Wahnsinn, WWOOFer und Wunder - Sommer 2016 bei den Ackerperlen

"Fliegen und Freunde kommen im Sommer. Das ist eine deutsche Redewendung, nicht mehr sehr gngig, aber sie gibt die Eckpunkte unseres Sommers ganz gut wieder. Nach unserem Unfall waren wir auf Freunde angewiesen - und sie kamen, einige zunchst als WWOOFer verkleidet. Da war zum Beispiel Franziska aus dem Schwabenland. Sie kam im Juni als WWOOFerin zu uns und war schlicht ein Goldschatz! Patent und tatkrftig sprang die gelernte Erzieherin in die Lcke, die ich durch meinen Ausfall gerissen hatte. Mit gebrochenem Fu war ich ein Totalausfall. Sechs Wochen durfte ich das Bein gar nicht belasten, an Krcken hinkte ich durchs Haus, konnte deswegen nichts tragen, natrlich auch nicht Autofahren, ich konnte einfach nichts machen - nicht schn, wenn um dich herum so viel zu tun ist. // Ganz unntz war ich dann aber doch nicht. Denn immerhin konnte ich mit einer Fliegenklatsche Fliegen ermorden. Denn wir wurden in diesem Sommer auch noch von einer Fliegenplage biblischen Ausmaes heimgesucht - als wenn so ein Unfall als Prfung nicht reicht. Woher die kleinen Plagegeister kamen? Vom Schafstall gegenber. Dort hat der Stadtschfer im Sommer immer wieder Schafe - ja, Hamburg hat einen Stadtschfer, dessen Schafe das Gras der Deiche kurzhalten. In diesem Sommer war es nun offensichtlich ntig geworden, den Schafstall einmal grndlich zu subern. Dem Ausma der Fliegenplage nach, muss es ein wahrer Augiasstall gewesen sein, denn wir wurden ber Wochen belagert. Einzige Mglichkeit zu berleben? Zurckschlagen. Ich wei, dass ich damit jede Menge schlechtes Karma auf mich gezogen habe, aber wir hatten keine Wahl. Und weil der Teufel ja immer auf den grten Haufen scheit, wurde im Sommer in unserer Kche auch noch eine ganze Wand weggerissen - gut, sie drohte, umzukippen. Die Hoffnung, dass das irgendwie mit Kaugummi und Tesa zu flicken ist, zerstob und so wurden uns von einem Tag auf den anderen Herd, Splmaschine und Wasser abgebaut und abgeklemmt. Geschirr, Vorrte, Mbel, alles musste raus. // Die Kche ist der wichtigste Raum im Haus. In der Tat, das haben wir die nchsten Wochen schmerzlich erfahren. Und natrlich dauerte diese Baustelle auch wieder viele Wochen und nicht, wie angekndigt, anderthalb. Komisch, dass es ausgerechnet beim Handwerk normal ist, sich nicht an Termine zu halten. Wo wir Deutschen doch immer so stolz sind, alles so przise zu erledigen. Als nach sechs Wochen die Kche endlich wieder eingebaut war, waren wir dem Wahnsinn nahe: stndig etwas suchen, immer ber Kisten steigen, immer in Minimalausfhrung kochen und keinen Esstisch haben - das ist schon herausfordernd. Zumal, wenn sich jeden Samstag der Garten mit Menschen fllt, die unseren "Offenen Garten" gerne nutzen, um unser wunderbares Gemse zu erwerben und danach Kaffee und Kuchen zu genieen. // Denn ja, bei allem Irrsinn, der um uns herum tobte, lief ja unser Ackerperlen-Projekt weiter. Der Offene Garten etablierte sich zusehends und es kamen samstags regelmig interessante und interessierte Menschen, die entweder zufllig durch unsere Schilder herbeigelockt worden waren oder die das Wachsen unseres Projekts schon eine Weile wohlwollend verfolgten und nun mal mit eigenen Augen schauen wollten. Was machst du, wenn du in solcher Lage keine Kche hast? Improvisieren! Darin waren wir ja - auch durch die Weltreise - gebt. Gebacken wurde bei Nachbarn