Grenzen wahren und ab dafür

Wie ich am Wochenende die Grenze meines Kindes verletzte und warum Erwachsene anfangen müssen Kinder als gleichwürdige Interaktionspartner*innen zu betrachten "Ich hasse dich", schreit das Kind. Gut. Dann hass mich doch. (Zur Info: das Kind hatte uns erneut angelogen und heimlich gezockt. Erneut.) "Und jetzt hast du Hausarrest", schreie ich zurück. - Sehr gut, Frau Kuhnert! Eine Glanzleistung an elterlicher und pädagogischer Kompetenz. Und nun ist das Kind seit Tagen sauer und sagt, zu Recht, ich hätte seine Grenze verletzt und ihn in seinen Freiheitsrechten beschnitten. Strafen seien dumm und sinnlos, sagt er. "Weiß ich selber", donnere ich ihm entgegen. Blöd nur, dass dieses Kind fast 12 ist und leider sehr gut argumentieren kann. Noch blöder, dass er auch noch zuhört, wenn ich über Würde, Respekt und Augenhöhe spreche. Und besonders blöd, dass ich genauso unüberlegte Erziehungsmaßnahmen ergreife, wie meine Eltern. Argh. Und jetzt erstmal Kaffee. Erster Schritt - Anerkennen Analyse der eigenen (Fehl-)LeistungGleich werden sich die Ersten aufregen: sie spricht von Fehlleistung, dabei hat sie doch dem Kind nur Grenzen aufgezeigt?! - Naja, Butter bei die Fische: ich, ich, ICH war sauer. Unüberlegt. Und wütend. Der Pubertierende hat erneut meine Nähe zu ihm ausgenutzt und mich ausgetrickst. Und wenn ich ehrlich bin, dann hab ich mich als Autoritätsperson nicht ernst genommen gefühlt. So, und nun face to face zu mir selbst: Nur weil ich älter bin, hab ich kein Recht willkürlich sinnlose Strafen zu verhängen. Ich hätte Konsequenzen aufzeigen müssen, die mit seiner unerlaubten Zockerei und seiner Schwindelei korrespondieren. So hab ich einfach in die uralte Straf-Mottenkiste gegriffen und zu einer Erschütterung beim Kind beigetragen. Er hat bis dato darauf vertraut, dass ich mich selbst daran halte, was ich auf Arbeit und Zuhause predige: Strafen machen keinen Sinn, sind im Grunde immer grenzverletzend oder sogar grenzüberschreitend und zeigen dem Kind nur auf, dass es sich in einem ungleichen Machtgefälle mit mir befindet und keine Chance gegen mich hat. Konsequenzen hingegen, allen voran die natürlichen, haben a) einen direkten Bezug zur Situation und b) sind sie im besten Falle mit dem Kind abgesprochen und selbst gewählt. Zweiter Schritt - Ideen zur VeränderungIch finde mich wieder in einem Gespräch mit verschiedenen Pädagog*innen. (Natürlich suche ich Beratung und Abgleich: zwischen meiner Wahrnehmung, meinen Entscheidungen und den Ideen, der Fremdwahrnehmung der anderen. Nicht immer schön, nicht immer gut auszuhalten. Gehört aber dazu.) Mir verinnerlicht ist der Anspruch, Zuhause mit den Kindern KEIN System zu etablieren, das in sich geschlossen ist und niemanden reinschauen lässt. (Ansonsten laufen Erwachsene Gefahr, mit den Kindern/den Schutzbefohlenen schalten und walten zu können, ohne dass ein Korrektiv nochmal drauf schauen könnte.) Natürlich ist das kein Generalverdacht gegenüber Erwachsenen, der Familie und pädagogischen Fachkräften. Aber ich empfinde es als Bereicherung und als Schutz meiner Kinder und meiner Selbst, dass nicht nur ich entscheide und agiere. Sondern sicher sein kann, dass gegebenenfalls jemand eingriffen würde, wenn ich mich in meiner Wahrnehmung und meinen Entscheidungen verrenne. Ich