MOSAiC-Expedition des Forschungseisbrechers Polarstern: Schichtwechsel am Nordpol

Zu Beginn der zweiten Etappe der einjährigen MOSAiC-Expedition ziehen die Teilnehmer ein erstes Fazit Foto: Esther Horvath Mit dem Austausch von Team und Schiffscrew geht die bislang größte wissenschaftliche Expedition in der Zentralarktis in die nächste Phase, um dringend benötigte Forschung am arktischen Klimasystem durchzuführen. Das Team des ersten Fahrtabschnitts, geprägt durch dünnes Meereis, zieht erste Bilanz: Trotz extremer Herausforderungen fließen die wissenschaftlichen Daten zuverlässig. Das neue Team sieht nun der dunkelsten und kältesten Forschungsperiode entgegen: dem bislang unerforschten arktischen Winter. Inmitten der Polarnacht vollziehen die Teilnehmer der MOSAiC-Expedition in diesen Tagen einen logistisch aufwendigen Schichtwechsel: Rund 100 Personen tauschten die Plätze zwischen dem Forschungseisbrecher Polarstern, der seit Oktober mit dem arktischen Meereis driftet, und dem russischen Versorgungseisbrecher Kapitan Dranitsyn. Nach einer einwöchigen Verzögerung der Abreise wegen eines Orkantiefs in der Barentssee brauchte das Schiff zehn Tage mit zunehmend schwierigen Eisverhältnissen, um sich einen Weg zur Polarstern zu brechen. Während die Teilnehmer des ersten Fahrtabschnitts in Richtung Heimat aufbrechen, steht dem neuen Team nun die dunkelste, und kälteste Phase der MOSAiC-Expedition bevor. In den vergangenen Wochen hatte das internationale Team des ersten Fahrtabschnitts eine komplexe Forschungsinfrastruktur auf dem arktischen Eis installiert. Auf der MOSAiC-Scholle, derzeit bei 86°34‘ Nord und 119° Ost, 270 Kilometer entfernt vom Nordpol, entstand rund um den festgefrorenen Eisbrecher Polarstern das sogenannte Eiscamp: eine Forschungsstation, deren Bereiche den wissenschaftlichen Schwerpunkten der MOSAiC-Expedition gewidmet sind. Rund 200 Kilometer sind Polarstern und Eiscamp bereits mit dem arktischen Eis in Richtung Nordpol gedriftet – und mit ihnen ein weitreichendes Netzwerk an Messstationen. Dieses war während der ersten Missionswochen im Umkreis von bis zu 40 Kilometern um die Polarstern durch den vom Arktischen und Antarktischen Forschungsinstitut Russlands (AARI) betriebenen Eisbrecher Akademik Fedorov ausgebracht worden. „Die erste Phase der Expedition war nicht leicht“, berichtet MOSAiC-Expeditionsleiter Prof. Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Das Eis ist mit unter einem Meter ungewöhnlich dünn, sehr dynamisch und in ständiger Bewegung. Sehr häufig hatten wir neue Risse und Spalten im Eis oder es bildeten sich mehrere Meter hohe Presseisrücken: Gebirge aus Eis, in denen sich die Schollen durch Druck haushoch übereinander türmen. Die Gewalt dieser krachenden Eisfaltungen zeigt eindrucksvoll die Kraft der Natur, in deren Händen wir uns hier befinden. Die Eisrücken haben auch immer wieder Ausrüstung begraben, welche dann geborgen und mit großem Aufwand neu aufgebaut werden musste, und Risse im Eis stellen eine Gefahr für Mensch und Instrumente dar.“ Insbesondere ein heftiger Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h, der die Expedition Mitte November traf, führte dazu, dass sich die Bereiche des Eiscamps um hunderte Meter gegeneinander verschoben. Zerrissene Stromleitungen und Stromversorgung der Instrumente auf dem Eis mit Notgeneratoren waren die Folge – und auch der 30 Meter hoher Messturm knickte um. Inzwischen ist alles wieder aufgebaut. „Wir haben uns an diese Eisdynamik gut angepasst und konnten praktisch durchgehend die so dringend benötigten Daten aus dieser Region messen. Wir verlassen ein flexibel und modular aufgebautes Forschungscamp, in dem alles funktioniert und misst“, so MOSAiC-Expeditionsleiter Rex, der ab Anfang April dann auch vor Ort die Leitung wieder selbst übernehmen wird. Wissenschaftlich gehörte eben jener Sturm