Visuelle Qualität bei nonfiktionalen Formaten

Auf dem CiNECongress 2024 widmete sich ein hochkarätig besetztes Panel der Frage „Muss Reportage hässlich sein?“ Miteinander diskutierten Walter Demonte, Abteilungsleiter und Chefkameramann beim Westdeutschen Rundfunk sowie Geschäftsführer des Deutscher Kamerapreises und Jan Mammey, Teamleiter EB-Kamera und Kameramann beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig. Jan Mammey ist außerdem zweifacher Preisträger in Folge in der Kategorie „Journalistische Kurzformate“ beim Deutschen Kamerapreis. Moderiert wurde das 45-minütige Gespräch von „Film & TV Kamera“-Chefredakteur Uwe Agnes. Lesen Sie heute den zweiten Teil des Gesprächs! Foto: Sven Kubeile Thema Look und Erzählform: Du hast zweimal in Folge den Deutschen Kamerapreis gewonnen für zwei Reportagen, die inhaltlich ziemlich nah beineinander liegen: „Lieber verstrahlt als im Krieg? – Neuanfang in Tschernobyl“ und „Verseucht und vergiftet – Gefahr an der polnischen Weichsel“. Kannst du beschreiben, wie du den Look entwickelt hast und ob es – du hast eben den Begriff „Kampf um Bilder“ verwendet – tatsächlich ein Kampf war, das durchzusetzen? Jan Mammey: Bei beiden Filmen ging es darum, etwas sichtbar werden zu lassen, das man nicht sehen kann. In Tschernobyl ging es um einen verstrahlten Landstrich. Wir wissen alle, was in Tschernobyl in den 1980er Jahren passiert ist, und das ist natürlich immer noch ein Stück weit da. Wir haben dort eine Reportage gedreht über zwei Menschen, die dorthin zurückgehen und versucht haben, sich anzusiedeln und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen. Das waren traumatisierte Menschen aus dem Donbass und aus der Nähe von Luhansk, wo 2021 schon gekämpft wurde. Bei dem anderen Film, den du angesprochen hast, da ging es um Gift, das im Boden ist und das man auch nicht sehen kann. Hier war dann beides Mal die Herausforderung, Bilder zu finden, die diese nicht sichtbare Bedrohung transportieren, die vielleicht eine Dunkelheit, aber trotzdem eine Klarheit haben. Die Jury beim Deutschen Kamerapreis hat da wunderbare Worte gefunden, die mir gar nicht einfallen würden, weil ich eher mit Bildern arbeite als mit Worten. „Ein dunkles Leuchten“, so haben sie es genannt. Das fand ich einen schönen Begriff, den ich mir gerne merken würde: ein dunkles Leuchten. Der Weg zu diesen Bildern hin, die Idee, wie diese Bilder aussehen müssen, kam relativ schnell vor Ort. Das kann man sich vorher nicht ausdenken, das kann man erst vor Ort. Man muss die Atmosphäre dort auch erst mal durch sich durchdringen lassen und schauen, was das mit einem macht. Deswegen braucht man auch Zeit vor Ort. Die Zeit, die wir durch Vorgespräche und bessere Abstimmung im Vorfeld sparen, dürfen wir nicht durch total effizientes Arbeiten vor Ort wieder kaputtmachen. Wir müssen uns Zeit nehmen. Ich finde das ganz, ganz wichtig. Wir müssen uns einlassen auf unsere Protagonist:innen und natürlich auf die Stimmung und die Situation vor Ort. Die ist nun mal anders als da, wo wir herkommen. Es hat dann ein paar Tage gedauert und dann entstand die Idee, wie diese Bilder aussehen müssen. Beim zweiten Mal war es dann ein bisschen einfacher, weil ich schon darauf zurückgreifen konnte. Es waren zwei verschiedene Autoren oder Autorinnen und ich hatte vorher mit beiden noch nie in Langformat gedreht. Zum Glück haben sie aber nach zwei, drei Tagen gemerkt haben, dass es läuft. Aber es war immer schon auch so, dass dieser Kampf … Ich weiß nicht – ich finde das Wort vielleicht doch ein bisschen zu martialisch – aber diese Auseinandersetzung, diese Diskussionen, dieses Deutlichmachen von Positionen, Wünschen und wo es hingehen soll, hat schon immer sehr viel Kraft gekostet. Nur ein Beispiel: Ich war mir mit meinem tollen