bitte das enttäuschte Kind an den Tisch mit mir und will mich entschuldigen.Versuchen Sie, Ihrem Kind klar zu machen, dass Ihnen gewisse Grundregeln im Umgang mit Medien wichtig sind und zeigen Sie dafür Flexibilität an anderer Stelle. (Illy/Florack 2018)Meine Idee: Ich will mit dem Kind über den Vertrauensbruch sprechen und gemeinsam mit ihm überlegen, wie wir besser miteinander und den Medien umgehen können. Dritter Schritt - UmsetzungNach einem sehr guten Gespräch und einer Entschuldigung meinerseits, dass Hausarrest weder zielführend noch sinnvoll war, gibt Konrad, DAS Kind, mir den entsprechenden Hinweis. Er möchte gern in unserem Familienbuch fest etablierte Regeln einschreiben, auf die er sich berufen kann. Und die ihm Verlässlichkeit im Alltag geben, selbst wenn wir nicht anwesend sind. Für ihn besteht das Verletzen der Grenze nicht nur darin, dass ich ihn im Zimmer "eingesperrt" habe, sondern dass er auch permanent auf unsere Willkür und unser Wollen angewiesen war, wenn es darum ging, seine Medien, wie Handy, Tablet und Nintendo nutzen zu dürfen. Abhängigkeit von Kindern gegenüber Erwachsenen aber, predigen wir Pädagog*innen immer, muss konstant überprüft und reflektiert werden. Sie darf nicht von uns Erwachsenen ausgenutzt werden, nur weil wir älter, größer und demnach machtvoller sind. Das klingt in den Ohren mancher Pädagog*innen und Familie drastisch, bezieht sich aber auf die Lebensrealität vieler Kinder, die andauernd auf den Good-Will der "Alten" setzen müssen, anstatt gleichwürdig und auf humanitärer Augenhöhe verhandeln zu können. Ja, das kostet (mehr) Kraft und ja, das ist anstrengend(er), als autoritär zu entscheiden. Und gleichzeitig ist das der Grundstein zu demokratischer Menschenrechtsbildung. Vierter Schritt - Reflexion unter modernen GesichtspunktenIm Kontext von Medienbildung und Medienerziehung macht es das Begleiten der Kinder nun schwer. Es gibt noch keine jahrzehntelang reflektierte Handlungspraxis und wir Eltern schwimmen eben manchmal. Oder nein - die Oberpädagogin Anne Kuhnert, a.k.a. ich, schwimmt und weiß eben manchmal nicht mehr weiter. Ich will das Kind vor den unvorstellbaren Dimensionen des WorldWideWeb schützen und ihn nicht sehenden Auges in eine Sucht rennen lassen. Und weil ich nun auch mit meinem Latein am Ende bin, suche ich mit Konrad die deutschlandweit erste Videospiel-Sprechstunde für Kinder und Jugendliche von Dr. Daniel Illy im St. Jospeh Krankenhaus im Berlin Tempelhof auf. Beratung kann den besten Familien und tollsten Pädagog*innen nicht schade, denk ich. Und was erfahre ich: es ist und bleibt ein harter Weg UND wir müssen ihn gemeinsam mit unseren Kindern gehen. Dr. Illy stimmt mir zu: wir dürfen nicht strafen und machtvoll agieren. Wir müssen gemeinsam Lösungen und Absprachen finden, die das Zocken ermöglichen, ohne das es zur Sucht wird und das harmonische Zusammenleben mit Teenies gefährdet (Tipp: Das Zusammenleben gestaltet sich zumeist alles andere als harmonisch.)Und nun kommt endlich das Kind zu Wort...Konrad, fast 12 und großer Fan des Internets und seinen Möglichkeiten Also Schuld war eigentlich nur meine Schwester Magda, weil sie mich verraten hat. Dann hab ich Hausarrest bekommen. Das fand ich richtig Sch***, wegen Freiheitsberaubung und so. Ich dann so: "Pfff, juckt mich