Ulrike Guérot: Unsere Presse ist frei und die russische Presse nicht frei.

Die Professorin für Politikwissenschaft Ulrike Guérot wollte dieses Interview vom März zurückziehen. Nach über zwei Monaten Blockade hat sie es nun freigegeben (und in weiten Teilen umgeschrieben). Themen sind die Invasion Russlands in der Ukraine, Presse,-Meinungs- und akademische Freiheit.„Das Interview wurde am 18. März bereits geführt, konnte indes aus zeitlichen Gründen erst Anfang Juni überarbeitet und freigegeben werden. Inzwischen haben sich die Ereignisse mit Blick auf den Krieg in der Ukraine fast überstürzt und deuteten Ende April sogar auf eine Eskalation hin. Die Fragestelllungen könnten vor diesem Hintergrund deshalb etwas anachronistisch wirken. Die Interviewte wollte aus dem Grund des langen zeitlichen Abstands das Interview als „nicht mehr aktuell“ zurückziehen, eine Bitte, der der Interviewer indes nicht stattgegeben hat. Die Antworten mussten deswegen erheblich überarbeitet werden, was einen gewissen Anachronismus dennoch nicht auflösen konnte.“ (Ulrike Guérot) Widerspruch des Interviewers: Frau Guérot wollte das Interview von Anfang an zurückziehen, was aus einer E-Mail des Westend-Verlags vom 25.03. unmissverständlich hervorgeht. Alles Weitere zur über zwei-monatigen Autorisierungs-Blockade von Frau Guérot und ihre Änderungen hier. +++ Frau Guérot, haben Sie in den letzten Wochen bei sich eine ukrainische Flagge aufgehängt – oder bereits wieder abgehängt? Ulrike Guérot: Ich habe sie weder auf- noch abgehängt, denn ich bin nicht im Krieg. Ich beobachte einen Krieg zwischen der Ukraine und Russland und möchte als Beobachterin – auch als besorgte Mutter und Professorin – dieses Kriegsgeschehen, das ich nicht gutheiße, so gut es geht beobachten und nicht parteiisch sein. Ja, es ist ein völkerrechtswidriger Angriffskriegs Russlands, aber die völlig ungefilterte und absolute Parteiname Europas für die Ukraine gleich zu Beginn des Krieges ohne irgendeine Berücksichtigung der problematischen und durchaus nicht eindeutigen Vorgeschichte der russisch-ukrainischen Auseinandersetzungen spätestens seit dem Maidan 2014 hat mich etwas überrascht, ebenso wie das mangelnde kritische Hinterfragen der Rolle der USA in dem Konflikt oder des – uneindeutigen – Verhaltens der EU. Inwiefern? Als es losging mit einer überschäumenden Russophobie, also mit „russische Produkte aus dem Supermarkt“ oder dass Russen teilweise in Kliniken nicht mehr behandelt wurden, dass russische Künstler, oft Lieblinge unserer westlichen Bühnen, sich „positionieren“ mussten, dass russische Kinder an Schulen gemobbt wurden usw., obwohl es doch zum europäischen Wertekanon dazugehört, zwischen einem kriegstreiberischen Machthaber und der Bevölkerung zu unterscheiden. Russinnen und Russen sind auch im Krieg, auch auf ihrer Seite sterben Soldaten. Andererseits machen auch Russen Opposition gegen Putin. Ich habe mit diesem pauschalen „der Russe ist wieder da“, auf das zu Kriegsbeginn so schnell umgeschaltet wurde, nichts anfangen können. Das erinnerte mich an eine Terminologie von vor 1989. Wir haben einen ungefilterten und undifferenzierten Feindbildbaufbau erlebt, der fast schon propagandistisch ist, und ein Kriegsgeheul, das ich auf dem Kontinent, der sich seit 70 Jahren seiner Friedenserzählung rühmt, und der nach 1989 eigentlich eine eurasische Friedensordnung aufbauen wollte, nie für möglich gehalten hätte. Wie ist diesbezüglich die Stimmung an Ihrer Universität? So etwas schwappt natürlich auch über auf Universitäten. Zum Glück nicht auf die Uni Bonn, aber ich weiß von der LMU München, dass Kollegen aufgefordert wurden, Kooperationsprojekte mit russischen Universitäten zu unterbinden. Während für ukrainische Wissenschaftler Sonderprogramme im Westen zur Unterbringung bewilligt wurden, wurden russische Wissenschaftler aus Forschungsprogrammen, die mühsam über Jahrzehnte zum Zwecke der Völkerverständigung und des Friedens aufgebaut wurden, verbannt. Ich weiß nicht, ob das klug ist. Hat es Sie besänftigt, dass Olaf Scholz sich klar gegen Russophobie ausgesprochen hat? Ja, es war gut, dass Olaf Scholz die Russophobie nach ein paar Tagen endlich kritisch beanstandet hat. Doch was ich zuvor in den Reden der Außenministerin oder des Bundespräsidenten gehört habe, fand ich nicht besonders gut. Die ersten Kriegstage standen, ähnlich wie bei Corona, in einem „Bann der Gegenwart“ („es sterben Menschen“), und damit geprägt von einem hochgradigen, moralischen Überschuss, gekoppelt mit einem unbedingten und absoluten Imperativ, dass man angesichts tragischer Kriegsbilder handeln müsse. Es fehlte eine nüchterne oder besonnene geostrategische Analyse oder überhaupt die Definition von europäischen Interessen, Kriegs- oder Verhandlungszielen. Annalena Baerbock begann ihre Rede vor der UN-Vollversammlung mit der Geschichte eines Kindes, das in der Kiewer Metro geboren wurde. Aber Krieg ist immer tragisch, auch in Aleppo, Bagdad oder Kabul, wo uns das nicht zum unmittelbaren Handeln genötigt hat, eher im Gegenteil. Es ist die Definition von Krieg, dass Menschenleben geostrategischen Interessen brutal geopfert werden. Dass Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede die 27 Millionen Russen, die im Krieg gegen den Hitler-Faschismus gestorben sind, mit keiner Silbe erwähnte, fand ich auch unglücklich. Die lange deutsch-russische Geschichte kann man nicht auf Putin reduzieren und allgemeine Russophobie bzw. gar ein Russenhass, wie man ihn beobachten konnte, sollte im Land von Herbert Wehner oder Egon Bahr, den Architekten einer Ostpolitik und einer Annäherung durch Wandel, auf die wir einst stolz waren, keinen Platz haben. Im Übrigen verdanken wir Gorbatschow die deutsche Wiedervereinigung. ZitiertAuf die Bevölkerung gerechnet hat ein Drittel der Welt gegen die UN-Resolution gestimmt, denn China und Indien haben sich dem Votum enthalten.Ich bin sehr für eine europäische Perspektive für die Ukraine.Dass Putin die Ukraine gerade auf grausame Weise platt macht, bestreitet kein Mensch. Aber als Politikwissenschaftlerin frage ich nach Machtinteressen: Wer will hier was?Ulrike GuérotNächstes