Assistenten völlig darüber einig, dass wir morgens um sechs aufstehen, um im frühesten Morgenlicht Bilder drehen zu können, die eine gewisse Stimmung transportieren, die eben anders ist als um 12 Uhr mittags. Es war aber schwer verständlich zu machen, warum man das möchte. Wir haben das dann eben einfach alleine gemacht und sind halt zu zweit früh aufgestanden, losgezogen, haben zwei Stunden lang Bilder gesammelt und uns um 9 Uhr zum Frühstück getroffen. Jan Mammey, zweifacher Gewinner beim Deutschen Kamerapreis, berichtete von seinem täglichen Kampf um die Bilder. (Foto: Sven Kubeile) Das war auch okay, aber das muss man erklären, und dann erntet man Kopfschütteln und Unverständnis. Warum machen die das? Sind die durchgedreht? Man kann doch mal ausschlafen! Man hat doch jetzt nicht gleich den ersten Termin mit den ersten Protagonisten! Aber mir macht das Spaß. Ich finde das ein tolles Arbeiten und komme auch mit Material zurück, worüber ich mich richtig freue, wenn es im Film verwendet wurde – was noch einmal eine andere Frage ist, denn auf den Schnitt haben wir ja als Kameraleute sehr wenig Einfluss bei solchen Produktionen. Walter Demonte: Ich finde, du hast sehr schön definiert, was man unter „Dreh mal Reportage!“ verstehen kann. Das ist eben nicht schmutzig oder eine bewegte Kamera, sondern es geht darum, sich auf den Inhalt, auf ein Ereignis einlassen. Das ist für mich das Wesen der Reportage. Ich folge den Protagonisten und dem, was um sie herum passiert. Wenn ich dem keinen Raum gebe, dann kann ich keine Reportage machen. Wenn ich nicht bereit bin, auch ein Stück weit zu leiten und mal früh aufzustehen, dann kann ich auch keine Reportage machen, weil ich nicht nah an den Leuten dran sein kann und weil ich nicht nachzeich- nen kann, was sie erleben und was ihre Inhalte sind. Wenn das frühe Aufstehen am Drehort nicht hundertprozentig verstanden worden ist, muss man für Autorinnen und Autoren nicht bildsprachliche Erziehung betreiben, damit grundsätzlich ein Verständnis dafür entsteht, dass gute Bilder nicht nur durch korrekte Kadrierung und die richtige Optik und die richtige Belichtung entstehen, sondern auch ein großer Teil der der Projektplanung sind: Wann drehe ich was? Jan Mammey: Auf jeden Fall! So etwas wie einen Drehplan sollte es geben. Den wird es in den meisten Fällen auch geben, aber er wird sich häufig nicht daran orientieren, wann du wo deine besten Bilder machen kannst. Jan Mammey: Genau das ist es ja. Diesen Drehplan möchte ich nicht erst im Flugzeug oder im Auto zum Drehort bekommen, sondern den muss es deutlich vorher geben. Dann möchte ich mir den anschauen und gemeinsam mit der Autorin oder mit dem Autor darüber sprechen. „Schau mal, du hast hier Außenaufnahmen geplant um die Mittagszeit und davor am Morgen ein gesetztes Interview in dem Innenraum. Können wir das nicht umdrehen und die Außenaufnahmen früher machen und danach, wenn die Sonne hoch steht, das Interview im Haus machen?“ Das ist nur ein ganz einfaches Beispiel. In der Regel trifft das ja auch auf Verständnis und die Leute sind auch dankbar, weil sie das gar nicht bedacht haben, weil ja wir schließlich die Fachkräfte für Bildgestaltung sind. Wir lesen so einen Drehplan ganz anders als eine Autorin oder ein Autor. Die Qualität der Bilder ist ja auch nicht nur deshalb wichtig, weil wir gerne schöne Bilder ansehen, sondern auch, weil das, was in Reportagen an Inhalten vermittelt wird, wichtig ist. Das ist ja Teil des Auftrags, den ihr als im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tätige habt. Walter Demonte: Das kann ich nur komplett unterstreichen. Es ist letztendlich der Anspruch an alle Beteiligten, diese Bilder so einzigartig und so stark wie möglich zu machen. Letztendlich ist es unsere Aufgabe, Geschichten zu