Über die Papierindustrie in Sachsen: Ein Nachtrag zum Jahr der Industriekultur

Über die Papierindustrie in Sachsen: Ein Nachtrag zum Jahr der Industriekultur  Das Jahr 2020 der Industriekultur in Sachsen ist Geschichte. Die Landesausstellung im Zwickauer Audi-Bau hat ihre Pforten geschlossen. Die Papierindustrie kam darin leider so gut wie gar nicht vor. Dabei war sie auch eine typische Nachfolgeindustrie des Montanwesens und hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Der folgende Beitrag kann diese Lücke zwar nicht schließen, möchte aber dazu beitragen, dass sich hier keine Leerstelle verfestigt. Geschildert wird die Entwicklung der Branche in Sachsen, auch und vor allem am Beispiel der Papierfabrikanten-Dynastie Weidenmüller. Der lange Weg zur industriellen Papierherstellung Während sich die Menschheit zunächst damit behalf, Notizen in Stein zu meißeln oder in Ton zu ritzen, markiert das Beschriften von Papyrus-Blättern etwa im alten Ägypten den Übergang zum blattförmigen Material. Als Erfinder des Handschöpf-Verfahrens zur Herstellung einzelner Blätter gilt Tsai Lun, der als Beamter am chinesischen Kaiserhof um 105 n. Chr. Erstmals das Aufschließen von pflanzlichen Fasern wie Bambusgras und ihr Verfilzen durch das Schöpfen in einer Form beschrieb. Infolge der Entwicklung verschiedener Druckverfahren – beginnend mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (1387 – 1468) in Mainz – nahmen der Zeitungsdruck sowie die Herstellung von Büchern und sonstiger Druckwerke zu Beginn der Neuzeit einen rasanten Aufschwung. Mit der Erfindung der Papiermaschine von Louis Robert 1798 in Frankreich gelang es schließlich, aus einer wässrigen Faserstoff-Suspension eine endlose Papierbahn zu erzeugen. Als Fasergrundlage dienten – neben weiteren Zutaten – lange Zeit alte Lumpen (sog. Hadern), deren mühsame Aufbereitung, geschweige denn die immer enger werdende mengenmäßige Beschaffung, zwingend nach Ersatzlösungen rief.  So kam es 1846 zur Erfindung des Holzschliffs durch Friedrich Gottlob Keller (1816 – 1895) im sächsischen Hainichen, der sich vom Bau der Wespennester aus eingespeichelten Holzfasern inspirieren ließ. Später erfolgte die Herstellung von Zellstoff nach dem Mitscherlich-Verfahren. Hierbei wurden Holzschnitzel in einem Kochprozess unter Druck mittels einer zu-nächst eingesetzten Sulfit-Lauge zu chemisch aufbereitetem Faserstoff verarbeitet. Verschiedene Bleichprozesse folgten zur Erreichung von weißem Papier oder von Karton. Mit dem Einsatz von Holz als nachwachsendem Rohstoff war die Faserstoff-Knappheit beseitigt und die Basis für die Entstehung eines bedeutenden Industriezweigs geschaffen worden. Im Ergebnis folgten zahlreiche Gründungen von Papiermühlen, in denen es trotz vorhandener maschineller Hilfen zunächst dennoch recht handwerklich und mühsam zuging. Ein bedeutender Fortschritt gelang erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als größere Papier-Maschinen zusammen mit einer ganzen Reihe neuartiger Einrichtungen zur Aufbereitung und Fertigung verfügbar wurden – bis schließlich die Entwicklung im Bau von umfangreichen Papierfabriken gipfelte. Schwerpunkte der Papierherstellung in Deutschland entstanden hauptsächlich im Raum von Düren und in Ostdeutschland, befeuert durch den sprunghaften Anstieg des Papierbedarfs um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, u.a. durch neue Kommunikationsmittel wie den Versand von Postkarten, der zunehmend in Mode kam. Wasserkraft: Standortvorteil für die Industrieansiedlung Auch gab es vorerst noch nicht die Möglichkeit, Maschinen aller Art elektrisch anzutreiben. Man war ausschließlich auf die Wasserkraft angewiesen. So betrieb schon Franz Eduard Weidenmüller (1819 – 1892) in Zwickau eine kleine Spinnerei und eine Papierfabrik. Die