Zitat Sie sprachen eingangs von „einseitiger Parteinahme“ – war das Votum in der UN-Vollversammlung für Sie auch so eine einseitige Parteinahme? Man kann das Votum der UN als eindeutiges Zeichen gegen den russischen Angriff werten und das ist es natürlich auch. Allerdings, wenn Sie sich ein bisschen bei der UN auskennen, wissen Sie, dass vor so einer Abstimmung viel besprochen wird: Welches Land wurde mit welchen (finanziellen) Mitteln oder Versprechungen überzeugt, so zu stimmen, dass Putin möglichst isoliert ist? Vieles spricht dafür, dass diese Abstimmung perfekt orchestriert war. Nicht zu vergessen ist, dass – auf die Bevölkerung gerechnet – ein Drittel der Welt dagegen gestimmt hat, denn China und Indien haben sich dem Votum enthalten. So eindeutig ist das alles auch hier nicht. Sich mit 140 Ländern vorzubesprechen erscheint mir etwas kompliziert. Wieso? Das ist normales UN-Business. Worauf ich hinaus will, ist: Wenn wir Frieden wollen, dann wollen wir keine Eskalation. Und dafür muss es Verhandlungen geben. Und wenn es Verhandlungen geben soll, muss man darauf hören, was die Gegenseite für Probleme, Interessen oder Forderungen hat und diese ernst nehmen. Wenn wir eine Einmischung der NATO oder gar eine atomare Eskalation, die von den Medien seit Ende März ja fast schon herbeigeschrieben wurde und jetzt gerade neue Höhenflüge erreicht (eine atomare Auseinandersetzung bzw. ein „dritter Weltkrieg“ wurden zwischenzeitlich nicht mehr ausgeschlossen), verhindern wollen, dann müssen wir aus der Einseitigkeit und immer weiteren Zuspitzung heraus. Inzwischen hat man fast den Eindruck, als reden wir uns in eine Eskalation hinein. Niemand redet mehr von Frieden oder Verhandlungen, den wir aber doch brauchen, um diesen schrecklichen Krieg zu beenden. Mit immer mehr Waffen beendet man keinen Krieg, sondern man befördert ihn. In einer Verhandlung aber gibt es immer zwei Parteien, zwei Machtinteressen, zwei Sichtweisen. Verhandlungen haben etwas mit Ebenbürtigkeit und mit Respekt vor dem Feind zu tun. Wenn wir ein einseitiges Urteil haben, auch moralisch, dass ganz allein die Russen die Bösen sind, dass es keine Vorgeschichte gibt, keinerlei westliche Mitverantwortung an den Geschehnissen und wir dann noch einseitig auf den Forderungen der Ukraine bestehen, etwa der Integration der Ukraine in die EU und möglichst noch in die Nato – dann ist das keine realistische Verhandlungsposition. Insofern: wer den Krieg beenden will: Die Waffen nieder! Verhandlung kann immer nur darauf beruhen, dass man die Gegenseite in ihren Machtinteressen, so schäbig sie auch sind, ernst nimmt. Aber wo ist denn der Respekt von Seiten Russlands, etwa wenn der Außenminister Lawrow auch nach mehreren Tagen der Zerstörung behauptet, es gäbe gar keine Invasion? Welcher Respekt kommt denn von russischer Seite? Gar keiner. Und trotzdem soll man Russland mit Respekt begegnen? Gelogen wird auf beiden Seiten. Krieg ist Krieg und jeder Krieg ist auch ein Informationskrieg. Es gibt auch immer mehr Ungereimtheiten in der ukrainischen Berichterstattung oder mit Blick auf die Rolle der USA. Wir wissen heute, dass viele Kriegsbilder gefälscht waren. Westliche Medien haben es an einer kritischen Distanz fehlen lassen und oft ungefiltert die ukrainische Sichtweise übernommen. Was wirklich in Mariupol passiert ist, wer genau welche Kriegsverbrechen begangen hat oder wer wem möglicherweise Kriegsverbrechen in die Schuhe schiebt, weiß niemand bis dato ganz genau. Es hat einige Zeit gedauert, bis Medienberichte mit dem Zusatz versehen wurden, Informationen aus Kriegsgebieten nicht immer überprüft werden können. Ganz abgesehen davon, dass auch die semantische Skalierung auffällig ist. Aus dem Angriffskrieg ist inzwischen ein Vernichtungskrieg oder sogar schon ein Völkermord geworden. Das alles will man in 60 Kriegstagen festgestellt haben? Auch der semantische Absolutheitsanspruch zum Beispiel dadurch, dass Vergleiche nicht zugelassen werden, ist auffällig. Niemand negiert, dass in der Ukraine gerade ein brutaler Krieg tobt. Kriege sind immer brutal, nur interessieren uns die Kriege nicht, die nicht in Europa stattfinden. Aus dem Jemen-Krieg mit derzeit fast 400.000 Toten kommen keine Bilder auf unsere Fernsehschirme. Die Waffen niedergelegt hat die Ukraine ja schon vor langer Zeit, als sie qua Budapester Memorandum auf Atomwaffen verzichtete. Es wäre gut, wenn der Verzicht auf Atomwaffen sowieso wieder Usus würde. Die Aufkündigung der Rüstungskontrollvereinbarungen durch die USA war für ursprüngliche Projekt eines gesamteuropäischen Systems kooperativer Sicherheit sicher nicht hilfreich (Link). Die Frage ist: Was hat Putin ins Auge gestochen, dass er diesen Krieg gewagt hat? Irgendwas muss passiert sein, das ihn getriggert hat. Ein Reservist der Bundeswehr sagte mir kürzlich, die Ukraine sei faktisch, auf der Ebene der Operabilität, eingebunden in die NATO. Wenn das stimmt, kann ich zumindest verstehen, warum Putin das nicht gut fand. Das ist, wohlgemerkt! eine analytische Aussage. Damit legitimiere ich nicht das Vorgehen Putins, aber versuche, es zu verstehen. Dass wir – Stichwort „Putinversteher“ –Verstehen inzwischen als etwas Schlechtes bewerten, entspricht eigentlich nicht der Rationalität des Westens, der wir uns immer rühmen. Die besten Analysten in den USA, vor allem John Mearsheimer, weisen seit Jahren darauf hin, dass der Beschluss des NATO-Gipfels in Bukarest von 2008, die Ukraine auf die Kandidatenliste aufzunehmen, der Auslöser war und bis heute Kern des Konfliktes ist. Sie fragen nach Dingen, die Putin „getriggert“ haben könnten. Inwiefern berücksichtigen Sie in Ihrer Analyse auch die zahlreichen Hinweise darauf, dass der Kreml imperial denkt und schlicht und einfach sein Territorium vergrößern will? Das können wir denken und auch behaupten, aber vielleicht stimmt es nicht? Vielleicht geht es, wie oben gesagt, im Kern um den Anspruch der Ukraine, in die NATO zu kommen? Wenn sie rational die einschlägigen Dokumente oder auch die öffentlich verfügbaren Reden von Putin auswerten, die er vor Kriegsbeginn gehalten hat, dann ist die Rede von der Expansion in alle Richtungen eher