Es ist das Schlimmste, was beim Schreiben passieren kann: Unsere Botschaft kommt beim Leser falsch an. Es entstehen Missverständnisse, Fehler, verpasste Gelegenheiten. Schuld sind oft ungenaue Fremdwörter und Phrasen, die wir unbewusst verwenden. Wie Du Deine Texte treffend und klar schreibst und was das mit Spülmittel zu tun hat. Während meiner Beratung für das Team der Tagesschau stieß ich auf ein grundlegendes Problem von uns Autoren: Jeder von uns gewöhnt sich an bestimmte Begriffe und Redeweisen, aus der Branche, aus dem Fachgebiet. Wir benutzen sie selbstverständlich, ohne darüber nachzudenken. Diese Wörter sind uns so vertraut – wir können uns nicht mehr vorstellen, dass Leser sie nicht verstehen. Aber viele dieser Begriffe sind nur scheinbar verständlich. Wir merken gar nicht, dass wir unseren Lesern nur die halbe Wahrheit erzählen. Wir meinen das Richtige; aber es kommt nicht richtig an. So vermeidest Du Rauschen und Störsignale in Deinen Texten. Unpräzise Texte verwirren In der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau hören wir etwa Floskeln wie „Menschen zeigen klare Kante gegen rechts“ oder Fachjargon wie „Steuerpläne für Eltern“. Warum sind solche Formulierungen problematisch? Nicht, weil sie komplett unverständlich sind. Sondern weil das Publikum diese Begriffe nur halb versteht. Tückisch: Der Autor schreibt es hin, ohne es als Floskel oder Fachsprache zu bemerken. Jeder Leser denkt beim Lesen an etwas anderes, weil die Sprache so abstrakt ist – und viele denken an gar nichts. Halb verstanden ist gar nicht verstanden. Sogar Experten sind sich oft nicht einig, wenn es ums Zuspitzen schwammiger Aussagen geht. Floskeln und Fremdwörter sind ungenau Ein Beispiel aus meinem Artikel zur Tagesschau-Sprache übersetzte ich so: Die Durchführung von Reformen ist für die Regierung eine Priorität. Übersetzung: „Die Regierung will Reformen schnell umsetzen.“ Tina Block, Übersetzerin für Leichte und Einfache Sprache, schrieb mir darauf, für sie sei oberste Priorität nicht gleichzusetzen mit schnell umsetzen. Tina – immerhin Expertin für Vereinfachungen – versteht Priorität offenbar ganz anders als ich. Wenn für mich etwas Priorität hat, dann ist es auch dringlich und möglichst schnell umzusetzen. Ich denke an die vielen Aufgaben, die in meinen ToDo-Listen stehen und mir wird ein wenig schwindelig. Tinas Lebenserfahrung führt offenbar zu einer anderen Bedeutung des Wortes für sie. Um das Problem zu verdeutlichen, fragte ich für diesen Artikel das Sprachmodell ChatGPT, auf welche Weise man den Satz verstehen könnte. Das Ergebnis spricht für sich: Ich: Was könnte jemand damit meinen, wenn etwas für ihn „oberste Priorität“ hat? ChatGPT: Wenn jemand sagt, dass etwas für ihn „oberste Priorität“ hat, bedeutet das, dass diese Sache oder Aufgabe für ihn von höchster Wichtigkeit ist. Es schließt mit ein, dass er dieser speziellen Sache mehr Aufmerksamkeit, Zeit und Ressourcen widmet als anderen Angelegenheiten. Es kann auch bedeuten, dass diese Aufgabe oder Angelegenheit vor anderen erledigt oder berücksichtigt werden muss. In einem Arbeitsumfeld könnte es zum Beispiel heißen, dass alle anderen Projekte oder Aufgaben zurückstehen müssen, bis diese prioritäre Aufgabe abgeschlossen ist. Im persönlichen Leben könnte es etwas sein, das jemand als das Wichtigste in seinem Leben ansieht und dementsprechend behandelt. Fakt: Auch Experten bevorzugen leicht verständliche Sprache Nicht nur haben die meisten Menschen Schwierigkeiten mit komplizierter Sprache1. Studien zeigen: Alle Menschen bevorzugen Verständlichkeit, auch Experten.2 Unklare Sprache verfehlt das Ziel Für