Der bosnische Serbenführer Milorad Dodik als Sargnagel für eine EU-Perspektive Bosnien-Herzegowinas?

Artikel als PDF herunterladen Nicht erst seit diesem Sommer erweist der Präsident der Republika Srpska (RS), namentlich Milorad Dodik, dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina (BiH) einen Bärendienst. Zuvor war er längere Zeit Mitglied des 3‑köpfigen Staatspräsidiums und zeitweise auch Vorsitzender dieses Gremiums. Zur Erinnerung: Bosnien-Herzegowina hat am 15. Februar 2016 die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) offiziell beantragt. Seit dem 15. Dezember 2022 hat der kleine Balkanstaat den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Dennoch scheint Dodik davon völlig unbeirrt als langer Arm serbischer Nationalisten und Moskaus zu fungieren, der die territoriale Integrität Bosniens-Herzegowinas in deren Sinne offen infrage stellt. Damit treibt der bosnisch-serbische Separatist einen Keil zwischen der RS und der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH). Diesmal ist der Stein des Anstoßes das bosnische Verfassungsgericht, dessen Entscheidungen die politische Führung der RS in Gestalt von Milorad Dodik auf ihrem Territorium nicht mehr länger bereit gewesen ist, gelten zu lassen. Auch der derzeitige Hohe Repräsentant (HR) der internationalen Gemeinschaft für BiH, der CSU-Politiker Christian Schmidt, wurde kurzerhand für illegitim erklärt. Dieser aber leistete Widerstand aufgrund seiner umfassenden Befugnisse vor dem Hintergrund von zwei verfassungsgefährdenden Entscheidungen, die er von Amts wegen für nichtig erklären kann. So kam es zur Aufhebung von Beschlüssen des RS-Parlaments sowie zur Androhung von Strafen vonseiten Schmidts. Wie nicht anders zu erwarten war, ließ sich Hardliner Dodik davon nicht einschüchtern, sondern argumentierte seinerseits mit der (vermeintlichen) Rechtswidrigkeit der Entscheidungen des HR. Hieraus resultiert sowohl für die Vereinten Nationen (VN) als auch für die EU ein nicht zu unterschätzendes Problem, weil der Präsident der RS die Autorität des HR dahin gehend unterminiert, dass dieser Schmidt sozusagen den Zugang zum Gliedstaat der RS verweigert. Auf symbolischer Ebene wird damit gleichzeitig die Autorität der VN und der EU angegriffen. Die Krise in BiH als vorläufiger Höhepunkt eines lang anhaltenden Machtkampfs Auch wenn die aktuelle Krisenepisode lediglich eine Fortsetzung der bisherigen Unabhängigkeitsbestrebungen der RS darstellt, gibt es durchaus Unterschiede zu früheren Krisen (s. hierzu u. im Folgenden Vulović, Krise in Bosnien-Herzegowina, SWP, „Kurz gesagt“ v. 25.07.2023). Dies sollte ein Weckruf für Europa bzw. die EU sein. Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine, der nun schon seit dem 24. Februar 2022 brutal wütet, hat auch Einfluss auf politische Entscheidungen der RS. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass je länger dieser Abnutzungskrieg dauert und je stärker dieser von russischer Seite vorangetrieben wird, desto mehr dürfte Präsident Dodik sich darum bemühen, die Leidensfähigkeit westlicher Staaten hinsichtlich seiner separatistischen Politik auf die Probe zu stellen. Es ist jedoch zu konstatieren, dass die sogenannten Bonner Befugnisse, sprich die durchaus umfassenden Amtsvollmachten des HR, und die US-Sanktionspolitik gegenüber Milorad Dodik sich bis heute als wirkungslos herausgestellt haben. Letztgenannter scheut sogar nicht davor zurück, den HR von der RS auszuschließen, um ihn auf diese Weise in die Schranken zu weisen, was das Ergreifen polizeilicher Maßnahmen dort anbelangt. Das hat natürlich entsprechenden Einfluss auf eine effektive Durchsetzung von Schmidts Entscheidungen in der serbischen Entität in BiH. Das Europäische Parlament (EP) hat zuletzt versucht, den Rat der EU dazu zu bewegen, Sanktionen gegen Präsident Dodik auf den Weg zu bringen. Eine gewisse Hoffnung besteht nun darin, dass die ökonomische und politische Abhängigkeit Bosniens dazu führt, dass EU-Sanktionen wirksamer sein könnten als diejenigen vonseiten der USA. Dies würde allerdings voraussetzen, dass der Westen als Ganzes glaubhaft vermitteln kann, dass er willens und in der Lage ist, eine angemessene Antwort in Bezug auf die Entschlossenheit westlicher Staaten auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu geben. Dann dürfte die Wahrscheinlichkeit deutlich höher sein, dass ein Einlenken Dodiks doch noch erfolgt. Anderenfalls würde ein Nichthandeln dazu führen, dass sich der serbische RS-Präsident weiterhin sicher fühlt und unbeeindruckt bleibt. Insofern ist auch die weitere Entwicklung in der Ukraine richtungsweisend für das Verhalten russlandfreundlicher Staatenlenker. Aber auch die unmittelbare Nachbarschaft der RS und ihre Instabilität wirken auf die Verhältnisse in BiH ein und begünstigen bestimmte (negative) Entwicklungen dort. Im Nordkosovo ist seit Mai 2023 ein erhöhtes Aufkommen von Unruhen festzustellen und ein Ende nicht in Sicht. Marina Vulović von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) weist zu Recht auf die altbekannte Schwäche der EU hin, die sich wieder einmal darin äußert, dass es ihr an der notwendigen Durchsetzungskraft fehlt. So könnte die EU als Vermittler zwischen dem Kosovo und der Republik Serbien fungieren. Schließlich muss der Konflikt zwischen beiden Ländern unbedingt gelöst werden. Dies ist auch für Bosnien essenziell, da die Gefahr besteht, dass der Konflikt zwischen Pristina und Belgrad dorthin überschwappen könnte. Einer solchen Entwicklung gilt es Vorschub zu leisten. Das Zünglein an der Waage in einer krisenhaften Situation Die EU ist gefordert, sich stärker in die „inneren Angelegenheiten“ der RS unter Präsident Milorad Dodik einzumischen. Den Luxus einer „Kultur der Zurückhaltung“ kann sich die Union nicht mehr länger leisten – nicht nur in Sicherheitsfragen in Bezug auf Russland und China, sondern auch im Hinblick auf die europäische Nachbarschaft. Insbesondere dann nicht, wenn Brüssel es wirklich ernst meint mit der Integration der Westbalkanstaaten in die EU. Reine Symbolpolitik bringt am Ende niemandem etwas. Eine ausgewogene und kohärente EU-Sanktionspolitik könnte ein wirkmächtiger Hebel sein, um Dodik empfindlich zu treffen und nachhaltig zu beeindrucken. Hinzu kommen sollte, dass Brüssel eine Vermittlerrolle wahrnimmt für einen vertrauensbildenden Dialog zwischen der kosovarischen und der serbischen Seite. Dadurch würde die längst überfällige Deeskalation im Norden des Kosovos vonstattengehen können. Jeglichen separatistischen Bestrebungen würde dadurch der Wind aus den Segeln genommen. Nur so kann der Balkan schrittweise endlich zur Ruhe kommen.

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