Social Distancing als Spiel

..oder was mich im Supermarkt zum lächeln bringt Zwei Personengruppen kristallisieren sich für mich in der aktuellen Corona-Krise mit ihrer Kontaktsperrengesetzgebung im alltäglichen Leben. Die eine Gruppe hat Angst und nimmt die Situation zu ernst, wird mürrischer und dadurch noch gestresster und nervöser. Die andere Gruppe strahlt übertriebene Freundlichkeit aus und versucht den gesellschaftlichen Mangel von Höflichkeit und Miteinander wieder auszugleichen, indem sie am Fenster sing und klatscht, positive Bilder auf Facebook teilt, alles vor der Webcam zelebriert und auf einmal wieder mit sonst nie beachteten Sozialkontakten chattet. Dies wirkt dabei für die andere Gruppe sicher nur wieder viel zu heiter und ist teilweise darunter sicher genauso nervös und gestresst wie die andere Gruppe. Ich gehöre zwar irgendwie zur zweiten Gruppe, möchte euch nur gern mein Geheimnis verraten, wie ich mit der Situation klarkomme, lächle und trotzdem innere Ruhe bewahren kann. Dieses Spiel ist real Ich denke von mir, dass ich nicht gut darin bin, Mimik oder Gestik zu interpretieren. Oder verhältnismäßig viel wert darauf lege, was andere von mir und meinem Auftreten halten. In Wirklichkeit liegt mir aber immer viel daran mich möglichst akkurat zu verhalten. Was auch immer ich halt gerade unter akkurat verstehen mag. Ich gehe zum Beispiel nur bei grün über die Ampel, wenn ich ein Kind sehe. Erwachsenen traue ich zu, mein Handeln wie auch immer sie wollen zu bewerten und nicht wie Lemminge hinter mir herzulaufen. Wer wäre schon so blöd und geht bei Grün über die Ampel ohne auf den Verkehr zu achten.. Ich gehöre also zu den anarchistischen Rebellen der 5-Euro-Bußgeld-Fraktion. Bei aktuell bis zu 25.000 Euro Strafe nehme ich die aktuellen Regeln aber ernster und bewahre mir trotzdem meine kleinen Freiheiten. Außerdem habe ich mir wichtige Menschen aus möglichen Risikiogruppen um mich. Daher spiele ich in meinem Kopf gerade ein sehr reales Spiel. Phantasie im Kopf ist (noch) erlaubt Im normalen Leben gehöre ich zur Sorte Mensch die gerne grüßt, Guten Morgen zum Nachbarn sagt, die Verkäuferin kurz bei der Paypack-Punkte-Fragerei in einen Smalltalk verwickelt um ihr ein Lächeln zu entlocken, oder der die Tür aufhält, ganz egal ob es nun für den gerade übervorteilten schwachen alten weißen Mann Alltagssexismus ist oder nicht. Ich stehe halt voll auf fremde Höflichkeit. Sie lässt mich menschlich fühlen. Aber ich bemerke ja auch andere Menschen. Im normalen Leben gibt es im täglichen Supermarktkrieg ja auch die, die in der Einkaufsschlange hinter mir mit dem Füßen tippeln, weil sie durch den Smalltalk ein paar Sekunden länger warten müssen, die bei einer neu geöffneten Kasse sofort Einkaufswagenscooter spielen oder jedes Gemüse erstmal anstupsen müssen um zu gucken ob es ihren Ansprüchen genügt. (via erzählmirnix) Um normalerweise die Situation in Supermärkten oder anderen für mich anstrengenden öffentlichen Räumen erträglich zu machen, gehe ich durch mein Leben mit der Ansicht, dass es ein Mehrspieler-Spiel ist, mit vielen NPCs (Nicht-Spieler-Charaktern) und wenigen anderen realen Spielern. Das habe ich übrigens bereits gemacht, bevor es das NPC-Meme gab. Das Verhalten dieser NPCs kann auf einfache Reiz-Reaktionsmuster heruntergebrochen werden, von denen natürlich kein Mensch befreit ist. Aber mit richtig krassen NPCs kann man halt viel Spaß haben. Früher hätte man diese Menschen „Mitläufer“, „Schafe“ oder „(ideologisch) Verblendete“ genannt. Menschen, die folgende Eigenschaften erfüllen, werden von mir gern erstmal in die Kategorie der NPCs geschubladet: Sie übernehmen Meinungen, Argumente und Äußerungen anderer ungefragt. Sie hinterfragen Meinungen, Argumente, Fakten und Äußerungen nicht. Innere wie äußere Widersprüche ignorieren sie. Ihnen fehlt moralische Ambivalenz. Ihre Haltung ist stark einseitig. Sie bauen bewusst keine Empathie für ihr Gegenüber auf und wollen deren Position nicht verstehen. Corona hat meine Weltsicht gestärkt Ich selber habe leider eine ziemliche Schwäche was aufbauen von Empathie angeht, habe aber dafür eine echt tolle Regel gefunden: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Goldene Regel Die oben genannten Verhaltensmuster sind in der aktuellen Ausnahmesituation durch COVID-19 gewachsen. Wir Menschen sind Herdentiere und Gruppendenken und Mitläuferdenken ist ein elementarer Teil der menschlichen Psyche. Durch die Kontaktsperre und die uns abverlangten Verhaltensmuster werden alltägliche Dinge des gesunden Menschenverstandes aber gerade zu einer neuen Staatsdoktrin erhoben und die NPCs bäumen sich auf die neuen Verteidiger dieser Realität zu werden. (via erzählmirnix) Klar: Teil einer Gruppe zu sein, gibt Sicherheit und erhöht die Überlebenschancen – das wußten schon die Menschen in der Steinzeit. Dieses Denken ist tief verankert in der menschlichen Psyche. Und die aktuelle Situation schafft ein erstes in Echtzeit stattfindendes globales Kollektivgruppenereignis. Wenn man es denn so sehen mag. Uns westlichen Menschen wurde aber in den letzten Jahrzehnten auch ein hoher Individualismus und Egoismus antrainiert. Herdenverhalten ist nicht mehr primär ein Schutz für die Herde, sondern vor allem im Bewusstsein für den persönlichen Schutz geeignet. Wenn ich ein Teil einer Gruppe bin, bin ich stark. Unabhängig ob ich die Gruppe durch mein Verhalten stärke. Und wer eine Gruppedenke hinterfragt, muss damit rechnen schnell ausgegrenzt oder kritisiert zu werden. Das Spiel zeigt den Charakter Habe ich nun also gerade bei meiner aktuellen Einkaufstour zum Supermarkt einen Vertreter der sehr mürrischen, der sehr distanzlosen, oder der sehr ich-bezogenen Fraktion in meinem näheren Umfeld, also die Menschen die im normalen Alltag sich nach drei Millisekunden durch Hupen bemerkbar machen, dass die Ampel grün ist, ohne dass sie gesehen haben, dass jemand wie ich gerade noch die Straße überquert, habe ich vor meinem inneren Auge eine Art imaginärer Linie die er nicht überschreiten darf. Hier endete der Text den ich runtergeschrieben hatte. Der Beitrag Social Distancing als Spiel erschien zuerst auf Torben Friedrich.

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