Tier oder Gott. Ein Gespräch mit Frédéric Valin in "Der Freitag".

Heute findet sich in der Wochenzeitung "Der Freitag" ein Gesprch, dass der Autor Frdric Valin mit mir ber meinen Roman "Vom Licht" gefhrt hat. Es ist die immer noch lange Kurzfassung eines dreistndigen Gesprchs. Tier oder Gott Anselm Neft ergrndet das Totalitre und Tragikomische in der menschlichen Suche nach dem Sinn Eine verlassene Ecke in Obersterreich. Adam, Anfang 20, sitzt im Dachgeschoss eines Selbstversorgerhofs und lsst seine Kindheit Revue passieren. Zusammen mit der drei Jahre lteren Manda wurde er aus einem Heim adoptiert und von den radikalen Gnostikern Norea und Valentin aufgezogen. Eine Schule hat er nicht besucht, kaum einmal andere Menschen zu Gesicht bekommen. Jetzt, nach Jahren religisen Hausunterrichts, versucht Adam, nachzuvollziehen, wie er der wurde, der er ist, und was er tun kann, um trotzdem weiterzuleben. In seinem neuen Roman Vom Licht erzhlt Anselm Neft eindrucksvoll und sprachgewaltig von einer fragilen Selbstvergewisserung. der Freitag: Herr Neft, Religion hat momentan in der westlichen Literatur keinen sehr hohen Stellenwert, insbesondere nicht ihr mystischer Anteil. Und Sekten sind besonders bel beleumundet. Auch bei mir. In Ihrem Roman wirkt die Spiritualitt in ihrer Ernsthaftigkeit aber auf mich gleichermaen unwirklich und anziehend. Anselm Neft: Es ist nicht meine Absicht, Werbung fr die Gnosis oder Aussteigersekten zu machen. Im Grunde wissen ja alle, wie schlimm Sekten sein knnen, und die, die es noch nicht wissen, brauchen nicht mich, um das herauszufinden. Dazu gibt es schon genug anderes. Die Ablehnung gegenber Religion insgesamt, wie sie zum Beispiel die New Atheists praktizieren, geht mir allerdings zu weit, und zwar nicht zuletzt aus ganz pragmatischen Grnden. Wenn man Religion generell lcherlich macht, kann man beispielsweise in der islamischen Welt sehr schwer vermitteln. Zu sagen, die Gemigten machen ja erst mal nichts so Schlimmes, aber im Kern sind die genauso bekloppt wie die Terroristen das ist kein konstruktiver Ansatz. Wenn alle Religionen immer scheie sind, dann fallen die Differenzen weg und damit das humane Element. Ich halte den neuen Atheismus in seiner hemdsrmeligen Variante also fr unkonstruktiv. Aber er ist auch lustig. Der Autor des Bestsellers Gotteswahn, Richard Dawkins, beispielsweise verweist gern auf den Dunning-Kruger-Effekt, also dass in einem Bereich inkompetente Leute ihre eigene Inkompetenz verkennen und den Wissensvorsprung anderer nicht mehr anerkennen knnen. Natrlich spricht er ber sich selbst. Die Pointe entgeht ihm, das macht das Ganze besonders komisch. Der Freitag: Ihr Buch wirkt vllig aus der Zeit gefallen, wie ein Traum. Der Schriftsteller und Kritiker Dietmar Dath sagte, es sei wahr und fantastisch zugleich. Neft: Das ist eine Beschreibung, mit der ich sehr glcklich bin. Mir ging es nicht darum, nur abzubilden, was ist, sondern auch um die Frage, welche Mythen die Realitt strukturieren und das Begehren hervorbringen, das dann wieder Wirklichkeit formt. Das wirkt entrckt, ist aber hoffentlich nah dran an der Quelle, aus der sich unsere Wirklichkeit speist. Der Freitag: Die Frage, ob es sinnvoll ist, nach dem Sinn zu suchen, bleibt am Ende unentschieden. Neft: Mich hat interessiert, wie es kommt, dass man ber Sinn nachdenkt, was ja bedeutet, sich selbst und die eigene Prgung in Frage zu stellen. Und mich hat interessiert, wohin eine solche Auseinandersetzung fhrt. Es klingt nach einer steilen These: Aber in der Suche nach Sinn liegt bereits etwas Totalitres. Der Wunsch, den Menschen, so wie er jetzt ist, zu verbessern und eigentlich zu berwinden. Ob durch religises Streben, Heldenkult, Faschismus, den Posthumanismus aus dem Silicon Valley oder vielleicht auch den im Veganismus angestrebten hundertprozentigen Gewaltverzicht es ist typisch menschlich, das Menschsein berwinden zu wollen. Tiere kennen das nicht, jedenfalls vermutlich nicht. Sie sind einfach das, was sie sind, und kmpfen nicht dagegen an. Das Bedrfnis, entweder Tier oder Gott zu sein, das Verletzliche zu berwinden, nicht zwischen Himmel und Erde zu stehen, sondern unverrckbar zu sein dieses Bedrfnis ist ein tragikomisches. Es gibt fr mich in der Auseinandersetzung mit diesen Fragen keine finale Antwort, aber etwas Erdendes, etwas Melancholisches. Der