viele Menschen bleibt unklar, was genau unter „Steuerplänen“ zu verstehen ist, und die wenigsten nehmen sich die Zeit, darüber nachzudenken. Die Tagesschau-Floskel Menschen zeigen „klare Kante gegen rechts“ vermittelt ebenfalls nur ein ungefähres Bild dessen, was auf Demonstrationen passiert. Aber es fehlt die Tiefe. Echte Kommunikation muss tiefer gehen, und sie schafft das durch schlichte Worte, die der Leser kennt. Sprache aus dem Alltag Deiner Leser benutzen So dringt Sprache ins Bewusstsein der Menschen: Anstatt über „Steuerpläne“, sollten wir darüber sprechen, was das für Eltern bedeutet. Im Alltag haben Eltern nicht mit Steuerplänen zu tun – sie kennen Steuern, Kindergeld, Elterngeld. Wenn wir konkret schreiben, reagieren unsere Leser anders, denn sie können die Auswirkungen auf ihr persönliches Leben nachvollziehen. So auch bei der „klaren Kante gegen rechts“: Statt dieser abstrakten Floskel sind konkrete Beschreibungen wie „Demonstranten sagen Nein zu rechts“ oder „Hunderttausende versammeln sich, um Fremdenfeinden den Weg zu versperren“ wesentlich aussagekräftiger. Solche Erzählungen sprechen die Menschen an, denn sie können sich darunter etwas vorstellen. Abstrakte Begriffe verfehlen das Hirn: Das „Spüli“-Phänomen Uhrzeit: Kurz vor Ladenschluss. Mein Einkaufszettel: Fast so lang wie meine To-do-Liste. Nur eines von vielen Produkten auf dem Zettel: „Spüli“. Obwohl ich direkt vor dem Regal mit Schwämmen und Spülmittel stehe und dabei „Spüli“ lese, reagiere ich nicht; gehe daran vorbei, direkt auf die Salami und den Schinken zu. Ein Teil von mir wusste zwar, dass meine Frau damit Spülmittel meint – und dass Spülmittel mindestens so wichtig wie Salami ist. Weil ich aber den Ausdruck selbst nicht benutze, habe ich kein Bild im Kopf. Ich drehe mich nicht zum Regal; der Impuls fehlt, danach zu greifen. Stattdessen wende ich mich anderen Produkten zu, die mir vertrauter sind und ohne Abkürzung auf der Liste stehen: Tofu, Milch, Staudensellerie (ist Tofu vielleicht doch eine Abkürzung?). Das Beispiel zeigt, wie wichtig konkrete Sprache ist. Begriffe wie „Steuerpläne“ und „klare Kante gegen rechts“ benennen wir klar und sagen, was wir meinen. Nicht nur die Tagesschau muss sich dafür in die Schuhe der Zuschauer stellen und aus deren Sicht auf die Texte blicken. Bewaffnet mit schlichten Begriffen verwenden wir Sprache, die das Publikum selbst nutzt und deshalb versteht. Nur so stellen wir sicher, dass unsere Botschaften vollständig ankommen. Nur so erzielen wir die gewünschte Wirkung: Verständnis, Nachdenken, Fühlen, Handeln. Übung Um klarer zu schreiben, empfehle ich Dir eine Übung. Sie soll Dir helfen, unnötige Floskeln und Fremdwörter zu erkennen: In den nächsten Tagen, achte in Deinem Job auf schwammige oder unnötig komplizierte Ausdrücke. Sie können in Meetings, E-Mails oder auf Unternehmenswebsites vorkommen. Sammle 30 solcher Begriffe und Phrasen in einer Liste (mehr Beispiele findest Du weiter unten). Wenn Du die Liste gefüllt hast, finde für jede Floskel und jedes Fremdwort einen einfachen Begriff. Bei dieser Übung sollst Du verinnerlichen, ob ein Wort den Sinn genau trifft. So verbesserst Du die Klarheit Deiner Kommunikation. Durch die Suche nach einfachen Alternativen lernst Du, Deine Gedanken besser rüberzubringen. Das gilt für Mails, Artikel und andere Texte. Diese Übung verbessert Deinen Schreibstil und macht Dich aufmerksamer für Sprache, die Deinen Lesern und Gespärchspartnern hilft. Checkliste: So vermeidest Du Fremdwörter und Floskeln in Deinen Texten Zielgruppenanalyse: Berücksichtige, welche Sprache Deine Leserschaft im Alltag verwendet. Vermeide