erzählen, die herausstechen, die zu finden sind und die Emotionen wecken, denn das, was die Menschen an einer Geschicte festhält, ist letztendlich die Emotion – und natürlich der Inhalt. Beides muss perfekt zueinander passen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist dieser Wechsel schon heftig, weil wir es über Jahrzehnte gewohnt waren, dass eine Redaktion sich etwas ausdenkt und sagt, wir wissen schon, was die Menschen draußen sich aus diesen Bildern herausziehen wollen. So viel Konkurrenz haben wir auch nicht, denn wir sind ja die großen Sendeanstalten. Das hat sich komplett geändert. Wir bieten unsere Geschichten jetzt auf dem Markt der Bilder, auf digitalen Plattformen an. Dort müssen sie funktionieren, wirken und gut sein. Das ist der Anspruch. Das Panel wurde von „Film & TV Kamera“-Chefredakteur Uwe Agnes moderiert. (Foto: Sven Kubeile) Welche Möglichkeiten gibt es, diesen Anspruch dann tatsächlich auch durchzusetzen? Walter Demonte: Also bei uns im Haus fängt das neuerdings damit an, dass wir uns in einem Prozess zusammen mit der Programmplanung unter der Flagge „Angebotssteuerung“ Gedanken darüber machen, was wir überhaupt entwickeln und auf den Plattformen und im Programm platzieren wollen. Das heißt: Nicht alle Projekte haben die gleiche Priorität. In dieser Steuerung, was wir, wo, wann und vor allen Dingen mit welchem Aufwand machen wollen, wird letztendlich auch der Produktionsrahmen definiert. Es wird entschieden: Das ist ein Projekt, das wir auf der Startseite der ARD- und ZDF-Mediathek haben wollen. Das soll beispielsweise zum Thema Ukraine tragen und das statten wir mit Kapazität aus, mit eigener Produktionskapazität, mit den entsprechenden Teams, die wir dafür zusammenstellen und das entsprechende Geld bereitstellen, weil das Projekt einen Value haben soll, so dass es aus den anderen Produktionen heraussticht. Das passiert heute schon, ist aber ein mühsamer Prozess. Denn die Konsequenz daraus ist: Das, was wir dort investieren, fehlt anderen. Bei all dem müsst ihr euch ja mit den Streamern messen, woher auch viele Dokumentar-Kameraleute ihre Inspiration beziehen. Jan Mammey: Das ist auf jeden Fall eine Quelle der Inspiration und dort wird auch ein Anspruch definiert, an dem man sich natürlich orientiert, ob man das nun will oder nicht. Ich persönlich mache das ganz gerne so, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber die Streamer sind da, sie sind sehr erfolgreich und sie nehmen uns natürlich Marktanteile. Wir kämpfen darum und das ist auch gut. Aber ich möchte noch ganz kurz einen Schritt zurückgehen. Du hattest vorhin die Wichtigkeit dessen, was wir tun, angesprochen und ich finde das schon noch mal bemerkenswert. Vielleicht bin ich ein bisschen oldschool oder romantisch, aber ja, ich finde Reportagen wichtig. Ich mache das ja nicht, weil es mich mal zufällig irgendwohin getrieben hat, sondern tatsächlich aus Überzeugung. Ich finde, wir haben einen Auftrag und dieser Auftrag ist, die Leute zu informieren. Das machen wir, angefangen bei den Nachrichten über die erweiterten Nachrichtenformate bis zu den Reportagen über 30, 45 und mehr Minuten, um ein komplexes Thema in einer komplexer werdenden Welt tiefer und breiter erklären zu können und ein Stück weit zu informieren und aufzuklären, den Horizont zu erweitern. Ich glaube daran, dass das wichtig ist. Deswegen finde ich auch die Bilder wichtig, weil ich glaube, dass gute Bilder, schöne Bilder oder auch einfach nur zum Inhalt passende Bilder, die aus der Masse herausstechen, dazu beitragen können, dass Inhalte und Informationen bei den Zuschauern wirken können und haften bleiben. [15464]

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Muss Reportage hässlich sein?

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