wenig substantiell. Ich habe damals in den 1980er Jahren Etudes Soviétiques et Est-Européennes in Paris studiert. Da wurde uns beigebracht, Reden von russischen Politikern genau zu analysieren und beim Wort zu nehmen. Wir tun das derzeit nicht, sondern wir behaupten, Putin sei völlig verrückt geworden, und wenn wir ihn nicht in der Ukraine stoppen, dann würde er noch andere Länder angreifen. Wenn Sie die Gespräche des US-Filmemachers Oliver Stone mit Putin anhören, die man im Internet finden kann, dann kommen Sie zu einem anderen Ergebnis. Stone schildert Putin als rationale Person mit klaren Zielen, was wiederum nicht heißt, dass Putin nicht aggressiv oder brutal sein kann. Ich kann die Gespräche jedem nur empfehlen, der sich ein objektives Bild machen möchte und der noch bereit ist, die andere Seite überhaupt anzuhören, bevor sie diabolisiert wird. Ist Putin also von Wahn getrieben oder wurde er „getriggert“? Antwort gestrichen Ja, weil das Wort Trigger den Auslöser in der Ukraine verortet, während Wahn eher auf den imperialen Putin verweist, der sein Reich vergrößern will.* *Äußerung des Interviewers, von Ulrike Guérot gestrichen Wie oben ausgeführt, wahrscheinlich keins von beiden. Unser Problem ist, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, dass jemand grausam, aber rational bzw. nüchtern kalkulierend ist. Das klingt so, als wäre es Ihrer Meinung nach besser, die Ukraine würde die Waffen niederlegen und eine russische Besatzung akzeptieren. Die Frage ist: Was ist die Strategie der Ukraine? Und: Was wollen Sie denn? Dass ukrainische Teenager auf russische Teenager schießen? Derzeit sterben Schätzungen zufolge mindestens 60-100 junge ukrainische Soldaten täglich für ein militärisches Ziel, das nicht einmal klar umrissen ist. Zurückdrängen der russischen Truppen auf die Linien vor dem Krieg? Rückeroberung des Donbas oder gar demnächst der Krim? Viele Generäle – ehemaliger UN Assistant Secretary-General Michael von der Schulenburg, Generalleutnant Erich Vad, der Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat, auch Henry Kissinger – sagen alle, dass dieser Krieg militärisch nicht zu gewinnen ist, wie überhaupt kein Krieg zu „gewinnen“ ist. Daher ist die Frage, ob die Ziele, die wir haben – Frieden und Europäisierung der Ukraine – nicht besser über einen Waffenstillstand und Verhandlungen zu erreichen sind, wie z.B. der italienische Außenminister Di Maio am 18. Mai vorgeschlagen hat. Darüber wird aber nicht diskutiert. Die Diskussion geht derzeit nur darüber, wann endlich schwere Waffen geliefert werden. Der Diskurs hat sich verlaufen in eine pathetisches „Putin darf nicht gewinnen“ oder „die Ukraine darf nicht verlieren“, ohne dass jemand definiert, was das eigentlich heißen soll. Die möchte zum Beispiel in die EU. Das habe ich bereits ausgeführt. Und die Ukraine wollte in die NATO, das war ein Staatsziel, verankert in der ukrainischen Verfassung. Vielleicht müssen wir mal realisieren, dass das eine unrealistische Forderung ist? Der Schlüssel zur Befriedung des Konfliktes liegt wahrscheinlich in der Neutralität der Ukraine und einer EU-Beitrittsperspektive für den westlichen Teil. Wie Alice Schwarzer jüngst geschrieben hat, geht es jetzt weniger um militärisch „siegen“ oder verlieren“ als darum, dass einige „Machos“ in diesem Konflikt von ihrem hohen Ross herunterkommen. Waren Sie schon mal in der Ukraine? Ich war einige Male in Kiew habe dort wunderbare Studierende getroffen, mit jungen Ukrainern die besten Diskussionen über Europa geführt. Ich kenne die ukrainische pro-europäische Jugend, aber das ist natürlich nicht die ganze Ukraine. Zum Zeitpunkt des Maidan, 2014, wollten laut Umfragen 52% in die EU, 48% aber nicht. Das ist kein ganz einheitliches Bild. Es gab dann nach den Maidan-Protesten ein EU-Assoziierungsabkommen, das ziemlich unter amerikanischen Druck zustande gekommen ist. Dazu hat mir meine Freundin, Emma Bonino, die damals italienische Außenministerin in der Regierung Renzi war, einiges aus den EU-Ratssitzungen vom März 2014 erzählt, es ist aber auch ein offenes Geheimnis. 2014 etwa, als die Medien in Deutschland noch kritischer funktionierten, hat z.B. „Die Anstalt“ im ZDF die US-amerikanische Propaganda angesichts des Maidan ziemlich aufs Korn genommen. Es gab beim Maidan viele ungeklärte Fragen, etwa zu den Scharfschützen oder der Äußerung der US-Botschafterin bei der EU in Brüssel, Victoria Nuland „Fuck the EU“. Es ist immer noch ungeklärt, welchen Einfluss dort die USA genommen haben. Wie viel Geld ist da von Seiten der USA geflossen, zum Beispiel an NGOs, um Deutungshoheiten zu schaffen? Man kann zu diesem Konflikt auch andere Perspektiven einnehmen, selbst viele amerikanische Strategen haben immer wieder und jahrelang gewarnt, dass die Ukraine ein rotes Tuch ist, das Putin zu irgendwas reizen wird, nicht zuletzt etwa Henry Kissinger. Es gab auf vielen Sicherheitskonferenzen stets Warnungen, es wäre selbstmörderisch, irgendetwas mit der Ukraine zu machen. Glauben Sie, dass Menschen, die heute in der Ukraine leben, sich jetzt gerne dem russischen Regime anschließen würden? Nein. Trotzdem muss man analysieren, was in den letzten zehn bis 15 Jahren in der Ukraine passiert ist. Was ist unter Janukowytsch nach dem Maidan passiert? Warum hat sich der Donbass abgespalten? Man kann nicht negieren, dass die Ukraine kein geeintes Land ist, dass es eine russische Minderheit gibt, die nicht in Ruhe gelassen wurde, dass das Minsker Abkommen von der Ukraine aufgekündigt wurde, dass es seit nunmehr acht Jahren eine Art ukrainischen Bürgerkrieg gibt mit bisher 14.000 Todesopfern. Man muss beleuchten, dass das Bild in der Ukraine nicht ganz eindeutig ist, und dass es sogar zwielichtige ukrainische Gruppen gibt. Ja, es gibt eine rechtsextremistische Partei, Prawij Sektor, die es mit zwei Prozent nicht ins Parlament geschafft hat die aber Verbindungen in die jetzige Regierungskoalition hat. Selbst der ukrainische Botschafter Melnyk hat noch 2015 Blumen am Grab von Stepan Bandera niedergelegt, Sie können einflussreiche ultra-nationalistische Strömungen nicht leugnen. Auch in der Ukraine gibt es Korruption