Quo Vadis: Kirche auf dem Land

Dr. Benjamin Stahl ist Dorfpfarrer und steht aufgrund des Bevölkerungsrückgangs und zunehmenden Kirchenaustritten vor großen Herausforderungen. Im Interview erklärt er, wie die Zukunft von Kirche abseits der Städte gelingen kann. Benjamin, du hast deine Dissertation über Gegenwart und Zukunft des ländlichen Pfarramts in Ostdeutschland geschrieben. Was ist deine Prognose: Wie sehen die sächsischen Gemeinden des Jahres 2040 auf dem Land aus?Wir leiden teilweise unter Bevölkerungsschrumpfung, wir leiden definitiv unter Kirchenmitgliedschaftsrückgang und demnächst (in zwei Jahren) unter Personalmangel. 12 Kirchdörfer eines Kirchgemeindebunds haben laut Prognose 2040 zwei Pfarrstellen, eine 90 Prozent-Stelle für Gemeindepädagogik, eine rund 50 Prozent-Stelle für Kirchenmusik und eine halbe Verwaltungsstelle. Auf die Verwaltungsstelle kommen noch Prozente für Friedhofsverwaltungen drauf. Zurzeit sind wir bei 3,5 Pfarrpersonen, 150 Prozent Gemeindepädagogik und deutlich mehr Verwaltung. Das ergibt doch ein recht deutliches Bild. Das klingt erstmal ernüchternd, wie äußert sich das in den Dörfern?Die Gottesdienstgemeinden werden kleiner und älter. Die Konfirmandenzahlen brechen ein. Es werden zukünftig weniger Hauptamtliche und Ehrenamtliche mitarbeiten. Dafür wird unsere Fläche größer sein. Wir werden es schwerer haben, unsere Verwaltung auf die Reihe zu bekommen, weil unsere „Verwaltungsanlässe“ nicht genauso schrumpfen wie die Zahl der Gemeindeglieder. Also jedes Haus, jeden Friedhof, den wir halten, wird weitere Arbeit machen. Während das „Programm“, das wir dann haben, mit weniger als der Hälfte der hauptamtlichen Mitarbeiterschaft gestemmt werden soll. Das hast du jetzt ganz stark mit Blick auf Zahlen gesagt. Wie glaubst du, wird sich die Gemeinde entwickeln: Mentalitätsmäßig, aber auch von den Schwerpunkten her?Entscheidend ist: Wird eine Gemeinde aufbrechen? Wird sie über eine Spendenfinanzierung Leute anstellen für bestimmte Sachen, die sie wichtig findet oder wird es nur ein Stöhnen darüber geben, dass „die da oben“ alles kaputt machen und uns die Stellen wegnehmen? Wenn Gemeinden Spielräume entdecken und mit Spenden und Fördermitteln Menschen in Haupt- und Nebenamt anstellen können, werden sich natürlich Schwerpunkte entwickeln. Wir haben gerade einmal lautstark darüber nachgedacht, einen diakonischen Schwerpunkt zu bilden und eine „Schwester Agnes“ (Gemeindediakonie) anzustellen. Dann hätten wir ein nachbarschafltlich-diakonisches Profil in Ausbildung. Dann wird sich Gemeinde um diese Arbeit herum entwickeln. All das lässt sich mit den Zahlen der Statistik nicht vorhersagen. Wenn jetzt eine Gemeinde auf dich zukommt und sagt: Herr Stahl, das sieht ja bedrohlich aus und wir machen uns entsprechend Sorgen, wie alles wird. Was können wir denn jetzt machen? Was würdest du den Leuten sagen?Ich würde sagen: Lasst uns einmal genau draufschauen, was bei euch gerade passiert und wofür ihr nichts könnt. Wir können ziemlich genau sagen, dass zum Beispiel Sachsen, wo ich lebe, fast flächendeckend schrumpft. Solche Sachen muss man sehen und darauf muss man sich einstellen. Es gibt viel, dass wir zunächst einmal akzeptieren müssen. Es liegt meistens nicht daran, dass Menschen