Entstehungsprozess war sehr befreiend.Als junges Mädchen war ich ziemlich schüchtern, doch durch den Gesang konnte ich mit Menschen in Kontakt treten und Dinge mitteilen, was mir im Alltag sonst schwer gefallen wäre.Ich hoffe, dass dieser Hass irgendwann aufhört, denn Liebe ist etwas, das immer gefeiert werden sollte.Emeli SandéNächstes Zitat Das Konzept der Heilung in der Medizin, gilt das auch für Ihre Arbeit als Künstlerin? Ja, mein Medizinstudium hat mich sehr inspiriert, genauso wie viele Freunde, die immer noch im medizinischen Bereich tätig sind. Mir gefällt die Idee von Heilung durch Musik sehr. Ich liebe ich es, Musik für mich selbst zu machen und habe bei der Produktion meines neuen Albums auch viel Heilung gespürt, denn Singen ist ein sehr körperlicher Akt, der einem hilft, besser zu atmen. Ich hoffe, dass die Leute, die das Album hören, ebenfalls etwas von dieser heilenden Energie spüren. „Lets Say For Instance“ ist stilitisch wesentlich vielfältiger als Ihre vorherigen Alben. Wie kam das zustande? Ich habe Dinge ausprobiert, die ich vorher noch nie gemacht habe. Es war das erste Mal, dass ich ein Album ohne Plattenfirma gemacht habe, insofern ist das jetzt wirklich das, was ich hören wollte, die Genres, die ich erkunden wollte. Der ganze Entstehungsprozess war sehr befreiend, deshalb kann man jetzt auch sehr unterschiedliche Richtungen hören. Ich bin jetzt auch mal abseits von gewohnten Pfaden gelaufen. „Album ohne Plattenfirma“ und „befreiend“ klingt so, als ob an dem Klischee, dass große Labels gerne die Ausrichtung eines Albums bestimmen, etwas dran ist Je größer die Firma ist, desto größer ist auch der Druck auf alle Beteiligten, es richtig zu machen. Sie wollen kommerziell erfolgreich sein – was leider dazu führt, dass die Leute kaum Risiken eingehen. Ich konnte immer machen, was ich wollte, aber nach einer Weile kamen Leute vom Label zu mir und sagten: „Das hier ist aber kein Emeli Sandé-Song“. Was natürlich komisch ist, wenn man so etwas als Songwriter gesagt bekommt, denn ich will ja mich persönlich ausdrücken. Für das neue Album habe ich mir die Zeit genommen, genau das zu tun, was ich will. Das war definitiv riskanter, aber große Sorgen mache ich mir deswegen nicht. Ich wollte einfach, dass die Leute mich musikalisch richtig kennenlernen. Ich habe mit verschiedenen Genres experimentiert, auch mit klassischer Musik, habe jetzt Songs aufgenommen, die ich auf früheren Alben nicht aufgenommen hätte. Es ist ein Album, das ich liebe und auf das ich stolz bin. In vielen Liedern kommt jetzt Elektronik zum Einsatz. Ich war jetzt auch mehr auf der Seite der Produktion aktiv, was mir erlaubt, dem ganzen noch mehr meinen kreativen Fingerabdruck zu geben, über den Gesang und mein Klavierspiel hinaus. Als Produzent kannst du Atmosphären schaffen, Bilder entstehen lassen. Ich konnte vieles kreieren, was meine Aktivität als Sängerin bereichert. © Olivia Lifungula Wie fangen Sie an, wenn Sie ein neues Musikstück schreiben? Normalerweise fange ich am Klavier an. Oder jemand schickt mir einen Beat und ich bekomme so einen Eindruck von der Musik. Normalerweise gibt es am Anfang eine Melodie und dann entwickelt sich ein Konzept. Funktioniert es immer? Wenn ich innerhalb von vier Stunden nicht die Essenz des Songs erfasst habe, lege ich es meistens beiseite. Der erste Funke und die Inspiration müssen einfach da sein. Sonst fängt man an, an etwas herumzuarbeiten, das nicht wirklich Substanz hat. Wenn ich den Zauber nicht innerhalb der ersten vier oder fünf Stunden spüre, verfolge ich die Idee nicht weiter. Sie haben auch Songs für andere Künstler geschrieben. Ist Songwriting für Sie auch zum Geschäft geworden? Nein. In erster Linie ist es die Leidenschaft, die ich für die Musik habe. Natürlich ist es fantastisch, mit Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, in diesem Sinne ist es ein Geschäft, ja. Aber den kreativen Part behalte ich dabei immer ganz für mich. Mit dem neuen Album ist Songwriting für mich auch wieder zu einer gefühlvollen, spirituellen Erfahrung geworden. Und wenn Sie für andere Künstler schreiben Es ist aufregend, von einem Künstler, den man verehrt, plötzlich angerufen und in seinen kreativen Prozess einbezogen zu werden. Manche Künstler haben Hunderte von Songs vorliegen, aus denen sie auswählen – wenn man das als Geschäft betrachtet, ist es zumindest ein sehr riskantes Geschäft. In einem Gespräch mit Dee Dee Bridgewater vor 15 Jahren beschrieb sie die Schwierigkeiten für farbige Menschen, im Musikgeschäft anerkannt zu werden, insbesondere als Frau. Wie denken Sie heute darüber? Gibt es immer noch viele Hindernisse? Es hat in der Musikindustrie Fortschritte gegeben und ich habe das Gefühl, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen, wenn auch sehr langsam. Es ist immer noch schwieriger für Frauen, respektiert zu werden, ermutigt zu werden und Selbstvertrauen zu erlangen. Ich selbst habe zum Beispiel schon vor vielen Jahren Songs produziert, aber ich hatte nie das