oder Bekannten, Kaffee und Tee lassen sich ja ganz gut auch auerhalb der Kche brauen, abgewaschen wurde in der Badewanne, gekocht auf einem Campingkocher, und gegessen im Wohnzimmer auf dem Fuboden. Scheinbar ist uns das nicht schlecht gelungen: Eine Ausflugsgruppe der Altonale, die eine Hoffhrung mit anschlieender Verkstigung bei uns gebucht hatte, waren trotz der unorthodoxen Umstnde von Hof und Essen begeistert. // Und auch auf unseren Lndereien wuchsen fleiig Salate, Bohnen, Mangold, Zucchini, Rondini, Krbis, Schnittlauch, Radieschen, Petersilie, Lauchzwiebeln, essbare Blten und Rote Bete - wenn sie denn von den ekelhaften Nacktschnecken gelassen wurden. Ja, unser Schneckenproblem war nach wie vor verheerend. Laufenten mussten her, das hatten wir noch vor unserem Unfall beschlossen. Jetzt hatte ich die Tiere in einem spontanen Anfall von Schneckenhass bei dem Vater einer Freundin aus Kindertagen nachgefragt. Dass er sie dann zwei Tage spter auch schon vorbei bringen wollte, war nicht geplant, aber auch nicht mehr abzubiegen. So kamen die Enten an einem Samstag, dem Tag, der durch den Offenen Garten, Wildkruterspaziergang und Tu-Dir-Gutes-Workshop immer besonders arbeitsreich ist. Zustzlich mussten wir auch noch den Bauwagen herrichten, denn unser nchster WWOOFer Ruben sollte dort am selben Tag auch noch einziehen. // Nimm Hilfe an, wenn sie dir angeboten wird - das haben wir sptestens seit der Weltreise verinnerlicht. Und so waren wir einfach dankbar, dass Alex Vater mithalf, einen Stall zu zaubern, der dann auch 10 Minuten vor Beginn des Offenen Gartens fertig wurde. Jetzt schnell die Enten in den Stall, da mussten sie zwecks Eingewhnung ohnehin bleiben, Wasser und ein bisschen Futter hinein - fertig. Was die Tiere auerdem brauchen wrden, wie es vor allem gelingt, dass sie die Schnecken fressen, den Salat aber nicht - das waren Fragen, auf die wir in den nchsten Tagen und Wochen Antworten fanden. Wir sind schon immer groe Fans vom learning by doing gewesen, auerdem wei Google alles. // Und so wchst du eben mit deinen Herausforderungen. Und die Enten auch. Zunchst akklimatisierten sich die nervsen Geschpfe im Stall und bekamen ihre Schnecken - und ausschlielich Schnecken, damit sie auf den Geschmack kommen - in ihr Gehege gebracht. Nach ein paar Tagen gab es ersten Ausgang und abends eine Schale H#xFC;hnerfutter in den Stall. Sie lernten schnell, dass es zur Bett-geh-Zeit Leckerli gibt und fanden sich brav ein. Nur manchmal gab es besorgte Anrufe von netten Nachbarn: Die Enten sind am Briefkasten! Drfen sie das? Bis jetzt sind sie immer wieder gekommen, nach getanem Gemse-Rettungswerk, jeden Tag ein bisschen gelassener. Kurz nach den Enten kam Ruben aus Australien als nchster WWOOFer zu uns und er war der nchste Engel, der unsere Zeit nach dem Unfall ertrglich machte. Mit ungeheurer Gelassenheit stellte er sich den eigenartigen Umstnden in unserem Haus und brachte mit seiner unglaublichen Ausgeglichenheit und Freundlichkeit weitere Ruhe in unser Durcheinander. Es war wirklich wundersam, wir mussten nur denken, dass wir bei irgendeinem Problem gern Untersttzung htten und schon war Ruben zur Stelle und fragte, was er helfen knne. Es ist wirklich bedauerlich, dass er weiterzog, bevor unser Haus wieder in sein normales Aussehen zurckgewann. // Im Juli kam dann Alexander aus sterreich zu uns. Fr elf Wochen hatte sich der gelernte Grtner