zu faul sind. Eher im Gegenteil: Man kämpft auf wenig fruchtbaren Boden mit hohen Einsätzen. Das müsste man sich vor Ort dann anschauen, weil es für die Einschätzung solcher Sachen kein allgemeines Rezept gibt. Wie sieht das bei dir aus?Meine Kommune wird vermutlich gegen den Trend etwas wachsen. Also wirds hier Kinder- und Jugendarbeit geben müssen. Die Kinderbetreuungseinrichtungen werden nicht reichen und schon habe ich eine Möglichkeit, über Kindergärten in diakonischer oder christlicher Trägerschaft nachzudenken für die Zeit bis 2040. Es ist wichtig, zu fragen: Was sind die großen Dynamiken? Wo sind wir im Raum? Wie sind aktuellen Berechnungen? Darüber ist man schnell mit den Leuten in der Kommune und dem Landratsamt im Gespräch. Das nächste ist, die Entwicklung der Mitarbeiter im Kopf zu haben. Wen haben wir denn? Wer geht in Ruhestand? Dann schaue ich mir die Demografie der Kirchengemeinde an. Realistisch gesehen ist die Jugend nicht „unsere Zukunft“. Die Jugend wird aus den Dörfern weggehen. Das ist für uns eine geistliche Herausforderung. Und zu welcher Erkenntnis kommst du da?Realistisch gesehen ist die Jugend nicht „unsere Zukunft“. Die Jugend wird aus den Dörfern weggehen. Das ist für uns eine geistliche Herausforderung. Denn wir müssen Kinder- und Jugendarbeit so machen, dass die Jugendlichen geistlich fit sind, wenn sie gehen. Und wir müssen sie gehen lassen – mit gutem Gepäck! Und wir gewöhnen uns mehr und mehr an, in unsere Nachbarschaften zu schauen: Wer wohnt denn bei uns, wer ist mit uns im Alltag unterwegs? Wenn ich die Nachbarschaften wahrnehme, dann habe ich die Aufgabe, unsere Angebote so zu gestalten, dass wir uns nicht dafür schämen —, sondern dass wir gerne darüber reden, dass es schön ist, dass man die Leute mitbringen kann. Es ist noch besser, zu den Nachbarn hinzugehen und fragend wahrzunehmen: Was braucht das Dorf? Ab dann wird unsere Regionalentwicklung missionarisch-sozialraumorientiert. Es gibt für uns als Gemeinde da immer genug zu tun. Deswegen ist die Frage entscheidend: „Wozu sagen wir als Gemeinde ‚ja‘? Und was lassen wir für den Augenblick sein?“ Dieses Austarieren und Entscheiden ist für mich ein geistlicher Prozess. Wenn wir das umsetzen, wird etwas passieren … Was ist deine Einschätzung, was Menschen denken, woran sie etwas tun könnten, aber in Wirklichkeit können sie nichts daran tun? Und umgekehrt: Gibt es etwas, wo die Leute meinten „Aber dann können wir doch eh nichts ändern!“, aber sie können doch etwas tun?Fangen wir mit den Pfarrstellen an. Die Aufgabe der Personalentwicklung und Personalwerbung liegt beim Landeskirchenamt. Bei der Besetzung von Pfarrstellen erleben die Gemeinden erstmal eine große Abhängigkeit. Da kann man wenig bis nichts tun, außer mit seiner Ausschreibung wirklich verlockend zu sein — oder auch Pfarrerinnen und Pfarrer persönlich anzusprechen. Wir haben es aber in der Hand, mit dem Lektoren- und Prädikantendienst gute Leute vor Ort stark zu machen und sie nicht nur als Lückenfüller einzusetzen. Die Jubelkonfirmation bei uns wurde dieses Jahr von Prädikanten ausgestaltet und die Rückmeldungen waren super. Wenn wir vor Ort Schulungen anbieten, kriegen wir als Gemeinde sofort die Ergebnisse und sind weniger abhängig von entfernten