und Geldströme auf der einen Seite, und NGOs und demokratische Diskurskoalitionen auf der anderen, das ist doch nichts Neues! Trotzdem wäre ich die Letzte, die bestreitet, dass es in der Ukraine Demokratisierungsbestrebungen und eine klare pro-europäische Hoffnung gibt. Was halten Sie denn von einem möglichen EU-Beitritt? Ich bin sehr für eine europäische Perspektive für die Ukraine, allein schon, um dieses Land zu stabilisieren. Aber es gibt zwei Fragen: die eine ist die territoriale. Die autonomen Gebiete müssten m.E. die Möglichkeit eines Referendums bekommen, wie auch schon vielfach gefordert. Die Frage der Krim muss thematisiert werden. Sogar US-Präsident Biden hat kürzlich erklärt, es könne sein, dass die Ukraine Land an Russland wird abtreten müssen. Und schließlich ist die Frage wann? Ich bin nicht für einen fast sofortigen Beitritt der Ukraine, wie jetzt schon vielfach gefordert, als überraschend schnell das Beitrittsformular von Herrn Selenskyj an Frau von der Leyen vor laufender Kamera übergeben wurde. Was sollen die Balkan-Staaten sagen, die teilweise seit Jahrzehnten auf einen Beitritt hinarbeiten und warten? Oder die Türkei? Die EU ist keine beliebige Institution, in den man wahllos und eilig Länder stopft wie Klamotten in einen Sportsack. Es gibt klare Kriterien, die die Ukraine derzeit einfach nicht erfüllt und die nicht für die Ukraine aufgeweicht werden sollten und es gibt hohe Hürden, die in vielen Paketen langwierig verhandelt werden müssen. Nur deswegen können wir die europäische Rechtsstaatlichkeit und die europäischen Werte so hochhalten. Auf keinen Fall darf die EU zu einem Art Auffangbecken mutieren für Länder, die die USA sich in der NATO wünschen, die das aber nicht schaffen. Europäische und amerikanische Interessen sind hier nicht unbedingt kongruent, darauf weist u.a. Klaus von Dohnanyi derzeit immer wieder hin. Sie glauben vermutlich nicht daran, dass Putin sich die Ukraine einverleiben will? Doch, das glaube ich. Und ich sage auch, dass dies tragisch ist. Kriege generell sind tragisch, auch die in Kabul oder Syrien, die uns übrigens nicht im Entferntesten so moralisch aufgeladen haben, so dass wir etwa 2003 beim Einmarsch der USA im Irak hierzulande alle McDonalds zugemacht hätten. Und wenn wir uns Mariupol anschauen, was ist da jetzt wirklich geschehen? Waren Sie dabei? Ich nicht. Waren das die Asow-Truppen oder die russischen Truppen? Ich weiß es nicht. Im Krieg wird gelogen, von beiden Seiten. Was ist Ihre Alternative? Wenn wir uns an den Irak erinnern: die Brutkastenlüge führte zum Beginn des ersten Golfkriegs, genauso erfunden waren die Massenvernichtungswaffen, die zum Zweiten Golfkrieg führten. Dass Putin die Ukraine gerade auf grausame Weise platt macht, bestreitet kein Mensch. Aber als Politikwissenschaftlerin frage ich nach Machtinteressen: Wer will hier was? Und wenn ich Russland als einen Kombattanten habe und auf der anderen Seite den Westen, die NATO, die sich ins Kriegsgeschehen einlässt, Macht die NATO denn in diesem Krieg mit? Offiziell nicht. Aber was heißt das schon? Seit Jahren ist die CIA in der Ukraine aktiv. „Wir“ liefern Waffen, unterstützen eine Kriegspartei, denken laut über Eingriff nach. Es ist doch absurd zu negieren, dass hier längst ein russisch-amerikanischer Proxy-Krieg stattfindet und an dessen politischer Befriedung über Verhandlungen die USA derzeit kein lautes Interesse bekundet wird. In den USA – und sowie im gesamten Rest der Welt – wird das bereits offen so ausgesprochen und diskutiert. Nur in Deutschland ist der Blick noch verengt, Putin wird diabolisiert, er ist der einzige Übeltäter, Moral ersetzt Argumente und eine seriöse Diskussion über Hintergründe, Interessen und Motive des Krieges findet nicht statt. Mein eigentlicher Punkt ist: Wer hat Interesse an diesem Krieg? Wenn ich, wie Clausewitz, nach Machtinteressen frage, nach ökonomischen Interessen, stelle ich zum Beispiel fest, dass im Moment viel Geld aus Europa in den USA angelegt wird. Die USA sind an den Finanzmärkten im Moment absoluter Kriegsgewinner, das ist Fakt. Die USA profitieren auch strategisch: sie konnten die Autorität der NATO auf dem europäischen Kontinent stärken, die Mitgliedschaft um Schweden und Finnland erweitern, das lange umstrittenen „2%-Ziel“ für Militärausgaben durchsetzen. Ob das alles europäischen Interessen und dem europäischen Streben nach Souveränität, Handlungsfähigkeit und Autonomie dient, ist die Frage. Als jemand, der schon lange über ein politisches handlungsfähiges Europa nachdenkt, macht mich das zumindest stutzig. Europa wird durch die Sanktionen von den BRIC-Staaten abgeschnitten, was Europa in die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Selbstschädigung treibt. Die USA verkaufen hingegen Fracking Gas. Ob das alles für Europa mittel-und langfristig vernünftige Weichenstellungen sind, die jetzt unter dem Druck der schrecklichen Kriegsbilder so entschieden werden, möchte ich infrage stellen dürfen. Meine Sorge ist, dass wir durch die augenblicklichen Entscheidungen wieder eine harte Grenze mitten in Europa zementieren, Europa wird derzeit in einer Nord-Süd-Linie grosso modo vom baltischen Meer bis zum Schwarzen Meer geteilt. Damit schwinden die Hoffnungen und Perspektiven auf eine europäische Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok, die wir eigentlich nach dem Fall der Mauer 1989 errichten wollten. Die Arbeit daran sollten wir tunlichst wieder aufnehmen, denn Putin wird irgendwann verschwinden, aber Russland wird bleiben. Wir sollten dringend an einem eurasischen Zwischenraum zwischen „Chimerika“ bauen, wenn Europa nicht zwischen den geostrategischen und geoökonomischen Interessens der USA und China zerrieben werden soll. Sie sagen, es wird „auf beiden Seiten „gelogen“, ohne jegliche Differenzierung. Wie oft waren Sie in Russland, sprechen Sie Russisch, mit wem sind Sie in Russland Kontakt? Ich sagte schon: es gibt auch einen Informationskrieg. Auch das ist üblich in Kriegen. Ich spreche kein Russisch, war aber mehrfach in Moskau und in St. Petersburg. Ein sehr guter italienischer Freund von mir filmt z.B. derzeit im Donbas, ich bin in