Gebäudeklasse "E"xperiment

// Motivation / Problemstellung Erfahrungen mit der Entwicklung der Richtlinien Das Baugeschehen findet heute in einem Geflecht von Richtlinien statt, die aus Industrieinteressen entstanden sind und in Teilen unmige Komfortmastbe propagieren. Und sie entwickeln sich weiter fort. Sie schnren die planerische Bewegungsfreiheit von uns Architekten immer weiter ein und treiben die Baukosten stetig in die Hhe. Als Architekten haben wir nur noch eingeschrnkten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit und damit die Gestaltung von Gebuden. Da es sich dabei um unseren Wohn- oder Arbeitsraum handelt ist diese Entwicklung fatal. Gefrderten Wohnungsbau, den wir 2015 in Mnchen noch fr 1.800 / qm WF gebaut haben, kalkulieren wir fr 2022 mit 2.800 / qm WF. Die staatliche Wohnungsbaufrderung ist von 2015 bis heute von 1.760 / qm WF auf 2200 / qm WF gefolgt, hinkt damit allerdings der Entwicklung hinterher. Diese Zahlen sind unabhngig von der Entwicklung der Bodenpreise. Sie stehen allein fr die Kosten der Gebude und Technischen Ausrstung. Natrlich wird alles teurer, Lhne steigen und die Konjunktur lsst die Preise auf Grund der hohen Nachfrage steigen. Dabei ist es im Sinne einer gesunden Bauwirtschaft vllig in Ordnung, wenn die Firmen auskmmliche Preise verlangen. Unser Problem ist, dass wir auf diese Entwicklung nicht mit eigenen Ideen oder Reduzierung von Standards reagieren knnen. Die Richtlinien lassen uns aus diesem Kreislauf nicht aussteigen. Gespart wird dann an allen noch unregulierten Stellen, oft zulasten der Gestaltung, rumlicher Qualitten oder der Nachhaltigkeit von Materialien. Das Ergebnis knnen wir berall besichtigen: Wohn- und Geschftshuser mit dnn verputztem WDVS, anthrazitfarbenen Kunststoff- oder Aluminiumfenstertren und verzinktem Stbchengelnder. Die Entwicklung schlgt also auch voll auf die Baukultur durch, die gerade den sozialen mit dem sthetischen Gedanken verbinden sollte. Richtlinien erzeugen sich mittlerweile selbst und werden von der Bauindustrie gefrdert. Ein Beispiel ist die Verschrfung der Schallschutz-Norm zum Jahreswechsel 2018, die die Deckenstrken eines Bauvorhabens erhhte und damit die gesamte Statik des Gebudes betraf. Der sptere Erfahrungsaustausch mit den Bauphysikern zeigte, dass diese Entwicklung von der Verbesserung des Schallschutzes der Fenster getrieben war. Wenn die Auengerusche nicht mehr zu hren sind, hat sich gezeigt, fallen die Gerusche der Nachbarn mehr auf und die Richtlinie musste angepasst werden. Insgesamt ist die energetische Aufarbeitung des Baubestands natrlich ein wichtiges Ziel im Kampf gegen den Klimawandel. Ob dies allerdings durch die Bekleidung von Bestandsgebuden mit Polystyrolschaum (EPS) erreicht wird, kann mit Sicht auf die Nachhaltigkeit von Baustoffen bezweifelt werden. Unter dem geschilderten Kostendruck stellt diese Methode allerdings den gnstigsten Weg dar. Vielleicht sollten wir viel mehr auf die nachhaltige Erzeugung unserer Energie achten, z.B. auch lokal am eigenen Gebude. Bei solchen berlegungen sind wir als Planer zur Zeit pauschal an die Einhaltung der EnEV gebunden. Hier stellt sich beispielhaft die Frage, ob es um die Einhaltung der Verordnung oder das erzielte Ergebnis geht. Da wir als Architekten auf jede Projektsituation eigens eingehen, knnten wir auch individuelle