Afghanistan: Korrupt, aber gut

Jennifer hat sich wieder aus den USA gemeldet  und schickt uns ihren bisher dritten Postund ich muss schon sagen: ihre Erlebnisse und Gesprächspartner machen schon einen neidisch. Es ist schon interessant zu lesen, was man so jenseits der medialen Massenberichterstattung in Erfahrung bringen kann, wenn man sich denn wirklich für das Thema interessiert. Und deswegen bloggt Jennifer hier ja auch. An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank für die Mühe, die Du Dir hier aufgehalst hast:-) Von Jennifer Stötzel Eine Woche Washington DC liegt hinter uns. Eine Woche voller Sonnenschein (es war wirklich tolles Wetter), aber vor allem eine Woche voller Eindrücke, die wir dank zahlreichen Besuchen bei Experten, die sich mit Afghanistan beschäftigen, hatten. Ob Personen von offiziellen Stellen oder Leute von Think Tanks – wir haben Einblicke in jede Ecke bekommen. Die Meinungen, die sie mit uns teilten waren – je nach Zugehörigkeit zu Regierungen oder nicht – sehr unterschiedlich. Es gab pessimistische Ansichten und überaus optimistische über die Zukunft Afghanistans. Gestern waren wir zu guter Letzt bei James Dobbins von der RAND Corporation, einem militärischen Think Tank. Er hat unsere Eindrücke, die wir in den vergangenen Tagen erhalten haben, noch einmal sehr gut zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Denn er hatte nicht einfach einen generellen negativen Standpunkt zu Afghanistan, sondern hat genauso die positiven Entwicklungen betrachtet und mit in seine Analyse miteinbezogen. So benannte er von Anfang an drei Fehler, die die internationale Gemeinschaft in Afghanistan gemacht hat. So sagte er, dass es schlecht gewesen wäre, eine regionale Kooperation im Konflikt zuzulassen, weil verschiedene Gruppen, von unterschiedlichen Ländern „gesponsort“ und unterstützt wurden. So war es vor allem für die westlichen Alliierten schwer, eine einheitliche Vorgehensweise durchzusetzen. Des Weiteren wurden die Verantwortlichkeiten der Afghanen im Land unterschätzt. So wurden wichtige Punkte für die öffentliche Sicherheit am Anfang nicht genügend gefördert, wie freie Medien oder Bildung, die einen Konflikt anheizen können. Das wurde mittlerweile ja aber korrigiert. Der dritte Fehler, der erst viel später bemerkt wurde, war, die Taliban nicht mit in einen Versöhnungsprozess miteinzubeziehen. „This took us ten years“, sagte Dobbins. „Thats how we got where we are now“. Zusammenfassend sagte er zu seinem Standpunkt, dass die Medien die Lage in Afghanistan meist sehr pessimistisch darstellen. Jedoch hat das Land seit 2001 viel dazu gewonnen, was auch verschiedene Studien belegen. So konnte sich Afghanistan in Sachen Demokratie, Regierungseffektivität, Wirtschaft und „Human Development“ sehr weiterentwickeln. Jedoch, im Vergleich zu anderen Konflikt-Staaten, die ebenfalls in ihrer Entwicklung beobachtet wurden, hat Afghanistan immer noch keinen Frieden. Auch wenn viele andere Länder sich weniger gut entwickelt haben, sie haben doch meistens jetzt Frieden. Trotzdem seien viele Afghanen über ihre eigene Zukunft positiv gestimmt. Denn sie urteilen im Vergleich zu ihrer eigenen Vergangenheit. Es sei schwer, die Entwicklungen, die gemacht wurden (Telefon- und TV-Zugang oder freie Journalisten sind nur einige Beispiele) umzudrehen. So etwa akzeptieren viele auch die Korruption, die in ihrem Land vorherrscht. „It holds the country together“, sagte Dobbins. Die Regierung sei zwar korrupt, aber es sei auch gleichzeitig die beste Regierung, die die Afghanen je hatten. Für uns Westler sei es normal, dass Institutionen der Regierung stark und durchsetzungsfähig seien. Doch für Afghanen ist das völlig neu. Deshalb sei es auch unrealistisch, dass die Afghanen direkt Vertrauen in die Regierung fassen und immer noch mehr ihren eigenen Familien vertrauen. Der Afghanistan-Konflikt sei eben auch kein Konflikt über nationale Identität. Die Afghanen (auch die unterschiedlichen Ethnien) sehen sich als Afghanen und wollen auch in Afghanistan leben. Es sei ein Krieg um Macht. Für die Zukunft Afghanistans sieht Dobbins verschiedene Möglichkeiten. Auch er sieht, dass die Regierung nach den Wahlen und nach dem Abzug der westlichen Truppen zusammenbrechen könnte. Aber – er verglich es mit dem Abzug der Sovjets aus Afghanistan – sei es wenn mehr ein Grund der Geldflusses aus dem Westen, als dem direkten Abzug der Soldaten. Es werde darauf ankommen, wie die Afghanen sich verhalten in den kommenden Jahren, ob ihr Land stabil bleibt oder nicht. Außerdem werde es davon abhängen, wie sich die USA und die europäischen Staaten verhalten werden. So gingen unsere Tage in Washington zu Ende und nun sind wir in New York – unglaublich, aber wahr. Es war schön, eine Unterhaltung mit Dobbins am Schluss unserer Info-Reise in DC zu führen, die einen so „realistischen“ Blick auf die Lage hatte. Es nannte eben positive, wie eben auch negative Entwicklungen und brachte sie auf den Punkt – das ermutigt für unsere Verhandlungen. So können wir nun die vielen verschiedenen Ansichten auf Afghanistan zurück blicken, die uns bei NMUN helfen werden. Nach einigen Tagen kurzer touristischer Entspannung wird es in zwei Tagen losgehen mit der Konferenz und wir werden uns bemühen, das Beste für Afghanistan raus zu holen. Jennifer Stötzel**

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