Politisches Tauziehen in Thailand

Die etablierten politischen Kräfte bremsen in Thailand den eigentlichen Wahlgewinner aus. Diese Winkelzüge wirken sich zunehmend negativ auf die Wirtschaft des südostasiatischen Landes aus Die Freude währte nur ein paar Wochen, dann kam es, wie es kommen musste: Nach ihrem Überraschungssieg bei der Wahl wurde die demokratische Reformpartei Move Forward zunächst in Thailands Senat, dann vom Verfassungsgericht ausgebremst. Die Richter ordneten an, dass Pita Limjaroenrat, der Neuling auf der politischen Bühne, zumindest vorübergehend aus dem Parlament ausgeschlossen wird. Obwohl Spitzenkandidat der stärksten Partei, erscheint er damit für eine Wahl als Ministerpräsident der zweitgrößten Volkswirtschaft Südostasiens blockiert. Immer mehr spricht dafür, dass die Etablierten die Macht im Königreich doch wieder unter sich aufteilen. Denn die Alternative ist ein Ministerpräsident aus den Reihen der Partei um die Familie des im Exil lebendenden, vom Militär abgesetzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Eigentlich ist sie nur Koalitionspartner von Move Forward gewesen, die Pita führt. Aber nachdem er das erste Mal bei der Wahl im Senat durchgefallen war, hatte der Spitzenkandidat schon getextet, er werde bei weiteren Niederlagen auf das Amt verzichten, zugunsten der Partei um den Milliardär im Exil. Wille der Wähler hat nicht das letzte Wort Thailands Senat ist besetzt mit mehr oder weniger Getreuen der früheren Militärregierung, Generälen, Königstreuen und der Oberschicht Bangkoks. Dass sie den 42-jährigen Kandidaten Spitzenkandidaten Pita im ersten Wahlgang nicht akzeptierten, war zu erwarten. Und doch sagt Michael Montesano, Forscher am Iseas-Yusof Ishak Institute in Singapur: „Ich denke, es war ein Schlag für die thailändischen Wähler, viel mehr als für Herrn Pita selbst. Die thailändischen Wähler haben ihren Wunsch bei den Wahlen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Nun haben sie zu spüren bekommen, dass es Kräfte und Strukturen gibt, die ihren Willen ausbremsen. Und das nicht grundlos. Denn Pita hatte schon während seiner Kampagne unter anderem ein „Aufbrechen der Konglomerate“ ankündigt. Auch wolle er die Rechtslage so ändern, dass das Königshaus künftig weniger vor Kritik geschützt wäre. Kurz: Pita und viele seiner Partei bildeten von Beginn an eine Gefahr für die Etablierten. Auch wenn ihr Wirtschaftsprogramm vage bleibt, will seine junge Partei ein offeneres Land, in dem überbordende Korruption und Bürokratie zurückgedrängt werden. Nach dem Wahlsieg hatte Pita noch verkündet, eine Koalition aus acht Parteien als Ministerpräsident führen zu wollen, unter ihnen auch Pheu Thai. Durch die Hintertür könnte sie nun doch noch an Macht kommen, weil sie von der Führungsschicht als das kleinere Übel angesehen wird. Ein Schritt seitwärts statt vorwärts Mit Pitas Blockade begann, was alle Geschäftsleute und Diplomaten in Bangkok fürchteten – ein Tauziehen zwischen alten und neuen Kräften. Stunden nachdem Pita erstmals im Senat durchgefallen war, reichte der Generalsekretär von Move Forward, Chaithawat Tulathon, einen Antrag auf Änderung eines Teils der Verfassung ein, um das Gewicht des Senats einzuschränken. Schon seine Wortwahl provoziert: „Es gibt Kräfte der alten Macht, die Druck auf den Senat ausüben – von der alten Macht bis hin zu einigen Kapitalisten, die keine Move Forward-Regierung sehen wollen“, sagte Tulathon in einem Fernsehinterview. Dann stellte er die rhetorische Frage: „Da die Senatoren bei der Wahl des Premierministers unangenehm auffielen warum sollten Sie diese Macht nicht ausschalten? Danach fuhr das Regime noch stärkere Waffen auf: Schon am 12. Juli hatte das Verfassungsgericht den Fall Pita angenommen. Damals hatte die Wahlkommission geklagt, weil der Neuling Aktien am derzeit inaktiven Fernsehsender iTV geerbt hatte. In Thailand aber ist es seit Thaksins Zeiten verboten, Medienaktien zu besitzen und zugleich zu einer Wahl anzutreten. Das Gericht räumt dem Kandidaten eine Frist bis Anfang August ein, auf das Verfahren zu antworten. Zwar darf Pita auch als Nicht-Parlamentarier zur Wahl antreten. Im ersten Wahlgang im Senat aber gewann er nur 13 Stimmen. In einem weiteren Wahlgang hatten die vom Militär nominierten Senatoren Dank des Gerichtsentscheids dann jeden Grund, Pita ihre Stimme zu verweigern. Vor jeder weiteren Abstimmung verordnete sich das Parlament eine Denkpause bis Anfang August. Nötig erschien sie, nachdem mehrere Beschwerden aus der Bevölkerung gegen das Vorgehen der Parlamentarier verzeichnet worden waren. Niemand im Königreich glaubt mehr, dass es Pita noch gelingen werde, seinen Kopf aus der politischen Schlinge zu ziehen. Als Weckruf an das Establishment wurde er akzeptiert, an der Macht wäre er eine Gefahr für die Alteingesessenen. Schon Ende Juli kam es deshalb zu ersten Protesten in Bangkok. Viele sprachen von einem Coup der Justiz, um ihren Kandidaten, den Harvard-Absolventen, trotz seines Wahlsieges an einer Amtsausübung zu hindern. Der Geist der Reform geht um Die „Orangen“ um Pita haben eine Welle des Aufbruchs zumindest in Bangkok losgetreten. Der Harvard-Absolvent, der auch schon mal mit oranger Hermès-Krawatte auftritt, ist zum Leitstern jener geworden, die an ihren rostigen Fesseln rütteln: Nach den Massenprotesten 2020 gegen die Ewiggestrigen um Putsch-General Prayut Chan-ocha, der inzwischen seinen Rückzug aus der Politik ankündigte, weigerten sich Jugendliche, sich für die Schule ihre Haare noch schneiden zu lassen. Längst erheben sich nicht mehr alle im Kino beim Abspielen der Hymne des Königreichs. „Damals ist ein Geist aus der Flasche entwichen, den niemand mehr wird einfangen können“, sagt ein westlicher Beobachter in Bangkok. Immer wieder hieß es, westliche Botschaften stützten Move Forward aus dem Hintergrund. Thitinan Pongsudhirak, Professor für Politikwissenschaft an der Chulalongkorn Universität in Bangkok, erklärte, die Versuche, die Partei aufzuhalten, seien systematisch: „Diese Institutionen der alten Garde müssen ganz einfach an der Macht festhalten, weil sie so viel zu verlieren haben. Die Art von Veränderung, die Move Forward fordert, würde Thailands monarchie-zentriertes System aufbrechen und dann institutionelle Reformen freisetzen.“ Statt Pita kommt für die Pheu Thai nun der 60-jährige Immobilien-Tycoon Srettha Thavisin als Kompromiss-Kandidat zum Zuge. Er war schon zuvor einer der drei Kandidaten der zweitstärksten Partei, neben Thaksins Tochter Paetongtarn Shinawatra und dem früheren Generalstaatsanwalt Chaikasem Nitisiri. Je länger das Tauziehen andauerte, desto so mehr litt das Königreich. Politisches Patt schürt Sorgen um Proteste „Größere Proteste nach den Wahlen, so wie in früheren Jahren, könnten die wirtschaftliche Aktivität unterbrechen“, orakelt Chua Han Teng von der DBS Bank. Es brauche auch eine neue Regierung, um den Haushalt zu verabschieden. Ab dem Beginn des neuen Fiskaljahrs im Oktober könnte seine Verabschiedung um ein halbes Jahr aufgeschoben werden. Das aber belastet die überfälligen Großprojekte, etwa im Industriegürtel entlang des Eastern Seaboard und weitere Investitionen. Noch erwartet die Notenbank eine Wachstumsrate von 3,6% für Thailand. Die für das Ferienland so wichtigen Touristen kehren allmählich zurück; noch lassen die Chinesen zwar auf sich warten, für das Winterhalbjahr aber haben sich nach Corona endlich wieder mehr Europäer angesagt. Die Folgen der Unsicherheit aber zeigten sich schon am Wahltag: Nach der Blockade Pitas gab der Thai Baht fast einen halben Prozentpunkt seines Wertes ab. Hätten sich die jungen Demokraten mit ihrer Koalition in Thailand durchgesetzt, wäre es immer noch ein weiter Weg zu einer stabilen Regierung gewesen. Wer die Berliner Koalition für fragil hält, brauchte gar nicht erst auf Thailand zu blicken – der dortige Zusammenschluss war so bunt und unterschiedlich, dass seine Halbwertszeit sehr kurz zu sein drohte. Rückblickend betrachtet könnte der größte Sieg dieser Thai-Koalition gewesen sein, Generäle und Establishment in Frage gestellt zu haben. Die aber lassen sich nicht gerne vorführen. Deshalb teilt nicht jeder die Hoffnung des Politologen Thitinan: „Ein Sieg von Move Forward hätte einen Großteil der Wettbewerbsfähigkeit Thailands, des thailändischen Potenzials, freigesetzt.“

