Im Dezember vor 175 Jahren verabschiedete die Nationalversammlung zum ersten Mal Grundrechte für die Menschen. Mit den neuen Freiheiten konnte auch das Handwerk seine Positionen selbstbewusst vorbringen – eine Galionsfigur der Revolution half dabei, die Forderungen bekannt zu machen. Von Frank Muck Die Frankfurter Paulskirche war 1848 Sitz des ersten frei gew hlten Parlaments in Deutschland. - Jean Nicolas Ventadour, Public domain, via Wikimedia Commons Als Carl Schurz – Revolutionär, Freiheitskämpfer und späterer US-amerikanischer Innenminister – seinen Professor Johann Gottfried Kinkel 1850 aus dem Zuchthaus Spandau befreit hatte, waren die Revolution und die erste deutsche Nationalversammlung von 1848 schon wieder Geschichte. Der Literaturprofessor und Schriftsteller Kinkel war wegen der Beteiligung an revolutionären Aufständen zu lebenslanger Festungshaft verurteilt worden. Bekannt wurde er aber nicht nur als Galionsfigur der Revolution. In deren Gefolge hatte er sich zwei Jahre zuvor leidenschaftlich für das Handwerk eingesetzt. Denn Anlass für Hilfe gab es genug. Zwischen 1815 und 1848 litten die Menschen im damaligen Deutschen Bund unter den Nachwirkungen der napoleonischen Kriege, Missernten und Seuchen sorgten für Unruhen und Revolten. Das Land war zersplittert in kleine Fürstentümer und Königreiche. Die feudalen Strukturen lähmten die Modernisierung der Landwirtschaft, behinderten den Ausbau von Verkehrsnetzen und die Einführung neuer Technologien, beschreibt Harald Steindl die damalige Situation. Der Rechts- und Wirtschaftshistoriker hat sich eingehend mit der sozialen Lage in der Zeit vor der Nationalversammlung 1848 und mit der Entstehung von Gewerbevereinen auseinandergesetzt. Der aufkeimende Nationalismus sei auf den Widerstand reaktionärer Regierungen gestoßen. Nicht nur an den Universitäten habe es rumort. Die Masse der Einwohner war verarmt. Kindersterblichkeit, Hunger und katastrophale hygienische Verhältnisse hätten den Alltag bestimmt. "Die städtischen Handwerker lebten von der Hand in den Mund", sagt Steindl. Arbeitssuche als Überlebenskampf Die tägliche Arbeitssuche sei ein reiner Überlebenskampf gewesen. Am wohlhabendsten seien noch die Nahrungsmittelhandwerke wie Müller, Bäcker, Fleischer und Brauer gewesen, die neben dem Gewerk noch eine Gastwirtschaft führten. Traditionelle Gewerbe, besonders im Landhandwerk, wie Weber, Leinenmacher, Färber, Walker, Gerber, aber auch Kleineisenproduktion (Sensen, Sicheln, Nägel) seien massiv unter Druck geraten, weil ihre Erzeugnisse durch maschinelle Produktion plötzlich deutlich billiger zu haben waren. "Baumwolle ersetzte Schafwolle, ganze Talschaften in Schlesien, im Erzgebirge wurden schlagartig brotlos", sagt Steindl. "Einziger Ausweg: Fabrikarbeit, Landflucht und Auswanderung." Johann Gottfried Kinkel - ETH-Bibliothek Z rich, Bildarchiv Verschärfend zur Industrialisierung wuchs die Bevölkerung explosionsartig. Laut dem Historiker Wolfram Siemann stieg die Zahl der Menschen in den deutschen Staaten zwischen 1815 und 1849 um mehr als 50 Prozent und damit natürlich ebenso deutlich die Zahl der Konkurrenten im Handwerk. In Preußen etwa vermehrten sich demnach die Meisterstellen von 1816 bis 1840 um 53 Prozent (von 259.000 auf 396.000), die Zahl der Gesellen und Lehrlinge um 93 Prozent, während die Bevölkerung um rund 40 Prozent zunahm. Ursächlich gerade für die Zunahme an Gesellen war die Liberalisierung der Gewerbegesetze. Die Gewerbefreiheit erleichterte es, sich im