Mit seinem Verein Armut und Gesundheit unterstützt der Arzt Gerhard Trabert verschiedene Krankenhäuser und Institutionen in der Ukraine. 2022 reiste er selbst dorthin, sprach u.a. in Butscha mit Augenzeugen des Krieges. Nun hat er das "Manifest für den Frieden" von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer unterzeichnet. Im ausführlichen Interview spricht er über seine Beweggründe - und äußert einen konkreten Wunsch an Wagenknecht.+++ Der Sozialmediziner Gerhard Trabert besuchte mit seiner Organisation Armut und Gesundheit e.V. im Mai 2022 die Ukraine, hier gibt es dazu einen Bericht. Wer an Armut und Gesundheit spenden möchte, findet alle Infos dazu hier. Das folgende Interview wurde am 15. Februar 2023 geführt.+++ Herr Trabert, waren Sie schon mal in Russland? Leider nicht. Wir hatten mit unserem Verein „Armut und Gesundheit“ schon Kontakte nach St. Petersburg, wo das Problem der Straßenkinder ein großes ist, weil dort die Armut deutlich zunimmt. Es gab Pläne, dortige Sozialarbeiter zu unterstützen, aber das war u.a. sprachlich sehr schwierig. Ich hätte sehr gerne eine Kooperation mit Sozialarbeitern in Russland aufgebaut. Im Mai 2022 haben Sie die Ukraine besucht. Zum ersten Mal? Ja. Wir unterstützen seit über zehn Jahren eine Armen-Küche in Lwiw, doch die Reise mit Gregor Gysi im Mai 2022 war meine erste. Ich war in Lwiw, Kiew, Irpin und Butscha, wollte mir unbedingt einen eigenen Eindruck verschaffen und Hilfsgüter in die Ukraine bringen. Darunter war auch medizinisches Gerät für Krankenhäuser in Wyschhorod und Butscha. Was umfasst Ihr aktuelles Engagement in der Ukraine? Das Krankenhaus in Butscha unterstützen wir weiterhin, ebenso die Armen-Küche in Lwiw, die jetzt auch viele Binnenflüchtlinge versorgt. Außerdem schicken wir jeden Monat 10.000 Euro an die „Köche der Ukraine“, die Initiative eines Sterne-Kochs, der Essen für Opfer des Krieges organisiert, insbesondere in Gebieten mit zerstörter Infrastruktur. Darüber hinaus gibt es Kooperationen mit mehreren Kliniken in der Ukraine, wo wir die Behandlungskosten für Patienten übernehmen. Die Menschen, die Sie vor Ort getroffen haben, was haben die Ihnen über russische Soldaten erzählt? In den Gebieten, in denen russische Soldaten einmarschiert waren, hörte ich im Wesentlichen drei Einschätzungen: Die erste war, dass es Soldaten gab, die brutal, rücksichtslos und menschenverachtend waren. Dann gab es Berichte über Soldaten, die zwar aggressiv waren, aber mit denen man noch reden konnte – und schließlich Berichte über solche, wo Ukrainer gespürt haben: diese Soldaten sind nicht überzeugt von dem, was sie tun. In Butscha trafen wir einen Geistlichen, der bei russischen Übergriffen vor Ort war. Er hat uns ein Massengrab gezeigt und uns erklärt, dass darin neben Ukrainern auch acht russische Soldaten liegen. Für ihn war klar, dass auch den verstorbenen Gegnern so eine Bestattung gebührt. Ihm ging es nicht um Vergeltung sondern darum, wieder einen Weg zueinander zu finden und den Konflikt zu überwinden. Dieser Priester hatte selbst Gräueltaten miterlebt, ihm wurde das Haus zerstört. Dennoch hatte er diese Größe, selbst in so einer Situation einen Schritt in Richtung Aussöhnung zu gehen. Das hat mich menschlich sehr beeindruckt. Haben Sie Menschen in der Ukraine getroffen, die bereit wären, einen Teil ihres Landes Russland zu überlassen? Die meisten Menschen sind sicherlich der Auffassung es ist unser Territorium, wir müssen die gesamte Ukraine zurückerobern. Aber ich habe auch Menschen erlebt – ohne dass ich das als eine Akzeptanz der Gebietsverluste