Familie verließ die Stadt 1866 vor der grassierenden Cholera und zog mit Sack und Pack ins Erzgebirge nach Antonsthal bei Schwarzenberg. Dort stand seit 1859 die König-Antonshütte mit ihrer bedeutenden Wasserkraft zum Verkauf, die der Fiskus mangels ausreichender Lieferungen von Bleisilbererzen aufgegeben hatte, und die günstig ersteigert werden konnte. Franz Eduard Weidenmüller ergriff die Gelegenheit, erwarb die stillgelegte Hütte und stellte dort zunächst Holzschliff zum Verkauf her, doch schon bald begann er, auch Papier zu fabrizieren. Zu den Pionieren der Holzschliff- und Papiererzeugung im Erzgebirge zählte auch die Familie Niethammer.  In Antonsthal entstand ein bedeutender Standort der Papiererzeugung und sukzessive ein für Westsachsen so typisches Industriedorf. Rund um die Holzschleiferei und die spätere Papierfabrik entwickelte sich nicht nur eine Werkssiedlung mit Arbeiter- und Beamtenwohnungen im neuen Heimatstil, sondern ein eigenes Gemeinwesen mit Schule, Bäckerei, Gärtnerei, Gasthaus und Bahnhof, darunter teils Gebäude im Jugendstil. Bemerkenswert ist, dass Antonsthal parallel zu seiner industriellen Entwicklung auch eine beliebte Sommerfrische und sogar Luftkurort wurde. Unzählige zeitgenössische Postkartenmotive, noch heute im antiquarischen Markt erhältlich, zeugen von der Beliebtheit des Ortes. Die Söhne von Franz Eduard Weidenmüller, Victor, Oscar und Fritz Weidenmüller schauten sich nach weiteren unternehmerischen Aktivitäten in der Region um. Sie fanden in Dreiwerden bei Mittweida, in der Nähe des Zschopau-Flusses, die passenden Grundstücksflächen, die sie vom ehemaligen Bergwerk in Schönborn und vom Lippmannschen Bauerngut käuflich erwerben konnten, um hier eine neue Papierfabrik „auf der grünen Wiese“ zu errichten. Um dieses Projekt überhaupt realisieren zu können, wurde zunächst eine neue Eisenbahnlinie von Mittweida nach Dreiwerden verlegt, um die schweren Lasten an Baumaterial und Maschinenheranbringen zu können. Es entstand 1905 – 1907 die damals modernste Papierfabrik, erstmals mit zweiparallel laufenden Papiermaschinen samt den erforderlichen Aufbereitungs- und Fertigungsanlagen für bessere Druckpapiere. Das erste Papier aus Dreiwerden wurde 1907 an den Scherl-Verlag nach Berlin geliefert. Ab 1913 gab es zusätzlich einen Betriebsteil mit Streicheinrichtung für hochwertige Sorten wie das Spitzen-Erzeugnis „Kometen-Kunstdruck-Papier“. Die Produktion betrug ca. 100 Tonnen Papier pro Tag im Dreischicht-Betrieb, hauptsächlich in Formaten für alle Druckverfahren, also Buch-, Offset- und Tiefdruck. Ein ansehnlicher Exportanteil erreichte viele Kunden weltweit. Die Geschwindigkeit der Papiermaschinen bewegte sich lange Zeit im Bereich von 100 Meter pro Minute. Zum Vergleich: Heutige Anlagen erreichen z.T. 2.000 m/min. und über 1.000 Tonnen pro Tag. Die technische Planung für Dreiwerden einschließlich umfangreicher Maschinenlieferungen lag bei der Maschinenfabrik J. M. Voith in Heidenheim (Brenz) und die baulichen Belange zur Errichtung der Fabrikgebäude, einschließlich der Wohnkolonie für Arbeiter und Angestellte, oblagen der Architekten-Firma Händel & Franke in Leipzig, wie auch die Villa von Fritz Weidenmüller. Das 20. Jahrhundert und seine Brüche Unheil nahte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Hans Weidenmüller, Vorstand der F. E. Weidenmüller Aktiengesellschaft und Vater des Autors dieser Zeilen, hatte durch seine guten Kontakte zu seinen größeren Kunden, wie z.B. zu F. A. Brockhaus in Leipzig oder zu der jüdischen Verlegerfamilie Ullstein in Berlin, eine verlässliche Einschätzung über die verbrecherischen Kriegsvorbereitungen um 1935, was sich u.a. auch durch Einschränkungen in der Beschaffung von Kohle und Stahl anlässlich geplanter Investitionen bemerkbar