Energiekonzepte entwickeln, welche die notwendigen Einsparungen bewirken und gleichzeitig Innovationen ermglichen, anstatt nur immer weiter die Dmmwerte der herkmmlichen Bauteile zu erhhen. (Der styroporgefllte Ziegelstein kann nicht das Ergebnis der Evolution sein.) Die Richtlinien fr die Ausfhrung von Konstruktionen werden von der Baustoffindustrie gesteuert und sind nicht von der Suche nach einfachen Lsungen getrieben. Viel fter von der Idee, einen ganzen Themenbereich mit den eigenen Produkten abzudecken, Regeln zu etablieren, die deren Einsatz unverzichtbar machen, Firmen auf diese Produkte zu schulen, die dadurch einen exklusiven Marktzugang erlangen, den Wettbewerb verengen und das Bauen stetig teurer machen. Fr uns Architekten fhrt das dazu, dass wir vermehrt auf Firmen stoen, die Bedenken zu individuell entwickelten Details anmelden und nur noch in Systemen denken. (Putzsysteme, Fassadensysteme, Dachsysteme). Wenn auch wir als Architekten in die Richtung gelenkt werden, nur noch Systemkomponenten miteinander zu kombinieren, knnen wir nicht zu einer Erneuerung beitragen. Wir mssen wieder die Oberhand ber das Detail gewinnen und selber denken drfen! Die Argumentation, dass das Bauen heute so kompliziert wre, dass es nur noch eine spezialisierte Industrie lsen und durchschauen kann, ist ber Jahre aufgebaut worden. Die Naturgesetze und die Grundbedrfnisse der Menschen sind dabei gleich geblieben. Nur die Anspruchshaltung an Bauten und das Sicherheitsbedrfnis wurden auch aus wirtschaftlichen Grnden - gesteigert. Die Idee Zpfe abschneiden, anstatt ber einzelne Haare zu streiten Der Panzer aus Richtlinien ist so dick und starr geworden, dass wir uns huten mssen, um uns wieder frei bewegen und in eine neue Richtung arbeiten knnen. Deshalb schlagen wir die Einfhrung einer neuen Kategorie fr Planungsaufgaben vor: Eine Gebudeklasse E, wie experimentelles Bauen oder experimental Building. Sie wird wie der Sonderbau neben den bestehenden Gebudeklassen im Art.2 BayBO eingefhrt. Dabei ist mit dieser Klassifizierung kein strenger Anforderungskatalog verbunden. Als experimentell kann der Versuch gelten, kostengnstig zu bauen, neue Wohnformen auszuprobieren, oder eben etwas vllig Neues zu versuchen. Wichtig ist, dass eine qualifizierte Planung durch einen Architekten durchgefhrt wird. Ein stark reduziertes Regelwerk ermglicht es Bauherren und Architekten Standards, Materialien und Ausfhrungsdetails so aufeinander abzustimmen, dass sinnvolle und nachhaltige Gebude zu bezahlbaren Kosten entstehen. Zur Nachhaltigkeit gehrt auch wesentlich eine gute Gestaltung und Abstimmung auf die Nutzerbedrfnisse. Durch die Einstufung solcher Projekte in die Gebudeklasse E" wird dem Mieter bzw. Kufer klar angezeigt, dass bei einem solchen Gebude nur wenige wesentlichen Regeln eingehalten werden, nicht aber smtliche Regeln, und daher keine Vortuschung falscher Tatsachen entsteht. Projekte der Klasse E knnen ohne ffentliche Ausschreibung mit regionalen Firmen entwickelt werden. Beispielsweise die Initiativen zum mehrgeschossigen Holzbau gewinnen fr die kostengnstige Umsetzung viel aus der Einbindung der ausfhrenden Handwerksbetriebe bereits im Entwurfsprozess. Verbindung zum Neuen Europischen Bauhaus Vielleicht auchE wie Europisches Bauhaus Der Gedanke eines Neuen Europischen Bauhauses kann eigentlich nur mit Leben