Handwerk selbstständig zu machen, ohne einer Zunft anzugehören. Soziale Not erwuchs also nicht allein aus der Industrialisierung. Die einzelnen Betriebe hatten insgesamt weniger Arbeit und mehr Konkurrenz. Viele Handwerker sahen die alten Zunftregeln in Gefahr. Umso mehr protestierten sie gegen Gewerbefreiheit und Freizügigkeit. Es kam zu Aufständen und dem Ruf nach Reformen Während sich also wirtschaftlich zum Beispiel mit dem Abbau von Zollgrenzen und technisch mit der Verbreitung der Dampfmaschine und der Erfindung der Eisenbahn epochale Entwicklungen vollzogen, litt die Gesellschaft unter Verarmung und politischem Rückschritt. Der Adel und die Monarchen verboten politische Organisationen und schlugen revolutionäre Unruhen nieder. Doch immer wieder, vor allem im Nachgang zur Julirevolution 1830 in Frankreich, kam es auch in vielen Ländern Deutschlands und Europas zu kleineren Aufständen und dem Ruf nach Reformen. Um ihre Interessen zu schützen, gründeten Selbstständige Handwerker- und Gewerbevereine. Parallel dazu bündelten sich Studenten in Burschenschaften und fanden sich Arbeiter ebenfalls in Vereinen zusammen. Als die Menschen in den Staaten des Deutschen Bundes im Frühjahr 1848 für eine Veränderung der Machtverhältnisse und die Gewährung von Grund- und Freiheitsrechten eintraten und sich erhoben, machten die Monarchen Zugeständnisse. Die Zensur wurde aufgehoben, politische Aktivitäten zugelassen und reformbereite Regierungen ernannt. Schließlich wurde sogar der Einberufung einer Nationalversammlung und der Errichtung eines Nationalstaats zugestimmt. Kinkel brachte sich als Sprachrohr des Handwerks in Stellung Am 18. Mai 1848 trat dann das erste gesamtdeutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Aber auch außerhalb des neuen Parlaments traf man sich zu Kongressen, so auch zu einem Handwerker- und Gewerbekongress im August 1848. Im Römer tagte ein sogenanntes Handwerksparlament unter der Führung des Frankfurter Metzgermeisters Martin May, das den Entwurf einer Handwerksordnung beschloss. Johann Gottfried Kinkel machte mit seiner Schrift "Handwerk, errette Dich!" oder "Was soll der deutsche Handwerker fordern und thun, um seinen Stand zu bessern?" auf sich und die Interessen des Handwerks aufmerksam. "Kinkel war sehr gut informiert über die Zünfte und hat geschickt erkannt, wie er sich als Sprachrohr in Stellung bringen kann", sagt Harald Steindl. "Die Handwerkerkfrage lag damit für alle offensichtlich auf der Bühne." Harald Steindl, Rechts- und Wirtschaftshistoriker Der Literaturprofessor war zwar nicht Mitglied der Nationalversammlung, habe es aber verstanden, die Anliegen des Handwerks pointiert und erstmals umfassend darzulegen. So wollten die Selbstständigen zum Beispiel die Gewerbefreiheit einschränken, die Zahl der Lehrlinge begrenzen und staatliche Konkurrenz verbieten. Kinkel war zu jener Zeit Professor der neuen Kunst-, Literatur- und Kulturgeschichte und gleichzeitig Vorstand des Handwerker-Bildungsvereins Bonn, aber keineswegs selbst gelernter Handwerker. Was also machte ihn zum Fürsprecher des Mittelstands? Als Führer der demokratischen Vereine im Rheinland gelang es ihm, die Nöte der Menschen zu benennen und dank glänzender Kontakte zu 17 Bonner Professoren, die in die Paulskirche gewählt worden waren, deren Anliegen zu vertreten. "Als Fürsprecher der Handwerkerbewegung wurde er rasch bekannt", so Steindl. Im Dezember 1848 übergab Kinkel im Namen des Bonner Handwerkervereins dem volkswirtschaftlichen