Freitag: Ihr Protagonist Adam versucht, den Sinn durch Schreiben zu ergrnden; gleichzeitig aber misstraut er den Worten, sie zerflieen ihm unter der Hand. Neft: Ja, das ist die Tragik des Schriftstellers. Mich hat das Schreiben an Vom Licht, vorsichtig ausgedrckt, in einen Zustand leichter Melancholie versetzt, weil es mir hnlich ging wie Adam: Man versucht, mit Worten zu knacken, was durch Worte entstanden ist. Das ist ein absurder Prozess, weil Selbstvergewisserung oft eher Selbstvernebelung ist, aber dennoch einer, der angesichts der Alternativen am meisten taugt. Ich denke, wir kommen nicht drumherum, die Scheie, die andere und wir selbst mit Worten anrichten, durch andere Worte wieder neu zu rahmen und dadurch neue Sinneinheiten zu stiften. Eine Evolution der Kultur, die aber kein Ziel haben muss, auer stndig neuen Quatsch zu fabrizieren und zu verhindern, dass es noch schlimmer wird. Der Freitag: Und daraus entsteht dann der absurde Humor. Neft: Ja. Ich mag die nihilistische Perspektive, wenn sie nicht auf einen Kulturpessimismus, sondern auf Humor hinausluft; wie bei Beckett zum Beispiel. Ich finde auch "Vom Licht" auf bestimmte Weise lustig. Adam macht einen riesigen Klimbim mit Worten, und am Ende merkt er, dass man damit alles und nichts begrnden und ganze Welten erschaffen und wieder zerstren kann. Der Prozess ist unterhaltsam, aber das ist nicht der Weg, eine fr sich selbst richtungsgebende Wahrheit zu entdecken. Am Ende zieht Adam eine Konsequenz und verabschiedet sich von der Sprache. Der Freitag: Was ihn aber in die Autonomie fhrt, was ihn unabhngig macht von Norea, ist sein Begehren, das sich einerseits inzestus manifestiert Neft: Das halte ich geradezu fr stilbildend in Sekten. Der Freitag: andererseits aber auch durch die Lektre de Sades, des brutalsten Aufklrers. Neft: Dass der Marquis de Sade der Brutalste der Aufklrer war, mag fr seine Schriften gelten. Tatschlich aber zeigte er sich praktisch als Humanist. Robespierre berief de Sade als Revolutionsrichter, und im Rahmen dieser Ttigkeit sollte er natrlich auch Todesurteile aussprechen. De Sade aber weigerte sich, weil ihm Tten aus politischen Grnden pervers vorkam; dafr wre er beinahe seinerseits auf dem Schafott gelandet. Aber ich denke nicht, dass die Lektre von de Sade Adam ausbrechen lsst. Es ist eher sein Wille, zu leben und sich zu entfalten. Der Freitag: Die Zieheltern sind Gnostiker, die die Aufklrung hinter sich gelassen und sich aus der Welt genommen haben. Adam selbst kommt am Ende ber die Worte zur Entscheidung, dass er was tun muss, und zieht in die Welt hinaus; oder vielmehr: Er kmpft sich in die Welt hinein. Neft: Ja, diese Lesart gefllt mir. Die Zieheltern sind nicht trotz, sondern gerade wegen der Aufklrung religis geworden. Ihr Wappenspruch wre ein Credo quia absurdum. Fr sie gehren, wie Wittgenstein sagte, Tatsachen alle zur Aufgabe, nicht zur Lsung; diese Einsicht nehmen sie als Freibrief. Wir knnten sie postfaktische und damit absolut zeitgeme Menschen nennen. Der Freitag: Heute manifestiert sich das Postfaktische ja vor allem in rechtsgerichteten Bewegungen, die einer ressentimentgeladenen Weltsicht nachspren. Ihre Anhnger werden sich in dem Buch allerdings nicht wiederfinden. Was Trump, Petry, Pegida und so weiter auszeichnet, ist ja gerade ihr selbstsicherer Auftritt; davon sind Norea und Valentin weit entfernt. Neft: Das sollten wir den Lesern berlassen, welche Parallelen sie entdecken. Ich kann nur vermuten, dass Valentin und Norea womglich gerissener, konsequenter und ein bisschen offensichtlicher depressiv, verzweifelt, auch suizidal sind als der bliche Populist. Sie haben weiter gedacht, sie glauben nicht an eine immanente Lsung: Hedonismus, Faschismus, Kommunismus das ist fr sie alles Quatsch, da es nur unter irdischen, also begrenzten, vergnglichen, hchst stranflligen Bedingungen auf den Weg zu bringen ist. Ihre Kritik setzt am Krper an, am Dasein an sich. Adam ist durch sie geprgt. Wenn er leben will, muss er sich gedanklich, emotional und physisch gegen diese Positionen behaupten. Der Freitag: Und der erste Schritt dazu ist das Schreiben. Neft: Ja. Der Freitag: Das rehabilitiert die Kultur wieder. Neft: Wir werden da also nie ganz rauskommen. (lacht und bestellt eine Linsensuppe). Das Gesprch fhrte Frdric Valin der Freitag | Nr. 44 | 3. November 2016