Europa breit vernetzt, auch mit Ukrainern und Russen und erhalte von vielen Seiten sehr, sehr unterschiedliche Einschätzungen und Beobachtungen. Ist das der gleiche Fall in Deutschland? Ich finde zum Beispiel problematisch, dass wir auf Russia Today nicht mehr zugreifen können. Grundsätzlich gilt für mich Clausewitz: Verstehe deinen Feind. Der mündige Bürger soll die Informationen genauso wie die Propaganda von beiden Seiten betrachten. Dann kann er sich sein Urteil bilden. Wenn ich beobachte, dass in Deutschland bestimmte Informationen nicht durchkommen, dass Twitter-Kanäle gelöscht werden, dann ist das im Hinblick auf den Meinungspluralismus ein Problem. Der Irakkrieg hat mich in dieser Hinsicht stark geprägt. Dass man Julian Assange inhaftiert hat, für Bilder, die Kriegsverbrechen zeigen, und was man bis heute mit ihm gemacht hat und hat, finde ich sehr schlimm, vor allem, dass der öffentliche Aufschrei ausbleibt. Ich versuche, mich in einem tragischen Geschehen auf eine neutrale Ebene zu stellen und von dort nach rechts und nach links zu gucken. Aber nochmal die Frage zur Pressefreiheit: Würden Sie die Situation der Presse in Russland mit der in Deutschland gleichstellen? Nein. Was bedeutet dann Ihr Satz „gestunken und gelogen wird auf beiden Seiten“? Wenn ich in deutschen Medien lese „der CIA beanstandet Menschenrechtsverletzungen“, dann glaube ich dem genauso wenig wie Russia Today. Wenn Sie die Medienlandschaft in Deutschland und Russland vergleichen: Gibt es für Sie da gar keinen Anlass zu differenzieren? Doch, natürlich. Es ist aber die Frage, wie man „Medienlandschaft“ definiert: Beziehen Sie da zum Beispiel Multipolar und Telepolis mit ein? Sicher, die können doch hier frei berichten wie sie wollen. Ja, nur wer nimmt das wahr? Abgesehen davon, dass kritischen Medienportalen auch hier teilweise die Bankkonten gesperrt werden oder mit „Shadow Banning“ gearbeitet wird. Finden Sie das gut? Aber es ist doch ein Unterschied ob ich kleine Leserschaften habe oder ob ich für kritische Artikel ins Gefängnis komme, mein Sender geschlossen wird und ich Texte, die das Wort „Krieg“ enthalten, löschen muss, um nicht verhaftet zu werden. Natürlich ist es ein Unterschied. Sie stellen es auf eine Stufe, mit der Bemerkung: „gelogen wird auf beiden Seiten“. Kriegspropaganda ist Kriegspropaganda ist Kriegspropaganda. Schauen Sie in den Irak, was dort mit „embedded journalism“ gemacht worden ist. Ich versuche nur klar zu kriegen, dass ich weder den Russen – denen sowieso nicht – noch den Amerikanern unbedingt alles glaube. Die Italienerin Anne Morelli hat in den 1930er Jahren Elemente von Kriegspropaganda analysiert. Die klare Teilung in Gut und Böse gehört ebenso dazu wie die Diabolisierung des Feindes. Davon sind wir heute m.E. nicht weit entfernt. Die Amerikaner bestimmen also die deutsche Medienlandschaft, verstehe ich Sie da richtig? Nein. Es ist viel subtiler. Natürlich ist unsere Presse frei und die russische Presse nicht frei. Trotzdem haben wir in Deutschland und generell im freien Westen inzwischen sehr problematische Tendenzen mit Blick auf den Meinungspluralismus. Das haben wir bei der Corona-Politik gesehen und wir sehen es jetzt wieder bei der Ukraine: Wir erliegen der Versuchung, mit gleichen Waffen zurückzuschlagen, siehe die Blockade von Russia Today. Es existiert hier noch eine freie Presse, die aber im leitmedialen Raum nicht richtig durchkommt. Wo waren denn die kritischen Stimmen zu den Reden von Annalena Baerbock und Frank-Walter-Steinmeier zur plötzlichen Aufrüstung? Gestern haben wir Helme geliefert, heute sind es gegen alle Wahlversprechen 100 Milliarden und die Presse jubelt. Michel Foucault sagte einmal: „Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven „Polizei“ gehorcht.“ Ich lese genug kritische Stimmen, was diese Aufrüstung anbelangt. Ich habe seit Wochen eine Diskussion verfolgt, in der es im Wesentlichen darum ging, wann endlich schwere Waffen geliefert werden. Das diskursive Prinzip ähnelt sehr der Corona-Debatte, wo unter dem Imperativ einer großen Moral sofort und verabsolutiert gehandelt werden musste, wobei Besitzstände von Demokratie und Werten im Nu über den Haufen geworfen wurden. Bei Corona hatten wir den Lockdown, von heute auf morgen wurden kolossale Eingriffe in Freiheitsrechte vorgenommen unter dem Vorwand des Guten: „Das muss jetzt unbedingt sein und darf nicht hinterfragt werden“. Das war, wenn wir es strukturell betrachten, bei der Ukraine mindestens ähnlich, wo im Handumdrehen Prinzipien der Staatsräson (außenpolitische Zurückhaltung, keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete) unter dem Eindruck tragischer Bilder über Bord geworfen wurden. In der Corona-Zeit wollte man um jeden Preis Leben retten und opferte dafür die Freiheit, Im Ukraine Krieg will man um jeden Preis die Freiheit retten und opfert dafür das Leben, so formulierte das Katharina Körting jüngst im „Freitag“. In beiden Diskussionen gilt es als moralisches Verhalten, Andersmeinenden die Moral abzusprechen. Wir sollten dringend aus dieser Schwarz-Weiß-Malerei heraus. Haben wir in Deutschland eine „mediale Gleichschaltung“ wie Sie in Ihrem jüngsten Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ mit Bezug auf die Pandemie geschrieben haben? Antwort gestrichen* „Anstrengend“ klingt aber noch etwas anders als „mediale Gleichschaltung“, oder?