bewerte – die gesagt haben: Wir sind müde, wir können nicht mehr, wir wollen das Friede kommt, wir sind am Ende. Bitte sorgt dafür, dass es einen Waffenstillstand gibt. Dieser Wunsch war deutlich zu vernehmen, gerade in Regionen, die permanentem Beschuss ausgesetzt sind, wo Menschen in ständiger Todesangst leben. ZitiertMan muss jetzt einen deutlichen Schritt in Richtung Verhandlungen und Waffenstillstand gehen, auch wenn das für viele ungerecht erscheint.Von Putin und der aktuellen Clique im Kreml geht ganz klar eine Gefahr aus, die wir bekämpfen müssen. Aber ich bin mir unsicher, ob das wirklich nur mit Waffen geht.Was ich in der Ukraine für problematisch halte, ist der Umgang mit Kriegsdienstverweigerern.Gerhard TrabertNächstes Zitat Das „Manifest für den Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, welches Sie unterschrieben haben, bezeichnete ein taz-Journalist als ein „Manifest der Unterwerfung“. Was entgegnen Sie dem? In dem Manifest steht explizit: Verhandeln heißt nicht Kapitulieren. Verhandeln bedeutet, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Das ist keine Unterwerfung, sondern dem geschuldet, dass Krieg nie Gewinner generiert, sondern immer nur Verlierer, bezogen auf die Menschen. Rüstungskonzerne in beiden Konfliktblöcken sind allerdings die großen Gewinner! Mir fällt in diesem Zusammenhang immer sofort das Zitat von dem ermordeten Sozialistenführer Jean Jaurès ein: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ Wenn ich die von Ihnen erwähnte Äußerung lese, frage ich mich, ob der Autor schon mal in einer Kriegsregion war? Ich war als Arzt in Afghanistan, im Irak, Syrien, Liberia und Angola. Ich habe so oft das Leid der Zivilbevölkerung miterlebt, auch in Flüchtlingslagern ob in Afghanistan oder Slowenien nach dem „Jugoslawien-Konflikt“. Diese Traumatisierung, von Kindern und Erwachsenen, der allgegenwärtige Tod, die vielen Schwerverletzten, der Fakt, dass es durch Kriegsumstände zu vielen Früh-, Fehl- und Totgeburten kommt, haben mich zutriffst betroffen gemacht und sensibilisiert. Ich kann und möchte nicht abstrakt über diese Dinge sprechen, deswegen war ich vor Ort, ich bin emotional sehr nah bei diesen Menschen. Daher ist für mich das wichtigste Ziel, weiteres Leid und Töten zu verhindern. Und das geht nur, wenn man verhandelt und nicht immer weiter nur aufrüstet. Sind Sie grundsätzlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine? Nein, ich war nie per se gegen Waffenlieferungen, das steht auch so nicht in der Petition. Die Petition fordert den Bundeskanzler auf, „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“. Ich habe mir das genau durchgelesen. Mein Standpunkt ist: In einer frühen Phase eines Krieges durch einen Aggressor, wie es Putin ist – das war auch in Jugoslawien und anderen Regionen so – muss ich diesem Aggressor militärisch entgegentreten können, vor allem, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Aber nach dieser Akut-Phase muss es eine Phase des Verhandelns geben. So wie es im Moment weitergeht, wenn jetzt bereits über Kampfjets gesprochen wird, wird man den Krieg nicht zeitnah beenden können: Wohin soll das führen? Ich möchte auch zu Bedenken geben, dass der Einsatz deutscher Panzer gegen Russland in der russischen Bevölkerung viel negative Emotionen provozieren und von der russischen Propaganda instrumentalisiert werden kann. Deutschland hat hier aufgrund der Geschichte eine besondere Verantwortung, mit diesem historischen Kontext müssen wir bewusster umgehen. Nun gibt es das Argument, dass Waffenlieferungen der Ukraine auch eine