Entscheidungsprozessen über Personal. Veranstaltungen sind toll und haben ihren Wert, aber wenn die vorgelagerte Beziehungsarbeit fehlt, wird es oft frustrierend. Das betrifft den Pfarrdienst, wie schätzt du es in den Gemeinden ein?Als Gemeinde sind wir gut in Beziehungsarbeit, das müssen wir nutzen. In Beziehungsarbeit können wir extrem viel leisten und kreativ werden. Wir denken auch viel zu oft von Veranstaltungsformaten her, wo, zugespitzt gesagt, doch bitte alle schön kommen sollten. Veranstaltungen sind toll und haben ihren Wert, aber wenn die vorgelagerte Beziehungsarbeit fehlt, wird es oft frustrierend. Du bist Experte für den Pfarrdienst. Was bedeutet das, was du jetzt gesagt hast, für die Zukunft des Pfarrberufs?An dunklen Tagen befürchte ich, dass der Pfarrdienst 2040 zu 70 Prozent in Verwaltungsvorgängen feststecken wird. Dabei bräuchten Hauptamtliche dringend mehr Zeit, um gemeinsam mit der Gemeinde in Beziehungsarbeit nach außen zu investieren. Was sollte die Pfarrperson einer Gemeinde mit ausgedünnten Strukturen denn nach innen, in die Gemeinde, verstärkt tun?Es wird darum gehen, mehr Menschen zuzurüsten, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich finde, dass die am besten theologisch ausgebildeten Mitarbeitenden mit dieser Stärke eingesetzt werden, dass sie für theologische Bildung und Zurüstung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – auch ehrenamtlichen und nebenamtlichen – zuständig sind. Die Verkündigung übernehmen sie nicht mehr allein, sondern in einer regiolokalen Zeugnis- und Dienstgemeinschaft. Das ist es, warum es die Kirche gibt. Alles andere ist Gestaltungsmasse. Was meinst Du mit ‚Gestaltungsmasse‘?Der Begriff ist nicht schön. Aber vielleicht brauche ich den, um die Wichtigkeit aller Traditionen in meinem Kopf einmal infrage zu stellen. Mir geht es dabei um die Frage: Braucht jede Gemeinde ihr Archiv und pflegt es liebevoll nach Vorschrift oder können wir das abgeben? Ich denke, dass alles, was wir haben, unserer Berufung als Gemeinde dienen muss. Wir sind nicht das kulturelle Gedächtnis einer Region. Mir leuchtet es nicht ein, Museum zu sein. Gleichzeitig können wir alles, was wir haben, für unsere Berufung und unseren Auftrag nutzen. Ich würde immer sagen: Lass uns schauen, was vor Ort sinnvoll und möglich ist. Die Gemeindeleitung muss Entscheidungsprozesse ermöglichen und darauf dringen, zu sagen: „Was können wir leisten, ohne dass irgendjemand dafür über seine Belastungsgrenze gehen muss?“ Bei der letzten Reform sind bei uns für die Verwaltungsmitarbeiterinnen hier ohne Stundenerhöhung einfach zwei Friedhöfe zu den zwei vorhandenen dazugekommen. Die Belastung steigt. Wir müssen also Verwaltungsanlässe reduzieren, das ist unsere Leitungsaufgabe. Wir brauchen ein „ja“ zu wenigen Dingen und ein tapferes „nein“ für so vieles. Dr. Benjamin Stahl ist Landpfarrer im ostsächsischen Großharthau. Er war Mitarbeiter am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung. Die Fragen stellte Dr. Carsten Brall. Dieser Artikel ist im kirchlichen Ideenmagazin 3E erschienen. 3E gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag. The post Quo Vadis: Kirche auf dem Land appeared first on Jesus.de.

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