* *von Ulrike Guerot gestrichen Wenn der Ringier-Verlag die Belegschaften seiner Zeitungen anschreibt und verlangt, die Regierungsmeinung zu unterstützen, was ist das denn sonst? In meinem Buch schreibe ich von „freiwilliger medialer Gleichschaltung, aber nicht auf Knopfdruck“. Ich lege dabei auch dar, wie dieser Prozess eines immensen Konformitätsdrucks vonstattenging. Auf diese Weise wurde eine ganze Bevölkerung systematisch in Panik und Hypnose versetzt und durch Angst auf bestimmte Verhaltensmodi getrimmt hat, die dann als alternativlos gesetzt wurden. Ist „mediale Gleichschaltung“ dafür der richtige Begriff? Den Begriff sogenannter „freiwilliger medialer Gleichschaltung“ habe nicht nur ich, den haben auch viele andere verwendet. Nach und nach wurden in vielen Medien die Mitarbeiter auf Linie gebracht, auf sie wurde ein redaktionsinterner Druck ausgeübt, und wer sich nicht fügte, der wurde ausgesiebt, entfernt. Viele Andersdenkende blieben auch, aber sie trauen sich nicht mehr, den Mund aufzumachen und zu sagen, was sie denken, weil sie um ihren Job fürchten. Wenn das nicht „Gleichschaltung“ ist, was dann? Ich weiß, in der Öffentlichkeit bekommt man wenig davon mit, aber hinter den Kulissen lief und läuft immer noch eine ungeheure Säuberung von kritischen Stimmen ab. In einigen Fällen ist allerdings davon doch etwas nach außen gedrungen, man denke etwa an den Fall Ole Skambraks beim SWR, man denke weiters an den Fall Katrin Seibold beim ZDF, an den Fall Harald Martenstein beim „Tagesspiegel“ oder an den Fall Ortwin Rosner beim „Standard“. SWR Rundfunkmitarbeiter Ole Skambraks wurde wegen seines kritischen Artikels Oktober 2021 bzgl. der Corona-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen innerhalb eines Monats fristlos vom SWR gekündigt. Die ehemalige „Kulturzeit“-Redakteurin Katrin Seibold hat wegen Kritik am System inzwischen ihren Job nicht mehr. Der festangestellte SWR-Moderator Martin Ruthenberg wurde wegen seines Engagements für die Initiative „Leuchtturm ARD“, die es übrigens auch für ORF und SRF gibt, abgemahnt, weil er damit eine staatsferne, multipolare und objektive Berichterstattung durch Zurückhalten der Rundfunkgebühren erwirken möchte. Der Initiator dieser Bewegung „LeuchtturmARD“, Spielfilmproduzent Jimmy C. Gerum („Nach 5 im Urwald“, „Soweit die Füße tragen“) hatte drei Twitter-Accounts, die innerhalb kürzester Zeit gelöscht waren, nachdem er Anfang 2021 von der ARD eine Entschuldigung für die einseitige Berichterstattung gefordert hat. Und in diesen vier Beispielen waren nicht einmal impfkritische Äußerungen im Spiel. Ole Skambraks Website www.meinungsfreiheit-jetzt.de, die Anfang Mai freigeschaltet wurde, enthält zahlreiche haarsträubende Berichte zahlreicher Mitarbeiter & Journalisten von den ÖRR. Sie wurde von den Leitmedien mehr oder weniger ignoriert. Ist „mediale Gleichschaltung“ dafür der richtige Begriff? (von Frau Guerot nachträglich eingefügt) Ich spreche, wie ich oben schon sagte, von „freiwilliger medialer Gleichschaltung“. Wollen wir über Begriffe streiten oder darüber, dass derzeit ein massiver Abbau an Meinungspluralismus zu beobachten ist, der allen, die an Freiheit interessiert sind, Sorge bereiten sollte? Die Erosion der Meinungsfreiheit ist die Erosion der Demokratie. Sie erwähnen Ihre Wut. Sind Sie auch wütend gewesen auf den großen Teil der Bevölkerung, welcher die Corona-Maßnahmen getragen und unterstützt hat? Die Frage ist: Haben alle diese Menschen die Maßnahmen wirklich unterstützt oder konnten sie nicht anders? Formal waren es vielleicht 70 Prozent, aber solche Umfragen differenzieren nicht aus, ob diese Menschen die Maßnahmen tatsächlich gut fanden, oder nur aufgrund von Konformitätsdruck mitgemacht haben, weil sie sich einer Mehrheit gefügt haben. Sie trauen den hohen Zustimmungswerten nicht? Formal kann man nichts gegen die 70 Prozent sagen, aber Fragen nach den Motiven für die Antwort werden ja nicht gestellt. Der Psychologe Matthias Desmet, den ich im Buch zitiere, spricht in diesem Zusammenhang von „Massenformation“, und differenziert aus, dass von den Zustimmenden wohl etwa nur um die 30% wirklich von den Maßnahmen überzeugt waren. Und der Rest? Die sind aufgrund von Konformitätsdruck dabei. Der Nachbar macht es so, ich will nicht unsolidarisch sein, ich bin eh ohnmächtig, also bin ich dafür. Die meisten Menschen gehen mit der Mehrheit, was nicht heißt, dass sie dafür sind. Das wissen wir aus allen möglichen psychologischen Studien. Sie schreiben im Buch von einem Vertrauensverlust breiter Schichten der Bevölkerung in die Politik und in staatliche Institutionen. 16 Prozent der Deutschen beschäftigen sich zum ersten Mal mit dem Gedanken, auszuwandern, 23 Prozent sehen Deutschland auf dem Weg in eine Diktatur. Das spricht nicht gerade für ein Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen oder unsere Funktionseliten. Und dass Corona eine Situation war, die es so noch nie gab, dass Probleme und gesellschaftlichen Verwerfungen mehr oder weniger vorprogrammiert waren Das ist jetzt die Diskussion, für die ich das Buch geschrieben habe, damit wir genau darüber diskutieren, aufarbeiten und thematisieren, was falsch gelaufen ist. Dass man in Panik meistens falsch reagiert, weiß jeder. Aber warum haben wir nach dem ersten Panikmoment, um den Sommer 2020 herum – als man wusste, für wen das Virus gefährlich ist und für wen nicht – einfach weitergemacht? Warum haben sich die Maßnahmen verselbständigt, als andere Länder längst ausgestiegen sind? Die Schweden haben einen anderen Weg eingeschlagen, per Capita sind dort weniger Menschen gestorben als bei uns. Wir haben die Risikogruppen nicht besser dadurch geschützt, dass wir die anderen im Lockdown gehalten haben. In den Medien wurden diese Fragen ja häufig diskutiert Mittlerweile, also seit Jahreswechsel 2021/ 2022 kann man solche Dinge inzwischen recht offen diskutieren, die Argumente der Gegenöffentlichkeit konnten in die Leitmedien vordringen. Vermutlich ist darum auch die Impflicht gescheitert, was ich begrüße. Über Impffolgen kann man inzwischen sprechen, ohne an den Pranger gestellt zu werden. Dennoch bleibt es schwierig und man muss unablässig dafür kämpfen, kritische Argumente in den Diskurs zu bekommen. Ich kenne verzweifelte Rechtsanwälte, die mit Klagen aller Art immer wieder gescheitert sind, und die am Ende gesagt haben: Da ist kein Durchkommen, ein Teil des Justizapparat ist also längst politisch eingestielt. Oder Ärzte, die berichten, dass sie Impffolgen kaum melden können und um deren Erfassung buchstäblich kämpfen müssen. Es gibt kritische Ärzte und Anwälte, die Impffolgen thematisieren wollen, aber das wird relativ systematisch vertuscht, es kommt nicht in eine größere leitmediale Öffentlichkeit. Ein Vorstand der Krankenkasse BKK wurde entlassen, weil er das Paul-Ehrlich-Institut auf Impfnebenwirkungen aufmerksam machen wollte. Und daraus ist das Problem