zu den bisherigen Höhepunkten der Expedition. Unmittelbar konfrontiert mit diesem wichtigen Element des arktischen Klimasystems konnten die MOSAiC-Wissenschaftler den Einfluss dieser arktischen Stürme erforschen: auf die Wassersäule im Ozean, das Eis, den Schnee und die Atmosphäre. „Noch nie sind die Auswirkungen solcher Stürme auf das arktische Klimasystem so umfassend dokumentiert worden“, sagt Rex. Foto: Esther Horvath and Jakob Stark Wenn nun das jüngst eingetroffene Team der zweiten MOSAiC-Etappe den Staffelstab von seinen Vorgängern übernimmt, ist es ebenso auf Herausforderungen wie wissenschaftliche Höhepunkte eingestellt. „Wir werden vermutlich auch weitere Deformationen des Eises erleben“, sagt Prof. Christian Haas, Meereisgeophysiker am Alfred-Wegener-Institut und Leiter des zweiten MOSAiC-Expeditionsabschnitts. „Wie zunehmender Druck auf das Eis die Dicke erhöht und sich massive Presseisrücken bilden, ist eine unserer Fragestellungen. Besonders gespannt bin ich, ob es weiterhin zu Warmlufteinbrüchen in die Zentralarktis kommt, wie wir sie in den vergangenen Jahren im Dezember und Januar beobachtet haben, und ob diese sogar zu Regen am Nordpol im Winter führen können. Auch in diesem Fall wären die direkten Beobachtungen vor Ort wertvoll“, sagt Haas. Während einer etwa fünftägigen Übergabe vor Ort erhält das neue Team intensive Einweisung in die etablieren Arbeits- und Sicherheitskonzepte – auch im Hinblick auf die Eisbären, die dem Forschungscamp wiederholt Besuche abgestattet hatten. „Eine ganz große Herausforderung ist für uns Neue, dass wir zu einer Scholle kommen, die wir nie bei Tageslicht gesehen haben, und deshalb keine Ahnung haben, wo wir eigentlich stecken“, schildert Christian Haas das Ungewöhnliche bei diesem einzigen Abschnitt, der ausschließlich in der Polarnacht stattfindet. Anders als die Vorgänger konnte sich sein Team nie im Hellen einen Überblick über die Umgebung verschaffen. „Also müssen wir lernen, mit anderen Mitteln als den Augen unsere Umgebung wahrzunehmen“, so der Polarforscher. Dazu kann das Team zum Beispiel auf Hilfsmittel wie Helikopter mit Laserscannern und Infrarotkameras zurückgreifen, die engmaschig über das Eis fliegen, um es zu kartieren. Der Austausch zwischen den Schiffen bedeutet eine komplexe logistische Operation, bei der teilweise Fracht über das Eis, teilweise mit den Kränen direkt von Schiff zu Schiff befördert wird. Brisant ist dabei die Übergabe kälteempfindlicher Frachtstücke, die bei Temperaturen von fast minus 30 Grad Celsius nicht einfrieren durften. „Wir haben aber auch Weihnachtsgeschenke dabei“, so Christian Haas, während dessen Fahrtleitung zahlreiche internationale Feiertage im arktischen Eis anstehen. Die Teilnehmer des ersten Fahrtabschnitts hingegen freuen sich bereits, ihre Familien und Freunde wiederzusehen, wie Expeditionsleiter Markus Rex erzählt – und das Tageslicht. „Die Stimmung hier ist ausgezeichnet. Trotzdem tun sich manche Teilnehmer schwer, die Instrumente – ihre ‚Babys‘ auf dem Eis – an das nächste Team zu übergeben.“ Die MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Das Budget von MOSAiC beträgt rund 140 Millionen Euro. Im Laufe des Jahres werden etwa 300 Wissenschaftler aus 16 Ländern an Bord sein, 20 Länder beteiligen sich insgesamt an der Mission. Zusammen wollen sie zum ersten Mal das gesamte Klimasystem in der Zentralarktis erforschen. Sie erheben Daten in den fünf Teilbereichen Atmosphäre, Meereis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie, um die Wechselwirkungen zu verstehen, die das arktische Klima und das Leben im Nordpolarmeer prägen. Neuigkeiten direkt aus der Arktis gibt es über die MOSAiC-Kanäle auf Twitter (@MOSAiCArctic) und Instagram (@mosaic_expedition) über die Hashtags #MOSAiCexpedition, #Arctic und #icedrift.

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