starke Verhandlungsposition ermöglichen. Natürlich muss eine gewisse Stärke, auch militärische Stärke, vorhanden sein. Aber bitte nicht dieses immer mehr eskalieren in puncto Waffenlieferungen und Phantasien wie wir müssen Russland besiegen oder wir müssen diese Gebiete zurückerobern. Denn das ist momentan nicht möglich und die Kämpfe verursachen nur Leid, Tod und Vernichtung. Verstehe ich richtig: Sie werfen nicht nur Russland Eskalation vor, sondern auch der Ukraine und ihren Partnern? Der Aggressor und militärisch eskalierende Akteur ist eindeutig Russland. Ich verstehe natürlich den Wunsch der Ukraine, diese Gebiete zurückzuerobern. Doch in meinen Augen ist es wichtig, dass die Partner der Ukraine deutlich machen, dass dieser Kurs sehr, sehr wahrscheinlich zu einer weiteren Eskalation führt. Man muss jetzt einen deutlichen Schritt in Richtung Verhandlungen und Waffenstillstand gehen, auch wenn das für viele ungerecht erscheint. Mit so einem Schritt verbinde ich auch die Hoffnung, dass sich innenpolitisch in Russland etwas verändert, da der Westen nicht mehr nur als Waffenlieferant dargestellt werden kann. Sie denken, dass Russland in ein paar Jahren der Ukraine gegenüber wieder friedlich gesinnt ist? Ich habe die Hoffnung, dass demokratische Kräfte in Russland gestärkt werden und die besetzten Gebiete vielleicht in zehn, 15 oder 30 Jahren zurück an die Ukraine fallen. Zum heutigen Zeitpunkt ist das meiner Meinung nach eine Illusion. Außerdem: Wenn wir uns für Verhandlungen aussprechen, sendet das auch ein Signal an die Zivilbevölkerung in Russland. Im Moment werden russische Bürger ja ständig mit der Botschaft manipuliert, dass der Westen nur an einer Eskalation interessiert ist und Russland besiegen will. In diesem Kontext ist es wichtig, zu signalisieren, dass der Westen weder an Eskalation noch an einem Sieg gegen Russland interessiert ist, sondern an Frieden. Wie ist denn Ihre persönliche Einschätzung, wie und ob Russland überhaupt verhandeln will? Ich weiß nicht, was alles auf der diplomatischen Ebene geschieht. Ich glaube nicht, dass Russland sich diesen Krieg ewig leisten kann. Wir sehen doch auch, dass der Widerstand in Russland größer wird, dass viele russische Männer geflohen sind, um nicht diesen sinnlosen Krieg zu unterstützen. Auch Putin wird sich den kritischen Stimmen auf Dauer nicht verweigern können. Und der Druck auf Putin wird meiner Meinung nach erhöht, wenn der Westen immer wieder signalisiert: Wir wollen über Frieden und Waffenstillstand verhandeln. Also nicht Waffen stoppen Putin sondern Verhandlungsangebote? Die permanenten Waffenlieferungen stärken seine Position, weil er das instrumentalisiert. Friedensangebote hingegen würden ihn innenpolitisch schwächen. Das setzt ihn mehr unter Druck, als wenn der Westen ständig Waffen schickt. Nehmen wir Gorbatschow als Beispiel: Wer hätte gedacht, dass er, das die scheinbar schlummernden innenpolitischen Kräfte, die Sowjetunion so sehr verändern können? Wer hätte gedacht, dass Mahatma Gandhi gegen die damalige Militär-Weltmacht eine friedliche Revolution einleiten kann? – Wir brauchen mehr Glauben an den Frieden und Kreativität im Dialog. Natürlich kann man mir jetzt vorwerfen, ich sei naiv. Aber manchmal frage ich mich: Wer ist hier eigentlich naiv? Sind es nicht diejenigen, die glauben, dass man mit immer mehr Waffen etwas erreichen kann, dass man eine brutale Atommacht militärisch besiegen kann? Die Kritik an der Petition ist in Deutschland jedenfalls laut und deutlich. Ich finde es erschreckend, dass man sich in Deutschland mittlerweile