"Das Buch der Wunder" von Stefan Beuse (Rezension)

Alles umgibt dich, immer, nur auf einer anderen Ebene. Sieh es dir an, ich schreib alles in dieses Heft. Alles, was du wissen musst. Aber sei vorsichtig. Vertrau keinem auer dir selbst, und achte auf das, was dir begegnet. Wnsch mir Glck. Ich ksse und umarme dich hundertmal. Gezeichnet: Penny, Knigin des Dschungels, nach Diktat verreist, lalala. Ist ein Leben ohne Wunder ein lebenswertes Leben? Wenn die Welt und die Lebewesen darin nichts als Uhrwerke sind, deren Ticken vollstndig festgelegt und wissenschaftlich erschpfend vermessbar ist was bleibt uns dann zu glauben, zu hoffen und zu lieben? Dieser Frage scheint Beuses Buch anfangs nachzugehen. Die Figurenkonstellation ist ein wenig exemplarisch: Tom ist ein an Forschung und Wissenschaft interessierter Junge. Er erklrt seiner phantasievollen Schwester Penny, dass die grne Flaschenglasscherbe eben kein Smaragd und die Maus im Garten wirklich tot ist da hilft auch kein aus Scherben um den Nager herum errichtetes Haus aus Licht. Der Vater der beiden repariert Uhren. Von ihm hat Tom seine Leidenschaft fr die nchterne, unbestechliche Wissenschaft und das Buch Welt der Wissenschaft. Es gehrt zu einem Schuber mit zwei Bnden, aber die Welt der Wunder hat der Vater nie angerhrt. Die Mutter hingegen neigt einem verflachten Christentum zu, mehr halbherzige Traditionspflege und formelhafter Trost, als Glaube (also die Fhigkeit entschlossen und mit dem ganzen Wesen an einer groen Geschichte mitzuspinnen). Der Vater verschliet sich mehr und mehr und begeht schlielich Selbstmord. Die Mutter heiratet drei Jahre spter einen Langweiler und zieht mit den Kindern in eine besonders ordentliche Reihenhaussiedlung. Die nchterne Wissenschaft fhrt zu Depression und Tod, ein nur behaupteter Glaube in die Sterilitt. Anders die Kinder: Penny ist humorvoll, kreativ und durch einen naiven Glauben an die Macht der Phantasie wunderbar geborgen. Tom ist neugierig und aufrichtig und will durch wissenschaftliche Forschung hinter den Schleier der Illusionen sehen, dahin gehen, wo noch keiner gewesen ist, wie Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betrat. Das erste Drittel hat mir besonders gut gefallen: In einer klaren, unaufdringlich poetischen Sprache nhert Beuse sich mit groer Einfhlungsgabe dem Wissendrang und der Fabulierlust zweier Kinder auf dem Weg in die Jugend. Offenheit, Staunen und Entdeckerlust zeichnen beide aus. Whrend Tom jedoch lieber die Welt als mglichst objektives Phnomen erkunden und ent-decken will, erschafft Penny ihre hemmungslos subjektiven Welten. Hingebungsvoll und hinreiend beschreibt Beuse eine diese Gegenstze spielerisch berwindende und verbindende Liebe zwischen Bruder und Schwester. Objektives und subjektives Universum, Wissenschaft und Mystik vershnen sich im Begriff der Frequenzen: Jedes Lebewesen sendet und empfngt in einem bestimmten Frequenzbereich. Wer seine Frequenz verndert, verndert seine Wahrnehmung der Welt und so verndert sich die Welt fr ihn. Das Ganze ist das Wahre: die Summe aller Frequenzbereiche. Die Ereignisse sind aus Toms Perspektive erzhlt, Penny aber ist fr mich der magische Charakter. Als sie nach etwa 60 Seiten weitgehend aus der Geschichte verschwindet, verliert diese an Kraft. Auf verschlungenen Pfaden sucht Tom nach ihr. Zunchst in (krankheitsbedingten) Visionen, schlielich (viele Jahre spter) im Aufeinandertreffen mit einem jungen Mdchen. Dazu flicht Beuse noch einen anfangs sehr spannenden Krimiplot ein, der sich ebenfalls ber viele Jahre erstreckt, die in kurzen Sprngen abgehandelt werden. Zwei Kriminalbeamte ermitteln das vorbergehende Verschwinden Toms. Jahre spter (der Vermisste ist lngst wieder aufgetaucht) ist eine der beiden Beamtinnen noch immer an Tom und seiner Schwester interessiert. Diese Entwicklung ist weder allzu glaubwrdig noch fr den Roman zwingend ntig und offenbart eine Schwche des Buches: Zu viele Motive hngen zu lose miteinander zusammen: das Dschungelbuch und die Wlfin Rakscha, ein verwunschener Waldsee (eine instabile Zone wie in Stalker), ein in die Grube fallender Pastor, ein hundezerfetzender Dmon, eine Autoimmunerkrankung namens Lupus erythematodes, eine Plastikfigur von Neil Armstrong, der Song row, row, row your boat, das Buch der Wunder (ein von Penny geschriebenes Heft), die Welt der Wunder (der oben erwhnte Ergnzungsband zu Welt der Wissenschaft), eine Reinkarnation Pennys in einem zweiten Haus aus Licht. Durch diese hohe Zahl auf kleinem Raum werden die einzelnen Motive abgeschwcht und der Zusammenhang zwischen Alltagswelt und dem Wunderbaren wirkt hin und wieder ein wenig beliebig. Es scheint so, als habe Beuse die 220 Seiten des Romans aus einem viel lngeren Text destilliert, in dem die einzelnen Bestandteile mehr Raum hatten, sich zu entfalten und zu verzahnen. Dennoch ist die Lektre auch ber das erste Drittel hinaus lohnend: Die Fabulierlust, die durch den Kontrast mit einer konzentrierten Sprache nicht gezhmt sondern verdichtet wird, verleiht auch spteren Episoden dieser faszinierend eigenwilligen Erzhlung Kraft. Die genauen und humorvollen Skizzen von einem Filmset oder aus einer Werbeagentur, in der Tom als Erwachsener arbeitet, zeigen Beuses Talent mit wenigen Worten viel auszudrcken und seine Leser zu unterhalten, ohne ihren Intellekt gering zu schtzen. Im stimmigen, gut vorbereiteten Finale finden zentrale Motive des Buches zusammen und erzeugen noch einmal jenes Staunen, das Antrieb und Wirkung dieses Romans ist. Ist ein Leben ohne Wunder lebenswert? Diese Frage beantwortet Beuse ziemlich frh, indem er den Vater in den Selbstmord schickt und das Wunderbare als Wirklichkeit (also Wirkung) in eine realistisch (wenn auch sozial weitgehend konturlos) gezeichnete Welt einfhrt. Dmonen wten in Wldern und erinnern uns daran, nicht vor uns und unseren ngsten wegzulaufen. Und Huser aus Licht, und seien sie nur Teil einer Illusionsmaschine der Werbewelt, spiegeln das kindliche Vertrauen in die Alleinheit wieder: Wir gehen nicht verloren, wir ndern nur unseren Frequenzbereich. Stefan Beuse: Das Buch der Wunder. Mairisch Verlag 2017, gebundene Ausgabe, 224 Seiten, 18 Euro

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