Selbstvertrauen, mich als Produzentin zu bezeichnen. Und klar: Eine schwarze Frau zu sein, macht die Dinge oft schwierig, leider funktioniert unsere Welt so, dass wir härter arbeiten und uns auf verschiedene Art und Weise beweisen müssen. Heute, wo viel HipHop und afro-amerikanische Musik in den Charts zu finden ist, hat sich die Sichtweise der Leute etwas geändert. Dazu hat auch beigetragen, dass jetzt mehr Musiker bei unabhängigen Labels unter Vertrag sind. Die Dinge haben sich also etwas verbessert, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns. Im Moment spielt Hautfarbe im Plattengeschäft also schon noch eine Rolle Ja. Es gibt viele farbige Künstler, aber unter den Führungskräften, den Leuten, die die Plattenindustrie dirigieren, sind es nur wenige, auf der Ebene gibt es kaum Repräsentation. In den USA scheint sich das etwas gebessert zu haben, aber es wäre generell schön, wenn mehr farbige Menschen mehr Einfluss auf die Führungsebene und die Arbeitsweise dieser Branche hätten. In einem weiteren Statement äußerte Dee Dee Bridgewater, dass wir in Zeiten der Globalisierung den Sinn für unsere eigene Identität, unsere Wurzeln und unsere Individualität verlieren. Was denken Sie darüber? Auf der einen Seite hilft einem das Internet, viele verschiedene Künstler zu entdecken, man kann auf Spotify gehen und jede Art von Musik hören. So gesehen kommt die Individualität zurück, das Internet gibt vielen Menschen die Möglichkeit und die Freiheit, die Musik zu machen, die sie wollen. Auf der anderen Seite bemerkt man aber auch, dass viele Künstler ziemlich ähnlich klingen, weil Musik heutzutage häufig auf Trends und Mode reagiert. Die Labels sind sehr fokussiert auf das Streaming, was die Produktion beeinflusst. Ich vermisse heute manchmal die Individualität, wie man sie noch in den 80er Jahren erleben konnte, das war eine tolle Zeit für die Musik. Wenn ich mir Sendungen von damals anschaue, da war kein einziger Künstler derselbe. Es war nicht so wichtig, in welchem Genre du unterwegs bist, es ging viel mehr um die künstlerische Leistung. Vielleicht romantisiere ich das rückblickend auch zu sehr, aber wenn ich auf die 80er zurückblicke, habe ich das Gefühl, dass jeder auf seine eigene Art und Weise ziemlich eigen- und einzigartig war und Individualität wirklich gefördert wurde. Inwieweit sehen Sie Ihre Gesangsstimme als Gabe und fühlen Sie sich auf eine gewisse Art verpflichtet, sie zu nutzen? Sie ist eine Gabe, ganz sicher. Als junges Mädchen war ich ziemlich schüchtern, doch durch den Gesang konnte ich mit Menschen in Kontakt treten und Dinge mitteilen, was mir im Alltag sonst schwer gefallen wäre. Insofern ist meine Stimme definitiv etwas Besonderes und Wertvolles für mich. Als ich dann auch die Wirkung bemerkte, die emotionale und spirituelle Wirkung, die sie auf die Menschen hatte, war mir klar, dass ich sie benutzen muss. Auch wenn ich manchmal Angst hatte, auf die Bühne zu gehen, vor allem in den frühen Jahren, war da immer so eine innere Stimme, die sagte: Geh raus und verbreite die Energie! Für einige Songs des neuen Albums wurde Ihre Stimme elektronisch bearbeitet. Es stört Sie nicht, wenn die eigene Stimme verfremdet klingt? Als Produzentin wollte ich diesmal mehr mit meiner Stimme experimentieren, sie auch als Instrument einsetzen. Ich singe immer noch gerne und spiele Klavier, aber hier ging es mir darum, andere Texturen hinzuzufügen, weshalb ich Autotune und Vocoder-Effekte eingesetzt habe – so etwas finde ich spannend. Es war so, als würde ich in meiner Stimme einen neuen Gefühlsausdruck entdecken. Ich habe aber versucht, diese Effekte sparsam einzusetzen und nur dort, wo ich das Gefühl hatte, dass sie dem Inhalt des Textes mehr Tiefe verleihen. Im Juni treten Sie zwei Mal in Köln auf. Woher weiß ich, ob ich mich für Ihren Solo-Klavier-Abend oder Ihr Konzert mit Band entscheiden soll? Es kommt darauf an: Wenn Sie eher Lust auf eine Party haben, würde ich die Band-Show vorschlagen. Wenn Sie dagegen sitzen und ein wenig mehr über die Bedeutung der Songs reflektieren wollen, könnten Sie das Klavierkonzert besuchen. Sie haben vor kurzem Ihre Beziehung zu Ihrer Partnerin öffentlich gemacht. Wie erklären Sie sich, dass die LGBT-Communty an vielen Orten der Welt immer noch so viel Hass und sogar Strafverfolgung ausgesetzt ist? Ich denke – das betrifft jetzt das Thema Xenophobie generell – dass vielen Menschen schwer fällt, etwas zu akzeptieren und zu tolerieren, das anders ist als das, was sie selbst erlebt haben. Die Menschen haben immer Angst vor dem Unbekannten. Und dazu kommt, dass die Religion weltweit immer noch einen sehr großen Einfluss hat. Mein Partnerin und ich sind verliebt, daran ist nichts Schädliches, sondern es ist ein unglaubliches Gefühl. Und ich hoffe wirklich, dass dieser Hass irgendwann aufhört, denn Liebe ist etwas, das immer gefeiert werden sollte. Ich hoffe, dass dieser Planet in den nächsten hundert Jahren sicherer und liebevoller wird.
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