zum Artikel gehen

Tiere denken ein heikles Thema der Mensch-Tier Beziehung

Tiere denken In seinem Buch Tiere denken Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen (2016) spricht der Phiolosoph und Autor Richard David Precht über das ambivalente Verhältnis des Menschen zum Tier. Precht stellt den gängigen Argumenten, daß der M

zum Artikel gehen

Osterkörbchen #27

Niedersachsen: Zuschauerfreikarte für das Seminar "Gelebte Freiheit" mit Frédéric Pignon und Magali Delgado für Sonntag 13.5.18 zu gewinnen

zum Artikel gehen

Der Traum vom eigenen magischen Tier wird wahr

Der Traum vom eigenen magischen Tier wird wahr Heunec präsentiert die tierischen Helden #Anzeige Mit bereits mehr als 2,8 Millionen Kinobesucher:innen in Deutschland hat der zweite Teil von „Die Schule der magischen Tiere“ nahtlos an den Erfolg des e

zum Artikel gehen

Tierliebekongress

Tierliebekongress Der Kongress ist genau das richtige für dich, wenn du dein Tier besser verstehen möchtest und du dich für alternative Medizin interessierst. Ein Online Kongress für dein Tier 7 Tage lang kannst du täglich interessanten Interviews rund

zum Artikel gehen