machte. Hans Weidenmüller dachte daher an den Verkauf des Unternehmens und an einen Umzug in die Schweiz. Sein Vater Oscar Weidenmüller war gegen diese Gedanken, da er sein Lebenswerk nicht aufgeben wollte. Beide Betriebsteile in Antonsthal und in Dreiwerden wurden nach dem Krieg widerrechtlich enteignet und als Volkseigentum verstaatlicht. Erhebliche Fehlentscheidungen führten zu unvermeidlichen Qualitätseinbußen und somit kaum zu ordentlicher Rentabilität. Nach der Wiedervereinigung wurden beide Werke von der Treuhandanstalt 1993 – 1996 abgewickelt, wobei die Fabrikteile in Antonsthal sogar gänzlich abgerissen wurden. Ein Untergang zweier hervorragender Papierstandorte, den es trotz Interesses an einem Neubeginn seitens der Alteigentümer nicht aufzuhalten gelang. Die Papierindustrie als Baustein der sächsischen Industriekultur Immerhin: Die Antonsthaler Werkssiedlung blieb erhalten und ist für viele ehemalige Betriebsangehörige Heimat geblieben; die in Dreiwerden steht als Ensemble unter Denkmalschutz – leider unzureichend bewohnt. Eine Sammlung von Dokumenten über die Geschichte der Familie Weidenmüller sowie über technische und geschäftliche Unterlagen mit inzwischen ca. 10 Metern Aktenbestand befindet sich im Sächsischen Wirtschaftsarchiv in Leipzig. Weitere Bestände hält das Sächsische Staatsarchiv in Chemnitz wie auch das Haupt-Staatsarchiv in Dresden. Bleibt zu hoffen, dass die Papierindustrie beim weiteren Ausbuchstabieren des Profils der sächsischen Industriekultur einen angemessenen Raum einnimmt und künftig nicht (wieder) vergessen wird. Der Autor, Dipl.-Ing. Ralf Weidenmüller, Urenkel des Firmengründers F.E. Weidenmüller, wurde am 17. Okt. 1934 in Chemnitz geboren und wuchs zunächst in Dreiwerden bei Mittweida auf. Nach Schulbesuchen in der Schweiz erwarb er in der Papierfabrik Biberist bei Solothurn und in der Maschinenfabrik J. M. Voith in Heidenheim/Brenz erste Fachpraxis im Papierfach. Im Wintersemester 1955/56 nahm er das Studium an der TH Darmstadt, Fakultät Maschinenbau, auf. Es folgte das Fachstudium Papieringenieurwesen bei Prof. Dr.-Ing. Walter Brecht, dem Bruder des Dichters Bertolt Brecht. Nach Abschluss des Studiums als Diplomingenieur im Frühjahr 1962 bereitete er sich bei den G. Haindl'schen Papierfabriken in Augsburg auf die Inbetriebnahme der in Walsum/Niederrhein neu errichteten Papierfabrik vor. In Walsum oblag ihm zunächst die Leitung der Papier-Stoffaufbereitung sowie der Betriebskontrolle. 1965 wurde er Betriebsleiter des Werkes Walsum und von der Firma Haindl mit Handlungsvollmacht ausgezeichnet. 1972 wechselte er zu den Hannoverschen Papierfabriken Alfeld/Leine als Prokurist und Leiter der Technischen Abteilung. 1977 wurde er Geschäftsführer des technisch-wissenschaftlichen Vereins der Zellstoff- und Papier-Chemiker und -Ingenieure, ZELLCHEMING e.V. Damit war auch die Position des Chefredakteurs der Fachzeitschrift ,,Das Papier'" verbunden. Von 1982 bis 1984 fungierte er gleichzeitig als Generalsekretär der europäischen technischen Vereinigung der Zellstoff- und Papierindustrie (damals 16 Länder) ,,EUCEPA" mit Sitz in Paris. 1990 wurde ihm das Ritterkreuz Erster Klasse des Ordens der Weißen Rose von Finnland durch den finnischen Staatspräsidenten in Anerkennung seiner Verdienste um die Entwicklung der technischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Finnland und Deutschland verliehen. 1999 wurde er in Grenoble zum Ehrenmitglied der EUCEPA ernannt. In seiner Freizeit beschäftigte sich Ralf W. mit Heimatgeschichte und der Familienforschung. Sein Interesse galt auch der Technik- und Papiergeschichte, der Papierrestaurierung und dem Handschöpfen von Papier – dazu liegt auch ein populäres Buch von ihm vor.

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