Fachjargon, der für sie möglicherweise unverständlich ist. Vermeide alle Floskeln, Phrasen und Worthülsen: Worthülsen wie klare Kante zeigen klingen nach viel und sagen wenig. Weiter unten findest Du eine Liste mit Beispielen. Konkrete Beispiele geben: Nutze anschauliche Beispiele – das macht viele abstrakte Begriffe überflüssig. Beispiele erleichtern auch das Verständnis komplexer Themen. Synonyme und Definitionen einsetzen: Wenn Fachbegriffe notwendig sind, erkläre sie oder biete leicht verständliche Synonyme an. Feedback einholen: Lasse Deinen Text von jemandem außerhalb Deines Fachgebiets lesen, um sicherzustellen, dass er für Laien verständlich ist. Vermeide Abkürzungen: Erläutere zumindest alle Abkürzungen, wenn Du sie das erste Mal im Text verwendest. Auch Akronyme wie EDV solltest Du erklären, wenn Leser sie voraussichtlich nicht kennen. Eigene Annahmen kritisch prüfen: Überprüfe kritisch, ob Du zu viel Wissen bei Lesern voraussetzt. Kontext bieten: Stelle sicher, dass der Kontext von spezifischen Fachbegriffen und Ausdrücken für den Leser klar ist. Sprache anpassen: Passe den Sprachstil an das Thema und den Zweck des Textes an. Fachartikel und allgemeinverständliche Texte erfordern unterschiedliche Herangehensweisen. Verständlichkeit mit Tools prüfen: Nutze Tools wie die WORTLIGA Textanalyse, um Lesbarkeit und Verständlichkeit sicherzustellen. Jeder Text sollte so verständlich wie möglich sein – denn sogar Experten bevorzugen leicht verständliche Sprache. Befreie Deine Leser von diesen Worthülsen Floskeln haben wir schon so oft gehört und gelesen, dass sie nicht mehr wirken. Sag es in schlichten Worten. Die folgenden Worthülsen sagen nichts. Sie verschwinden besser aus Deinen Texten: Klare Kante zeigen Am Puls der Zeit Nachhaltig denken Synergien nutzen Proaktiv handeln Win-win-Situation Ganzheitlich denken Out of the Box denken Die Extrameile gehen Best Practices anwenden Die Komfortzone verlassen Skalierbare Lösungen 360-Grad-Blick Einen Mehrwert bieten Agiles Arbeiten Das Rad neu erfinden Innovative Lösung Kundenorientiert handeln Benchmarking betreiben Strategische Allianzen schmieden Einen Paradigmenwechsel herbeiführen Resilienz stärken Die Customer Journey optimieren Cross-funktionale Teams Den Fußabdruck verkleinern Diversität fördern Disruptive Technologien Einen digitalen Wandel vorantreiben Thought Leadership etablieren Big Data nutzen Digitale Transformation In die Zukunft investieren Smart arbeiten Werte schaffen Wertschöpfungskette optimieren Change Management Grenzen sprengen Kreativität entfalten Leadership zeigen Lösungsorientiert denken Marktpotenziale erkennen Multitasking Netzwerkeffekte nutzen New Work Performance steigern Plattformökonomie Prozessoptimierung Ressourceneffizienz Risikomanagement Skalierbar Stakeholder-Management Start-up-Mentalität User Experience verbessern Wachstumsmarkt erschließen Über den Autor – Gidon Wagner Gidon Wagner ist Experte für verständliche Kommunikation. Er ist Gründer der WORTLIGA und entwickelt im Team die WORTLIGA Textanalyse. Außerdem bildet er in seinen Kursen Texter aus und schult verständliches Schreiben. In seiner Beratung begleitet er Unternehmen und Behörden dabei, auf verständliche Kommunikation umzustellen. Gidon Wagner arbeitet seit 2005 als Journalist. Quellen: 1 Plain Language Is for Everyone, Even Experts, Nielsen Norman Group (Link) 2 Wie denken die Deutschen über dieRechts- und Verwaltungssprache?, Gesellschaft für Deutsche Sprache (Link) Der Beitrag Präzise schreiben lernen: Wie Du Dinge auf den Punkt bringst erschien zuerst auf .
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