zum Artikel gehen

Wir Gratulieren!

Beim 3. Düshorner Tauziehen haben sich unsere Männer einen durchaus verdienten dritten Platz ergattert! Patrick, David, Dirk, Christian, Max und Henrik sind für den Autoservice unter dem Namen „Die Schlepper“ angetreten. Natürlich war auch ein Teil

zum Artikel gehen

Thailand: Smog

Im Norden des Landes sowie in der Touristenhochburg Chiang Mai und der Hauptstad... mehr...

zum Artikel gehen

Thailand: Dengue

Seit Januar wurden mehr als 3.850 Infektionen und ein Todesfall gemeldet. Besond... mehr...

zum Artikel gehen

Ayurveda- und Yoga-Retreat in Thailand

Yoga- und Ayurveda-Retreat in Thailand Unsere Yogareisen sind eine wunderbare Möglichkeit, Körper, Geist und Seele wieder in Einklang zu bringen. Im Februar 2024 könnt ihr mit uns, unter dem Motto Sawadee meets Namaste nach Thailand, auf die magische In

zum Artikel gehen

60-Jahre Städtepartnerschaft: Zwischen Leichlingen und Marly-le-Roi

Seit 60-Jahren besteht die grenzüberschreitende Partnerschaft der Stadt Leichlingen mit der französischen Stadt Marly-le-Roi die längst weniger ein politisches Statement als ein freundschaftliches Miteinander der Menschen in beiden Orten ist. Am 11. Mai 2

zum Artikel gehen