Ich bin ein Mensch, ich bin faul. Mit ein paar einfachen Tricks kann man mich dazu bringen, Dinge zu tun, die ich freiwillig nicht tun würde. Wer hat ein Interesse daran? Die Gesellschaft, die Krankenversicherungen, manchmal mein soziales Umfeld oder meine Arbeit-/Auftraggeberinnen und Auftraggeber. In den meisten Fällen aber: ich selbst. Viele Tricks, Menschen zu motivieren, kommen aus dem Bereich der Gamification. Der Begriff wurde erst vor wenig mehr als 10 Jahren geprägt und seitdem so oft gefeiert wie verteufelt. Wie fast alles hat er positive wie negative Seiten, und wie so oft kommt viel der Kritik daher, weil die Techniken falsch oder schlecht eingesetzt wurden. (Schon 2011 habe ich mich damit hier im Newsletter befasst, aber seitdem hat sich viel getan: Newsletter 05/2011 – Das Leben ist ein Spiel – Gamification) Grundlagen der Gamification Die App WaterMinder soll uns daran erinnern, genug zu trinken. Dabei setzt sie schwer auf Gamification, um uns Flüssigkeit einzutrichtern – und die App zu nutzen. Am häufigsten begegnet uns Gamification im Digitalen bei mobilen Apps und Diensten rund um Gesundheit, Fitness und Aufgabenerledigung aller Art. Laut Definition ist Gamification der Einsatz von spielerischen Elementen im Nicht-Spiel-Umfeld. Grundlage dafür sind die omnipräsenten technischen Geräte. Wir haben heute praktisch ständig ein digitales Gerät in Griffweite. Wir sitzen am Computer oder wir halten ein Smartphone in der Hand. Manche tragen so ein Gerät auch am Handgelenk, dadurch ist es bei vielen sogar mit im Bett. Die häufigste Kritik an Gamification ist, dass sie auf Manipulation hinauslaufe. Oder dass sie nicht langfristig funktioniere. Letzteres ist inzwischen vielfach widerlegt. Gamification kann funktionieren. Wenn sie richtig eingesetzt wird. Ein bisschen manipulativ ist das aber praktisch immer – doch das ist vieles, was wir tun. Von Neujahrsvorsätzen für uns selbst über Heiratsanträge bis hin zur politischen Rede. Eine gelegentlich genannte Alternative, die das vermeiden soll, ist Gameful Design. Doch ich persönlich habe den Unterschied zu Gamification nicht verstanden, außer dass damit die oben genannten Nachteile vermieden werden sollen. Mir kommt es so vor, als sei das nur ein neuer Begriff für die gleichen Prinzipien. Die sehen wir uns einmal näher an: Prinzipien der Gamification Das Paradebeispiel für Gamification: die Sprachlern-App Duolingo. Auszeichnungen und Belohnungen für regelmäßige Nutzung, Missionen (Challenges), Interaktion mit Freunden … alles dabei. Die einfachsten Ansätze der Gamification sind: Punkte Level/Stufen Abzeichen/Tropähen Soziale Interaktion Wettbewerb Die Ausprägungen sind sehr unterschiedlich. Wettbewerb kann z.B. ein Kräftemessen mit anderen sein. Es kann aber auch ein Kräftemessen mit mir selbst sein: Schaffe ich es, heute besser zu sein, als ich gestern war?Oder: Schaffe ich es, jeden Tag der Woche Sport zu machen? Für jeden Schritt, der mich dem Ziel näher bringt, bekomme ich einen Punkt. Irgendwann steige ich auf (Level/Stufe), bekomme vielleicht ein Abzeichen/Trophäe und kann das meinen Mitmenschen mitteilen (soziale Interaktion). Häufig genannt werden auch diese Ansätze: Personalisierung/Anpassung an persönliche Vorlieben Adaptive Nutzung/Dazulernen der Anwendung meiner Vorlieben oder Gewohnheiten Doch sind dies Dinge, die gute Anwendungen schon immer bieten – sie sind daher auch Teil der meisten UX-Heuristiken, die es schon Jahrzehnte gibt. Beispiele für Gamification Die meisten denken bei Gamification an Apps, die unsere Gewohnheiten beeinflussen sollen. Also Anwendungen, die uns helfen, etwas regelmäßig zu tun (Wasser trinken, Sport treiben …) oder etwas nicht zu tun (rauchen, ständig zum Smartphone greifen …). Doch auch im Arbeitsumfeld, ja sogar bei Geschäftsanwendungen (B2B-Diensten) gibt es einige erfolgreiche Beispiele für Gamification. Die Smarphone-App Forrest soll uns helfen, unser Smartphone bewusster zu benutzen. Es beginnt schon bei To-Do-Listen, egal ob auf Papier oder in einer App. Sie sind nämlich nicht einfach