verteidigen muss, wenn man für Friedensinitiativen ist, dass diese Petition undifferenziert verurteilt und Unterzeichner stigmatisiert wurden und werden. Ich setze mich respektvoll auseinander mit all jenen, die für Waffenlieferungen sind. Umgekehrt erwarte ich, dass man sich mit denen, die eine andere Option für sinnvoll erachten, genauso respektvoll auseinandersetzt. Und dass wir am Ende gemeinsam versuchen herauszufinden: Was ist in der aktuellen Situation sinnvoll und notwendig? Momentan bewegen sich viele sehr unreflektiert in diese Aufrüstungsspirale hinein. Und dagegen wollte ich ein klares Statement setzen. Auch ich bin mir bei vielem unsicher und empfinde eine gewisse Hilflosigkeit. Aber die Stimmen für den Frieden und für Verhandlungen müssen im Westen lauter werden, davon bin ich überzeugt. Sie erwähnten Gorbatschow: Der wird in Russland inzwischen weniger verehrt als Stalin. Die Organisation Memorial, welche sich mit den Verbrechen der Stalin-Zeit auseinandersetzte, sich um deren Opfer kümmerte, wurde verboten. Der unabhängige Journalismus in Russland ist weitgehend lahmgelegt usw. Russlands Weg unter Putin scheint doch in eine ganz andere Richtung zu gehen. Wo ist da die Hoffnung? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber Sie haben Recht, diese Entwicklung haben wir seit vielen Jahren beobachtet – und solange es wirtschaftliche Kooperation gab, hat man sie negiert. Natürlich hätte man sich viel früher hierzu positionieren müssen, das sind Fehler, die der Westen, die Deutschland gemacht hat. Ich hoffe, dass wir aus diesen Fehlern lernen und noch genauer hinschauen, wie das mit der Einhaltung der Menschenrechte ist, mit Presse- und Meinungsfreiheit usw., auch bei anderen Partnern wie Saudi-Arabien und der Türkei. Wir müssen in Zukunft genau angucken, mit wem wir kooperieren, uns dabei an der Einhaltung der Menschenrechte orientieren und die Kritik vehementer und klarer äußern, wenn diese universellen Rechte verletzt werden. Die Entwicklung in Russland geht tatsächlich in eine ganz andere Richtung. Aber ich glaube, es ist wichtig, Menschen zu überzeugen mit unserer Auffassung von Gesellschaft, mit den Stärken einer Demokratie. Diese Werte müssen wir in die Zivilbevölkerung Russlands transportieren – soziale Medien stellen da eine wichtige Ressource dar. Sie denken, Botschaften aus dem Westen treffen in Russland noch auf offene Ohren? Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Russen diesen Kurs von Putin weiterhin und fortlaufend unterstützen wird. Für mich geht es jetzt darum: Wie können wir Bestrebungen für den Frieden auch in Russland unterstützen? Das funktioniert nicht, in dem wir immer nur mit Waffen drohen und uns nur auf die Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld konzentrieren. Sondern wir müssen mit unserer demokratischen Wertorientierung, mit dem Einhalten von Menschenrechten überzeugen, um den innenpolitischen Widerstand in Russland zu fördern. Und wie können wir die russische Zivilbevölkerung erreichen? Das ist schwierig, ich habe die Bedeutung von sozialen Medien schon erwähnt. Wir haben zudem als ein Beispiel viele junge Russen, die nach Deutschland geflohen sind in vielen Communities. Die dürfen wir nicht zurückschicken sondern müssen Sie als Flüchtlinge anerkennen und ihnen unsere demokratischen Werte vermitteln. Mich interessiert aber vor allem, wie man jene erreicht, die in Russland sind und den Kreml-Kurs unterstützen Mit der Unterstützung jener Russen, die nach Deutschland geflohen sind, erreichen wir, zumindest teilweise, auch die Zivilbevölkerung