entstanden, dass viele von den erwähnten 70 Prozent gar nicht wussten, wie sehr abweichende Meinungen schon längst unterdrückt wurden und werden. Man bekommt meistens nicht mit, was man nicht am eigenen Leibe erlebt. Je mehr man solche Dinge erfährt, desto mehr wundert man sich, warum so etwas nicht auf die „Spiegel“-Titelseite kommt, oder warum ich einen Bericht über die Anhörung des Informatikers Tom Lausen im Gesundheitsausschuss, auf der dieser die Daten des RKI über den Impfschutz auseinandernimmt, nur zum Beispiel bei den Nachdenkseiten finde. Nun deuten Sie an, dass sich die Situation Ihrer Meinung nachgebessert hat … und das ist eben genau jenen kritischen Leuten zu verdanken, die diese Diskussion immer wieder geführt haben. Man kann jetzt hin und wieder kritische Artikel im „Cicero“, in der „Berliner Zeitung“ oder in der „Welt“ oder „Bild“ lesen, aber selten in Leitmedien wie „Spiegel“, FAZ, „SZ“, „Zeit“, ARD und ZDF. Ein Freund von mir arbeitet beim Morgenmagazin (MoMa), und der berichtet mir, dass bislang jeder Versuch gescheitert ist, bei Corona mal ein anderes Framing zu bringen. Da ist so vieles falsch gelaufen und hat sich zwischenzeitlich verfestigt, dass ich mich frage, wie – und ob überhaupt wir da wieder herauskommen, zumal die meisten die Diskursschließung ja nicht einmal bemerkt haben. Viele Wissenschaftler warnen vor Long-Covid. Nehmen Sie diese Warnungen ernst? Long-Covid gibt es, scheint aber auch ein sehr umstrittenes Phänomen zu sein, mit so vielen potentiellen Nebenwirkungen, dass sehr vieles die Ursache sein kann. Inzwischen gibt es Diskussionen darüber, ob viele der Langzeitfolgen nicht eher auf den Stress durch die Corona-Maßnahmen als auf das Virus selbst zurückzuführen sind. Es gibt Studien, die zeigen, dass unter Long-Covid auch Patienten sind, die Corona nie gehabt haben. Tatsächlich haben Länder wie die Schweiz die Zertifikatspflicht aufgehoben.* Im Buch äußern Sie die Befürchtung, dass mit Hilfe der digitalen Nachweise nun ein „Netz der Überwachung“ etabliert werden könnte. *von Ulrike Guérot bei der Autorisierung gestrichen Ob es so weit kommt, wird sich noch zeigen. Wenn die Impfpflicht doch noch kommt, wird man den Impfstatus nachweisen müssen, es gibt auch schon die Idee eines Zentralregisters. Wir werden im Herbst sehen, ob diese Debatte noch einmal angefacht wird. Eine Bewegungskontrolle über Barcodes, über die sich zurückverfolgen lässt, wer wann wo ist, etwa wann man im Restaurant ein- und auscheckt – solche Dinge finde ich nicht gut und sie stehen nicht auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung. Mir scheint, dass es gar keine Intention gibt, mit Hilfe des Corona-Monitorings einen Überwachungsstaat zu etablieren. Momentan Gott-sei-Dank nicht mehr, denn die Impflicht ist ja gescheitert. Warten wir ab, was im Herbst passiert. Bei Ihnen klingt es so, als würden Corona-Maßnahmen genutzt für die Etablierung eines Überwachungsstaat – während in der Realität die Tendenz in Richtung Abschaffung der Zertifikate geht.* Aber was hat digitales Monitoring mit Bürgerüberwachung zu tun? Elektronische Ticketsysteme gibt es seit mehreren Jahrzehnten. Hätten Sie damals, bei der Einführung dieser Technik, auch schon protestiert?* *von Ulrike Guérot bei der Autorisierung gestrichen Ich denke, dass zum Beispiel die vom Handy ständig mitgeschnittenen Bewegungsdaten auch irgendwo landen. Diese Daten können gebraucht, aber eben auch missbraucht, zum Beispiel für Retracing und Überwachung. Es wird auf vielen Ebenen bereits versucht, digitale Kontroll- und Überwachungssystem einzuführen, immer mit dem Argument „nur für deine Sicherheit“. Das Problem bei dieser hohen Datenakkumulation ist, dass wir einen auch autoritären Missbrauch in großem Stil nicht ausschließen können. Shoshana Zuboff hat darüber in ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ ausführlich geschrieben. Prinzipiell müssen wir uns fragen: Hat man überhaupt noch ein Recht auf analoges Leben? Hat man noch die Möglichkeit, ein Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe zu führen, auch wenn man kein Smartphone besitzt? Oder wird irgendwann die Pflicht zum Besitz eines Smartphones ins Grundgesetz geschrieben, weil man sonst praktisch nicht mehr durchs Leben kommt? – Diese Fragen würde ich schon gerne einmal breit diskutiert sehen. Kommen wir zum Schluss noch von der persönlichen zur akademischen Freiheit. Hat diese gelitten in den letzten zwei Jahren? Ja. Und das nehme nicht nur ich so wahr. Sogar der Hochschulverbandspräsident hat formuliert, dass sich der Diskurskorridor verengt hat. Wir haben zum Beispiel die Professoren Wodarg und Drosten mit sehr konträren Positionen zu Corona nicht öffentlich miteinander diskutieren lassen, einfach, weil einer dieser Professoren zuvor als nicht seriös diffamiert und aus dem Diskurskorridor gedrängt wurde. Wir lassen zwar noch eine gewisse Diskussion zu über Einzelheiten, Variationen oder Schwierigkeitsgrade des Virus, aber zentrale Prämissen des Corona-Geschehens dürfen nicht in Frage gestellt werden. Ich selbst bin ‘gecancelt worden, nach einem Interview zu Corona im Deutschlandfunk wurde ich z.B. von einer Veranstaltung ausgeladen. Mir wurde eine Konferenz-Förderung abgelehnt, formal natürlich unter einem anderen Vorwand, informell aber ersichtlich, weil ich Maßnahmen-kritisch war. Ein Interview von mir über Europäischen Populismus wurde, nachdem es, fertig, transkribiert und korrigiert war, auf einmal ohne Angabe von Gründen vom Zentrum für die Liberale Moderne nicht mehr gedruckt, offensichtlich auf Intervention eines Vorstandes hin. Was aber hat Corona mit europäischem Populismus zu tun? Ich beobachte, ähnlich zu Thomas Bauer in seinem Buch „Die Vereindeutigung der Welt“, wie auf einmal die ganzen Zwischenräume wegfallen. Es ist so, wie bei Christian Morgenstern: „Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, um hindurchzuschaun…“ – und dann kommt ein Architekt und baut den Zwischenraum ab. Wir haben keine differenzierten, aufgefächerten, geschweige denn dialektischen Zwischenräume mehr im Diskurs. Für Demokratien aber ist eine Vereindeutigung der Welt gefährlich.