gefllt werden, wenn er mit einer solchen Befreiung einher geht. Wie die Grnder des Bauhauses alle berlieferten Vorbilder und Standards hinter sich gelassen haben und mit seinerzeit ganz neuen Ideen das Design und das Bauen revolutioniert haben, so mssten auch Projekte eines neuen Europischen Bauhauses in einem freien, kreativen Prozess gefunden werden. Keine neue Brokratie, die zu zustzlichen Anforderungen und weiteren Richtlinien fhrt, ist hier zielfhrend, sondern nur Freiheit fr die planenden Architekten und die Bauherrn! Dabei knnte die Zsur der Pandemie zum Innehalten genutzt werden, um sich locker zu machen und in eine Zukunft zu steuern, die neue Konzepte frdert. Ein wesentliches Thema werden dabei der Klimawandel und die Bezahlbarkeit sein. Wenn wir dabei nicht die Hnde frei haben, wird die Baukultur dazwischen zerrieben. Was wir gewinnen knnen Freiheit fr Innovation und umweltbewusstes Bauen Die Gebudeklasse E gibt Bauherren die Mglichkeit experimentell, normenreduziert und damit kostengnstig zu bauen. Die Entbindung von vielen Richtlinien kompensiert er durch die Untersttzung eines Architekten, der mit seiner Kompetenz die Grundregeln des Bauens beachtet. Neue Mglichkeiten auch fr Bauherren und Firmen in Zusammenarbeit mit Architekten, die dann nicht mehr nur die notwendigen (lstigen) Planfertiger im Rahmen der Normen sind. Eine Architekturkultur, in der wir die Konstruktion konzipieren, mit Fachleuten besprechen, die Details und Materialien sinnvoll miteinander verbinden. Dabei werden Bauteile erzeugt, die durch normale mittelstndische Handwerksfirmen hergestellt werden knnen. Das hilft auch dem Wettbewerb und den regionalen und kleinen Baufirmen. Als Architekten knnen wir uns untereinander und mit der Gesellschaft solidarisieren, indem wir an einer neuen sozialen und umweltbewussten Wohn- und Arbeitskultur mitwirken. Durch einen leichteren Zugang fr die kleinen und mittelstndischen Handwerksbetriebe kann die Gebudeklasse E auch ein Mittel der regionalen Wirtschaftsfrderung werden. Wie kommen wir dahin? Wesentlich ist die Findung der Kernregeln, die beim Bauen mit E beachtet werden mssen. Die Findung der Regeln muss sehr simpel sein, sonst wird die Idee vom Gesetzgeber nicht als attraktive Mglichkeit akzeptiert werden und kann lange dauern. Mglich wre eine Reduzierung auf einen Teil der bestehenden Richtlinien oder wesentliche Schutzziele, z. B. die Anforderung der BayBO an den Brandschutz, die Standsicherheit und Werte fr die Energieeinsparung. Das Planen und Bauen kann damit ohne groen Kampf unkomplizierter werden. Alle Kollegen knnen in einer Umfrage z.B. die 10 wichtigsten Regeln / Prinzipien finden. Neben den bestehenden Gebudeklassen soll es in den Bauordnungen wie den Sonderbau auch den Experimentellen Bau geben; kombiniert mit den bestehenden Klassen fr den Brandschutz z.B. die Gebudeklasse E-3. E sollte befreit sein von der EU-weiten Ausschreibung durch eine Anhebung der Wertgrenzen fr diese Gebudeklasse und damit in die speziellen innovativen Projekte die regionalen Firmen einbinden. Angesichts der Coronakrise sind schon im Mrz die Wertgrenzen fr beschrnkte Vergaben nach VOB/A spontan auf 1 Mio. pro Gewerk erhht worden. Ausnahmen scheinen also durchaus mglich zu sein. aufgestellt am 18.11.2020, Florian Dilg

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