vor Ort. Da gibt es Vernetzungen und Kommunikationsstrukturen in die russische Heimat. Doch das sind leider oft zerrüttete Verhältnisse, viele Geflohene sprechen nicht mehr mit ihren Eltern über den Krieg. Was halten Sie von Botschaften, wie sie Arnold Schwarzenegger kurz nach Kriegsbeginn aufgenommen hat? Alle Formen und Möglichkeiten der Kommunikation und Information, die die russische Bevölkerung erreichen können, sind elementar wichtig. Solche Botschaften, von gerade eben in Russland bekannten Persönlichkeiten, sind natürlich wichtig. Schwarzenegger hat das sehr gut gemacht. Da bräuchte es mehr Initiativen, zum Beispiel auch von der Musikgruppe Rammstein. Gregor Gysi hat es versucht … doch Sahra Wagenknecht, die in Russland zu den bekanntesten deutschen Politikern gehört, deren Videos mit russischer Übersetzung hohe Klickzahlen haben, hat bislang keinen Friedensappell an russische Bürger gerichtet. Ich würde mir dies auch von ihr sehr wünschen. Ein anderes Thema wäre der Sport: Russische Sportler pauschal von Wettkämpfen auszuschließen finde ich nicht richtig, denn auch da gibt es Akteure, die diesen Krieg verurteilen. Ich sehe dies im Kontext demokratische antimilitärische Auffassungen in Russland oder von russischen Staatsbürgern zu unterstützen. Ebenso müssen wir mit jenen gebürtigen Russen, die schon länger in Deutschland leben, in Dialog treten. Es muss viel mehr gesprochen und ausgetauscht werden. Wir müssen mit den Inhalten unserer demokratischen Gesellschaftsform überzeugen und nicht schwerpunktmäßig mit unserer militärischen Macht. In den russischen Staatsmedien wird dem Westen mittlerweile fast täglich mit Zerstörung gedroht. Ein Moderator formulierte vor wenigen Tagen „Es gibt nur eine Friedensformel für die Ukraine, die Liquidation der Ukraine als Staat“. Lässt Sie das nicht an einem möglichen Entgegenkommen der Russen zweifeln? Solche Verlautbarungen müssen ernst genommen werden, stellen aber leider auch eine übliche Kriegspropaganda und Kriegsrhetorik dar. Putin muss auch immer weiter in diese Richtung gehen, gerade weil er weiß, dass der Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt. Deswegen muss er immer mehr solche Maxime ausgeben. Für mich ist das ein Zeichen der Schwäche und diese muss man nutzen, in dem man Verhandlungswillen zeigt, anstatt mit ihm in diese Eskalationsspirale einzutreten. Man muss klarstellen: Die Ukraine hat ein Existenzrecht und wir werden immer an der Seite der Ukraine stehen. Aber es ist auch die Zeit gekommen, das Leid, das Sterben auf ukrainischer und russischer Seite zu beenden. Für mich ist es alternativlos, die Karte des Waffenstillstands auszuspielen. Die wird mir viel zu wenig gespielt. Aber kann man diese Karte spielen, wenn einer der wichtigsten Befehlshaber Russlands, Ramsan Kadyrow, davon spricht, bis Polen marschieren zu wollen und davon, dass man Ostdeutschland wieder besetzen müsste? Sehen Sie darin nur Parolen, keine echte Bedrohung? Natürlich ist das eine Bedrohung, ich will das nicht relativieren oder verharmlosen, natürlich müssen wir das ernst nehmen. Aber wie können wir so jemandem mehr schaden? In dem wir immer weiter auf Eskalation setzen? Oder in dem wir das, was Putin dem Westen unterstellt, klar widerlegen? – Das ist für mich eine entscheidende Frage. Von Putin und der aktuellen Clique im Kreml geht ganz klar eine Gefahr aus, die wir bekämpfen müssen. Aber ich bin mir unsicher, ob das wirklich nur mit Waffen geht. Sahra Wagenknecht weist häufig den USA eine Mitschuld an diesem Konflikt zu. Welche Rolle spielen für Sie die USA beim