nicht. Ich geh trotzdem raus." Dann hab ich mich raus geschlichen und mit Lino Klingelstreiche im Haus gemacht. Dann kam meine Mutter runter und meinte: "Konrad, komm sofort wieder hoch. Und Lino - geh zu M." Dann war ich so zu jedem F** you und so richtig Sch*** drauf, weil kein Boy, mit dem ich spielen konnte, da war und ich nichts hatte, mit dem ich spielen konnte. Meine Mutter hatte ja alles weggenommen, womit es Spaß macht, alleine zu spielen. (*Anmerkung der Mutter: hier sind Konsole, Handy und Tablet gemeint.) Hausarrest ist einfach nur FREIHEITSBERAUBUNG. Nichts anderes.Falls ihr Kinder habt, solltet ihr nicht sagen: Hausarrest und auch nicht alles, was oder mit wem es Spaß macht beim Spielen, wegnehmen.Tut mir einen Gefallen, und macht sowas nicht, bitte. Danke. Kinder als gleichwürdige Interaktionspartner*innenDas Kind saß insgesamt eine Stunde an meinem Rechner und tippte sein Erleben in den Rechner. Ich schlich grübelnd im Hintergrund, weit entfernt von ihm, herum und musste mich damit auseinander setzen, dass ich versprochen hatte, was immer er schreibt, auch öffentlich stehen zu lassen. Nun brauche ich wohl Vertrauen. Vertrauen in die Beziehung zu meinem Kind. Am Ende bin ich stolz auf ihn. Dass er so viel besser als ich reflektieren kann und benennen kann, was ihn enttäuscht hat und er als ungerecht empfand. Und ich bin ebenso dankbar, dass ich Konrad zeigen konnte, dass auch Erwachsene Fehlentscheidungen treffen und sich entschuldigen können. Dass auch Erwachsene mit Kindern gemeinsam überlegen können, welche Regeln Zuhause gelten und dass Grenzverletzungen, egal von wem, eines kritischen Feedbacks bedürfen. Und was machen wir nun? Wir haben feste Regeln, dass an zwei Tagen in der Woche gar nicht gezockt wird. Das heißt aber auch, dass sich die Erwachsenen hier ebenso daran halten müssen. An den anderen Tagen gilt: erst die Schule, die Aufgaben Zuhause und Kontakt mit der Familie, dann max. 1h zocken. Das Ganze auch nur, wenn es mindestens einmal die Woche einen Ausgleich in Form von Sport gibt. Konrad will gern boxen. Gut, denk ich. Wäre nicht so mein's. Aber mir wurscht. Dann eben boxen. Und den Rest loten wir aus, probieren wir und schreiben hier davon. LiteraturUnd weil ich immer wieder nach Tipps und Tricks, nach Literatur und Texten gefragt werde, geb ich hier mal meine Top 5 weiter, die mich immer wieder stärken und mir das Gefühl geben, nicht ganz allein zu sein. Illy, Dr. Daniel/Florack, Jakob (2018): Ratgeber Videospiel- und Internetabhängigkeit. Elsevier Verlag Juul, Jesper (2019): Nein aus Liebe - Klare Eltern, starke Kinder. Beltz Verlag Juul, Jesper (2010): Pubertät - wenn erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten. Kösel Verlag Kokemoor, Klaus (2019): Das Kind, das aus dem Rahmen fällt. Fischer Gann Verlag Korczak, Januzs (2018): Wie man ein Kind lieben soll. Vandenhoeck Ruprecht Verlag Largo, Remo (2013): Jugendjahre. Kinder durch die Pubertät begleiten. Piper Verlag Und falls alle Stricke reißen, dann kann das Ding auch Wunder bewirken. Denn wenn die Zockzeit vorüber ist, wird alles eingeschlossen und führt zu keinem heimlichen Verstecken mehr. Es ist schließlich nicht mehr erreichbar: Tresor, Safe und Rettung des Familienfriedens in Einem

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