Ausschuss der Nationalversammlung eine Beitrittserklärung zum Entwurf der "Frankfurter Handels- und Gewerbeordnung" mit der Bitte um verstärkten Schutz der Gewerke. Die soziale Frage insgesamt wird diskutiert Das Besondere waren dabei nicht allein die Forderungen, sondern dass plötzlich so viele Menschen einerseits durch die Pressefreiheit und andererseits über die aufkommenden Massenmedien wie Zeitungen davon erfahren konnten. "Die Handwerkerfrage lag damit für alle offensichtlich auf der Bühne", macht Steindl deutlich. Kinkel hatte für seine Themen eine nationale Bekanntheit geschaffen. Beschleunigt wird dieser Prozess durch Versammlungen, Romane, kulturelle Veranstaltungen. Steindl: "All das explodiert zu jener Zeit und führt dazu, dass man in Lesevereinen und Gewerbevereinen wirtschaftliche Themen, aber auch die soziale Frage insgesamt diskutiert." Das Handwerk habe in der Folge extrem an Selbstbewusstsein gewonnen und sei als wichtige politische Stimme wahrgenommen worden. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann die Strukturen geschaffen, die noch heute den Grundstein für die Handwerksordnung und die Selbstverwaltung bilden. Österreich sei damals Vorbild gewesen, so Steindl. Deren Gewerbeordnung von 1883 mit genossenschaftlichem Aufbau und Pflichtmitgliedschaft sei später nahezu eins zu eins in der Handwerksordnung kopiert worden. Der Demokratisierungsprozess ging jedoch nicht weiter. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnte es nach knapp einem Jahr ab, sich von der Nationalversammlung zum Kaiser der Deutschen wählen zu lassen. Die Verfassung und die Errichtung eines Nationalstaats waren gescheitert. Die Monarchen gewannen wieder die Oberhand und nahmen Reformen zurück. Gottfried Kinkel wollte von der Demokratie nicht lassen und beteiligte sich weiterhin an Aufständen. Das preußische Kriegsgericht verurteilte ihn zu lebenslanger Festungshaft, aus der ihn sein Student Carl Schurz schließlich befreien konnte. Beide flüchteten nach England. 1866 nahm er eine Professur in der Schweiz an, wo er nach längerer Krankheit als wohlhabender Bürger starb. Sein Einsatz fürs Handwerk hatte sich in jedem Fall ausgezahlt. Weitere Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung, Bundestag, 175 Jahr Handwerk und die 1848er Revolution Die Grundrechte von 1848 Am 21. Dezember 1848 beschlossen die Parlamentarier der Nationalversammlung zum ersten Mal in der deutschen Geschichte die Einführung eines Grundrechtekatalogs. Kernelemente waren die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungsfreiheit, Vereinsrecht) sowie die Abschaffung der Todesstrafe. Die Freiheit von Wissenschaft und Lehre und das Petitionsrecht gehörten ebenfalls neben weiteren Rechten dazu. Eröffnet wird der Katalog mit den Verheißungen der Freizügigkeit, der Niederlassungs- und Erwerbsfreiheit. Die näheren Bedingungen sollten durch ein bundesweites Heimatgesetz und eine „Gewerbeordnung für ganz Deutschland“ festgesetzt werden. Die Grundrechte der Nationalversammlung waren Vorbild für spätere deutsche Verfassungen, vor allem die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz und beeinflusste die Verfassungen in ganz Europa. Unter den 587 Abgeordneten – zumeist Akademiker – der Nationalversammlung waren immerhin zehn Handwerker, die sich damals unter anderem für ein einheitliches Handwerksrecht mit Freiheit der Berufsausübung und Gleichstellung aller Handwerksbetriebe einsetzten.
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