Shorish-Plan: Der vergessene Frieden für Afghanistan?

Der sogenannte Shorish Friedensplan scheint nach der Bonner Friedenskonferenz vom vergangenen Wochenende eine neue Aktualität zu gewinnen. Naqibullah Shorish, Stammesführer der Kharoti, einer der großen paschtunischen Stämme Afghanistans, der bis in die Tribal Area nach Nord Waziristan (Nord-Pakistan, jenseits der Durand Linie) reicht, hat diesen Plan im Mai letzten Jahres veröffentlicht. Shorish ist seitdem bemüht, die Friedensgespräche zwischen der NATO und den Talibanführern der Quetta Shura zu vermitteln, die allerdings vom Westen abgebrochen worden seien, so der Stammesführer. Das Gute an dem Shorish-Plan ist, dass er von Afghanen in Afghanistan für Afghanen entwickelt wurde und nicht auf irgendeiner westlich dominierten Konferenz in Europa. Hinzu kommt noch, dass dieser Plan zumindest eine einseitige Legitimität gewinnt, da die Quetta Shura in Pakistan (dort sitzt der Führungszirkel der Taliban) diesen Plan für gut befunden und ihm zu 90% zugestimmt hat. Und was noch interessant daran ist, dass dieser Plan auch andere nicht-paschtunische Ethnien unterstützen. In deutschen oder internationalen Medien wurde darüber meiner Kenntnis nach noch nicht berichtet eigentlich könnte so ein Plan fast als eine Sensation bezeichnet werden und ich wundere mich, warum der Westen diese Idee links liegen lässt. Längst ist es doch Medienberichten zufolge derzeit ganz en vogue, dass jeder mit jedem redet. Zusammen mit dem Rat des Stammes der Sulimankhel (Gesamt Afghanistan), dem Rat Khoja Mohammad (Provinz Ghazni), dem Rat Ahali Tashuhg (Provinz Helmand -Schiitisch geprägt), dem Rat der Stämme der Provinz Paktia, sowie dem Rat der Schiiten der Provinz Lowgar, hat Shorish kürzlich folgende Erklärung zur misslichen Lage seines Landes herausgegeben, die er mir am vergangenen Wochenende zur Verfügung stellte. Im Wesentlichem heißt es dort: Demokratie und Unabhängigkeit darf nicht als ein Monopol der USA oder des Westens gehandelt werden.  Wir afghanischen Stammesführer praktizieren eine eigenständige Form der Demokratie schon seit Jahrhunderten. Die Gründung unserer Nation ist auf eine Demokratie ähnliche Entscheidung zurückzuführen. Ein objektiver Blick auf die heutigen Demokratien in den westlichen Ländern kann nur dann erfolgen, wenn wir uns auch mit der Vergangenheit dieser Länder beschäftigen. So reicht bereits ein Blick in die USA der 60er Jahre zurück, um erhebliche Defizite sowohl im Umgang mit anderen Nationen als auch mit den eigenen Minderheiten festzustellen.  Was wir damit sagen wollen ist,  dass die Demokratisierung einer Nation ein langjähriger Prozess ist.  Darüber hinaus haben uns die Kriege  der vergangenen 10 Jahre auch gelehrt, dass selbst demokratische Länder nicht vor undemokratischen Methoden zurückschrecken, wenn ihre Interessen bedroht sind. Die Namen Abu Ghraib und Guantanamo sind hierfür bezeichnend. Wir, die Stammesführer Afghanistans, sind davon überzeugt, dass Krieg und Gewalt nicht zu Etablierung von Demokratie und Menschenrechte beitragen können. Gewalt wird immer Gegengewalt produzieren und sie wird jede Bemühung um Demokratie und Fortschritt untergraben. Eine Übertragung der westlichen Form von Demokratie auf andere Länder ist nicht umsetzbar. Jede Nation verträgt nur so viel Demokratie wie sie aufnehmen kann. Eine Nation muss sich in ihr wiedererkennen können. Ihre Religion, ihre Kultur und ihre Traditionen müssen in ihr klar zu erkennen sein! Wenn wir uns Länder wie die heutige Türkei, Indien oder seit kurzem auch Marokko anschauen, dann stellen wir fest, dass jedes dieser Länder eine eigene Form der Demokratie mit Erfolg umsetzen konnte. Die Durchsetzung einer westlichen Demokratie mit Gewalt erinnert an die Bemühungen des sogenannten sozialistischen Blocks, der mit aller Gewalt versuchte, seine Vorstellungen und Werte auf andere Nationen zu übertragen.  Bedauerlicherweise haben die Verfechter der westlichen Demokratie die Niederlage des sozialistischen Blocks aus den Augen verloren und sie begehen die gleichen Fehler. Hoffnung Wir Afghanen haben nach 30 Jahren Krieg ca. 2 Millionen Tote und Kriegsinvaliden zu beklagen. Wir haben für die USA und den Westen die Sowjetunion in die Knie gezwungen und somit zu Beendigung des Kalten Krieges erheblich beigetragen. Haben wir es da etwa nicht verdient, frei zu entscheiden, welche Staatsform und welchen Präsidenten wir wählen wollen? Wir Afghanen, damit meinen wir alle Mitmenschen aus den unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft wie zum Beispiel unsere Religionsgelehrten, unsere Intellektuellen,  die Stammesführer sowie unsere Ältesten, aber auch unsere