bei uns angemeldet und war fortan Alex professionelle rechte Hand ein Segen, denn endlich konnte Alex grtnerische Fragen mit jemandem besprechen, der sich in dem Metier richtig auskennt. Alexander ist mit seinen 19 Jahren ein wandelndes Lexikon. Und weil wir unseren gerade gegrndeten Betrieb in so guten Hnden wussten, trauten wir uns sogar, ernsthaft an einen Sommerurlaub zu denken. Verrckt, oder? Mitten im Sommer, wo sich der Bauer eigentlich vor Arbeit nicht retten kann. Doch drei Wochen sterreich erschien uns nach allem Unglck der letzten Wochen angemessen. Alex musste dringend wieder zu Krften kommen. Und ich brauchte fr meinen Fu sowieso immer noch Extra-Zeit. // Jetzt galt es Untersttzung fr Alexander zu finden, vor allen Dingen brauchten wir jemanden, der oder die unseren Offenen Garten bernehmen wrde. Und wieder einmal fgte sich alles in unserem Sinne: Unsere Freundin Tine, eine begnadete Bckerin, bot an, bei uns kurzzeitig einzuziehen und in unserer Abwesenheit fr groartige Kuchen zu sorgen. Auerdem beglckten uns Anfang August Sara aus Dnemark und Asoko aus Japan, die als weitere WWOOFerinnen zusammen mit Alexander die Sommer-Aushilfs-Ackerperlen waren. Sie ernteten das Gemse fr die Abo-Kisten, bewirteten beim Offenen Garten und belieferten auerdem das Caf Entenwerder, das Alex kurz vor unserer Abreise noch als Kunden gewinnen konnte. // Mit dem neuen Restaurant Entenwerder 1 auf dem Ponton in Entenwerder hatten wir begeisterte Enthusiasten entdeckt, die ebenso wie wir Wert legen auf Qualitt und Regionalitt und die wissen, dass Produkte, die in der Saison gewachsen und geerntet werden, einfach besser schmecken. Probiert es mal aus. In Entenwerder findet ihr regelmig Gerichte, die aus unserem Gemse gekocht werden. Ganz toll fr uns ist auch die Mglichkeit, dort regelmig und prominent Kisten mit unserem frisch geerntetem Gemse aufzustellen, aus denen sich die Gste von Entenwerder 1 gegen Spende bedienen knnen. Das ist eine schne Werbung fr uns und ein wichtiger Multiplikator. // So gut aufgestellt wagten wir uns im August tatschlich nach sterreich. Drei herrliche Wochen konnten wir den Sommer genieen, in glasklaren Seen baden, uns an den sterreichischen Kstlichkeiten laben und unsere Wunden lecken. // Wir begegneten alten Bekannten wieder, die wir am Ende unserer Weltreise zuletzt getroffen hatten. Eine rztin zum Beispiel, die sich seit einem Jahr in der Flchtlingshilfe engagiert. Wir trafen durch sie eine Syrerin mit ihrer Tochter, die ihr eigenes Leben und das ihrer Tochter mit knapper Not retten konnte und sich nun groe Sorgen um ihre zweite Tochter machte, die noch immer im Kriegsgebiet war. Wie absurd muss ihr diese berheile und satte Welt in sterreich vorgekommen sein. Vielleicht aber war es auch Balsam auf ihre geschundene Seele. Vor solchen Schicksalen fhlen sich unsere Abenteuer und Wagnisse doch immer sehr klein und abgesichert an. Wir lernten neue Leute kennen - und wieder durften wir unfassbare Hilfsbereitschaft und Untersttzung erfahren. Der Physiotherapeut, der uns und unsere Unfallschden behandelte, war von unserem Weg so beeindruckt, dass er seine Rechnung gegen einen zuknftigen Urlaub in unserem noch zu renovierenden Bauwagen tauschte. Wir sind wirklich gesegnet. Autorin: Petra Schild

Netz: Lokales Bio-Gemüse für Hamburg - Ackerperlen
Aktualisiert: 20.6.2023

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