nur eine Gedächtnisstütze. Sie nutzen gleichzeitig grundlegende psychologische Mechanismen, auf denen auch die Gamification aufbaut. Manche recht deutlich, andere eher indirekt. Allein die Tatsache, dass wir etwas durchstreichen, wenn wir es erledigt haben, gibt uns ein Gefühl der Befriedigung. Bei Microsoft To Do etwa ertönt zusätzlich ein angenehmer Pling-Ton, der sorgfältiges Sounddesign erkennen lässt. Noch keine echte Gamification, geht aber schon in die Richtung. Die Anwendung Asana ist eine aufgemotzte To-do-Verwaltung für Teams. Was man immer wieder hört, was Nutzende begeistert: Hat man eine Aufgabe erledigt, fliegt manchmal ein Einhorn in Regenbogenfarben über den Bildschirm. Völlig überflüssig, aber offenbar wirksam. Ein wichtiges Konzept dabei: Diese Animation kommt nicht bei jeder Aufgabe, die ich abhake. Sondern nur gelegentlich. Und zwar zufällig. Das ist eine ganz bewusste Designentscheidung, die weniger daran liegt, dass sich der Effekt abnutzt, wenn er zu häufig eingesetzt wird. Sondern mehr daran, dass wir Menschen generell Bestätigung wollen. Wir sind dann motivierter, wenn dieses positive Feedback nicht jedes Mal kommt, sondern nur manchmal. Wir rennen also immer der Karotte hinterher, besonders dann, wenn wir sie nicht jedes Mal bekommen. Brauchen wir den Schnickschnack? Warum aber sollten wir uns darauf einlassen? Verschrecken wir ernsthaft Nutzende nicht mit solchen Spielereien in unseren Anwendungen? Das kann passieren. Wie bei jeder anderen Anwendung gilt: Wir müssen unsere Zielgruppe so gut wie möglich kennen, um für sie gestalten zu können. Generell sollten wir aber die Möglichkeiten der Gamification nicht unterschätzen. Sie bieten sich vor allem an, um: Den Einstieg in eine neue Anwendung leichter zu machen Funktionen / Möglichkeiten entdecken zu lassen Nutzungsdauer und -Häufigkeit zu steigern Langfristige Bindung zu erhöhen Oft brauchen wir aber gar keine Gamification, sondern ästhetisches Design und liebevoll gestaltete Elemente, die unsere Nutzenden erfreuen. Im Englischen spricht man hier von delight, also Entzücken. Das lässt sich vor allem erreichen durch: Gute Texte Ästhetische Gestaltung Kurze, aber ansprechende (Mikro-)Animationen Gutes Sounddesign Eines dieser Elemente kann schon ausreichen, manchmal sind alle vier auf einmal nötig. Bevor Sie also eine komplexe Überarbeitung Ihres Produkts angehen, um Gamification „einzubauen“, beginnen Sie mit kleinen Elementen, welche die Nutzenden entzücken. Das ist schon mal ein guter Start und und vielen Fällen alles, was es braucht. Das Kommunikations-Werkzeug Slack zeigt immer, wenn ich alle Nachrichten gelesen habe, eine andere positive Nachricht. Könnte man auch etwas ernsthafter formulieren, mir persönlich gefällt es so. „Delight“ in der Praxis. Linktipps http://playful-interaction-concepts.deSehr interessantes Projekt für Mittelstand von 2016, hier finden alle Tipps, die für geschäftliche Anwendungen (B2B) Gamification-Elemente entwickeln wollen. Es gibt eine Website dazu, die aber nicht mehr zu funktionieren scheint. Das PDF mit dem Schlussbericht gibt es aber hier (Link ist kein PDF, sondern eine Webseite, auf der man dann das PDF bekommt): www.mittelstand-digital.de/MD/Redaktion/DE/Publikationen/Abschlussbericht-pic.pdf https://esignals.fi/pro/en/2022/05/03/gamified-wearables-their-uses-and-challenges-in-human-well-being/#87947b1aLohnende wissenschaftliche Veröffentlichung von 2022 der finnischen Haaga-Helia University of Applied Sciences zum Thema. https://raw.studio/blog/how-duolingo-utilises-gamification/Großartige Zusammenfassung der Funktionsweise der Sprachlern-App Duolingo. Noch für das alte Design, es wurde 2022 grundlegend geändert. Dennoch unbedingt lohnend! Mehr auf benutzerfreun.de.
Wie wir mit Gamification unsere Anwendungen noch attraktiver machen und die Nutzenden dabei unterstützen, ihre Ziele zu erreichen, darum ging es im letzten Newsletter. Doch ist es wirklich Gamification, was wir dazu brauchen? Schon erwähnt habe ich, da
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