Mütter und unsere Schwestern, sehen uns in der Lage ein friedliches und stabiles Afghanistan aufzubauen. Ein Afghanistan ohne Korruption und ohne Drogenkriminalität. Karzai Wir haben genau so ein Recht auf Frieden wie alle andere Nationen dieser Welt auch. Leider ist aber die aktuelle Regierung Afghanistans nicht in der Lage Frieden herbeizuführen. Die Taliban lehnen Gespräche mit der Regierung von Karzai ab. Sie sehen die Regierung von Karzai nicht in der Lage den Krieg zu beenden oder einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Der Präsident hat bereits seine Machtlosigkeit dem afghanischen Volk gegenüber mehrfach bewiesen. So fordert er die Amerikaner immer wieder auf ihre Luftangriffe und nächtlichen Razzien einzustellen, jedoch wird er einfach nur belächelt und ignoriert.  Dies zeigt schon sehr deutlich, über wie wenig Einfluss er bei seinen eigenen Partnern verfügt. Was legitimiert ihn also, Gespräche mit den Taliban zu führen?  Abgesehen davon betrachten wir Afghanen diese Regierung als nicht legitim. Selbst der Westen bezweifelt den sauberen Ablauf der letzten Präsidentschaftswahlen. Der Krieg in Afghanistan dauert schon 30 Jahre an und keine einzige Regierung oder poltische Bewegung konnte diesen Konflikt seit dem lösen.  Auch der von Präsident Karzai einberufene High Peace Council wird diesen Konflikt nicht lösen können, da es über keinen Plan verfügt.  Dieser Rat dient nur dazu, um den Westen Friedensbemühungen vorzugaukeln, obwohl jeder in der Regierung weiß, dass nicht mal Taliban der untersten Ebene zu Gesprächen mit der Regierung bereit sind.  Sollte es aber einen Friedensplan geben, der von beiden Konfliktparteien (USA / TALIBAN) akzeptiert wird, so werden wir, die Stammesführer, diese Friedensinitiative mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln Unterstützen. Am Rande der Bonner Friedensgespräche 2012 konnte ich mit Naqibullah Shorish ein kurzes Interview zu seiner Person führen: Der Shorish-Plan geht in seiner Analyse davon aus, dass sich der Afghanistankrieg in einer Sackgasse des militärischen Patts befindet. Der Plan sieht fünf Phasen vor: 1. Vertrauensbildende Maßnahmen. Dazu zählen die Anerkennung der UNO-Charta und der UNO-Menschenrechtscharta als Grundlage für die innen- und außenpolitische Zukunft Afghanistans ebenso wie die Bereitschaft zu einem sofortigen und allseitigen Waffenstillstand. 2. eine zweite „Petersberg-Konferenz“ unter Vorsitz der UNO, die eine Weichenstellung für eine Übergangsregierung und einen Zeitplan für einen Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan festlegt. An dieser Konferenz sollen Angehörige der Konfliktparteien, wie z.B. Vertreter der NATO, Mitglieder der Kabuler Regierung und Vertreter des bewaffneten Widerstands sowie einflussreiche afghanische Stammesführer teilnehmen. 3. weitere Gespräche und Verhandlungen auf unterschiedlichen Ebenen, innerafghanisch, international und zwischen ISAF und Aufständischen. Für die innerafghanischen Gespräche wird eine Jirga gebildet, der in der ersten Phase ausschließlich Stammesführer angehören, die alle Nationalitäten und zumindest die wichtigsten Stämme Afghanistans vertreten. Diese Jirga erarbeitet zuerst die Modalitäten für die innerafghanischen Gespräche und Verhandlungen und zieht danach Vertreter der unterschiedlichen Konfliktparteien hinzu. Auf der internationalen Ebene wird eine internationale Konferenz Afghanistans und seiner Nachbarstaaten (Pakistan, Iran, Usbekistan, Tadschikistan u.a.) unter der Obhut der UN vorbereitet. Zwischen ISAF und Aufständischen geht es darum, den Weg für eine dauerhafte Beendigung des Krieges, eine international akzeptierte Friedenslösung und den Abzug der internationalen Truppen freizumachen. 4. Bildung einer Übergangsregierung für zwei Jahre. Diese soll den Entwurf einer neuen Verfassung ausarbeiten, die durch die traditionelle Loya Jirga beraten und beschlossen wird, Neuwahlen vorbereiten und den Dogenanbau bekämpfen. 5. Aufbau neuer Sicherheitsorgane aus den bisherigen nationalen Sicherheitskräften und den Widerstandskämpfern. Erster Schritt muss die Entwaffnung aller illegal bewaffneten Gruppen und Milizen sowie der privaten Sicherheitsfirmen sein. Zum Aufbau neuer Sicherheitsorgane wird eine Koordinierungszentrale aus den bisherigen nationalen Sicherheitskräften und den Widerstandskämpfern geschaffen. Wer sind eigentlich die Taliban, und wer ist kein Taliban, was wollen sie und was nicht? Muss man mit ihnen sprechen oder nicht? Das erklärte mir Omar Sahrai (Institut für Afghanistan Studien e.V.), der gerade eine Doktorarbeit über die Talibanbewegung schreibt:

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