zum Artikel gehen

betr. Interview mit Ulrike Guérot

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist mir die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot mit verschiedenen Beiträgen (Interviews, Talkshow-Auftritte etc.) aufgefallen. Manche nahm ich mit Verwunderung zur Kenntnis, zum Beispiel, dass sie die Risikogruppe für Co

zum Artikel gehen

Wir hoffen auf Welpen Ende Juni 2017

von Ayoka vom Johanniskirchel (HD-A, ED 0/0, OCD frei DM N/DM) und Enzo vom Kaarzer Hof (HD-A, ED 0/0, OCD frei, DM N/N) //

zum Artikel gehen

Grünbelag Frei Eco-Power-Pulver von Mellerud

Aktuell gibt es bei uns das Grünbelag Frei Eco-Power-Pulver von Mellerud für nur 3,99 € (statt 6,99 €). Der Beitrag Grünbelag Frei Eco-Power-Pulver von Mellerud erschien zuerst auf bauSpezi Baumarkt Hohenwestedt.

zum Artikel gehen

PRESSE

Lorem ipsum dolor sit amet consetetur sadipscing elitr sed diam.  (2 Min. Lesezeit)

zum Artikel gehen

Kanemite SC Spinnmilben-Frei 30ml

Kanemite SC Spinnmilben-Frei mit Acequinocyl Preis: 12,95 EUR inkl. 19% MwSt. zzgl. Versandkosten

zum Artikel gehen