Ukraine-Krieg? Natürlich spielen die USA eine große Rolle. Aber ich bin dagegen, ständig mit dem Finger auf die USA zu zeigen, weil diese in vielen Facetten nicht unberechtigte Kritik instrumentalisiert wird und damit von den Verantwortlichkeiten Russlands für diesen Krieg ablenken kann. Ja, ich sehe bei den USA auch geopolitisch orientierte Tendenzen, dem Gegenspieler Russland, was Machtambitionen im Weltranking angeht, massiv schaden zu wollen. Doch die Lage, in der sich Russland zurzeit befindet, hat der Kreml selbst zu verantworten. Natürlich hat die Nato in der Vergangenheit Fehler gemacht und man hätte das, was Putin in der Vergangenheit gesagt hat und an militärischen Aktionen wie zum Beispiel in Tschetschenien, Georgien oder Syrien praktiziert hat, anders bewerten und ernster nehmen müssen. Aber das spielt jetzt keine Rolle, es hilft nicht weiter. Egal wie man über die USA denkt, dass Russland hier der Aggressor ist und diesen Krieg begonnen hat, ist unstrittig und darf nicht relativiert werden. Trotz oder gerade aufgrund all dieser Aspekte müssen wir diesen Krieg in einen Waffenstillstand, in einen Frieden überführen, um Menschenleben zu retten. Sie waren in Butscha. Was denken Sie über die Behauptung Russlands, die dortigen Verbrechen seien vom Westen inszeniert gewesen? Das ist nicht glaubwürdig. Ich habe mit vielen Ukrainern dort gesprochen, deren tiefe Betroffenheit erlebt – sollen diese Menschen etwa auch alle manipuliert sein? Nein, ich bin überzeugt, dass die russische Armee diese Verbrechen begangen hat. Was ich allerdings zum Beispiel auch in der Ukraine für problematisch halte, ist der Umgang mit Kriegsdienstverweigerern. Auch in einem Land, das in die EU möchte, das in einen Krieg involviert ist, muss es für junge Männer die Möglichkeit geben, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Im Moment drohen Verweigerern in der Ukraine Haftstrafen bis zu fünf Jahren. Das wird in den Medien leider kaum thematisiert, wäre aber sehr wichtig. Es muss möglich sein, den Kriegsdienst zu verweigern, ohne dafür eingesperrt zu werden. Ich bin selbst Kriegsdienstverweigerer und nach wie vor der Meinung, dass es einen Zwang, auf andere Menschen zu schießen, nicht geben darf. Die Menschen, die Sie in Butscha, Irpin oder Lwiw getroffen haben: Glauben Sie, dass die auch unter russischer Besatzung ihren Frieden finden würden? Das weiß ich nicht. Mir ist wichtig, dass dieses Leid so schnell wie möglich gestoppt wird. Wenn ein Teil eines Landes besetzt oder abgeschnitten wird, ist natürlich die Befürchtung, dass es nie zu einem dauerhaften Frieden kommt. Dennoch denke ich, dass es jetzt wichtig ist, und ich wiederhole mich, zu einem Waffenstillstand zu kommen. Und dabei längerfristig mit diplomatischen Strategien und mit langem Atem eine „Wiedervereinigung“ der ukrainischen Territorien anzustreben. Wie stehen Sie zu den Sanktionen, die viele Länder gegenüber Russland verhängt haben? Einerseits finde ich Sanktionen immer sinnvoller als Kanonen. Das ist richtig, es schwächt das davon betroffene Land. Auf der anderen Seite ist klar: Menschen, die in Armut leben, werden von Sanktionen immer besonders schwer getroffen. Putin treffen sie nicht, aber die Zivilbevölkerung leidet darunter. Auch deswegen wären Botschaften an russische Bürger so wichtig, um ihnen dieses Handeln zu erklären – in der Hoffnung, dass sich der Widerstand der Zivilbevölkerung gegen dieses Regime vergrößert, und zugleich das Leid der Menschen in der Ukraine, aber auch in Russland reduziert.
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