Wismar maritim: Zu Besuch in einer Hansestadt mit reichem maritimen Erbe

Wismar ist immer eine Reise wert, denn die Stadt kann nicht nur, aber auch mit großen und kleinen Schiffen aller Art punkten. Das Herz Wismars ist der Alte Hafen. Erstmalig urkundlich erwähnt Anfang des 13. Jahrhunderts, verhalf er Wismar vor allem auf dem Höhepunkt der Hanse im 14. und 15. Jahrhundert zu Reichtum und Bekanntheit weit über den Ostseeraum hinaus. Klaus Störtebeker soll in Wismar geboren worden sein, bewiesen ist dies freilich nicht. Nach der Besetzung Wismars durch schwedische Truppen während des Dreißigjährigen Krieges diente der Alte Hafen als Liegeplatz für die schwedische Kriegsflotte, in der Folge verlor das Hafenbecken zwischen Wassertor und Baumhaus an Bedeutung. Wer heute hier entlang flaniert, kommt an Fischkuttern mit „Außer-Haus-Verkauf“ und den Hafenrundfahrtschiffen der Reederei Adler vorbei. Die wahren maritimen Attraktionen muss man, zumindest in der Nebensaison, ein wenig suchen. Foto: Kai Ortel WISSEMARA – die Poeler Kogge Fast am Ende des Altens Hafens steht das Baumhaus. Nein, kein Abenteuerspielplatz für Kinder in der Astgabel einer alten Eiche, sondern ein denkmalgeschütztes Backsteingebäude aus dem 18. Jahrhundert. „Baumhaus“, weil der Alte Hafen seinerzeit jeden Abend mit einem Schlagbaum (und einer Kette) abgeriegelt wurde, um Piraten und andere unerwünschte Besucher von den Kais und Toren der Stadt fernzuhalten. Seit 2018 hat der Förderverein „Poeler Kogge“ e. V. in den frisch renovierten Räumlichkeiten seinen Sitz und präsentiert darin eine gelungene Dauerausstellung mit Einblicken in die Geschichte Wismars und der Hanse sowie in den Bau besagter Poeler Kogge. 1997 fand man nordwestlich von Timmendorf ein historisches Wrack, das man zunächst für eine Hansekogge aus dem 14. Jahrhundert hielt. Spätere Untersuchungen hielten dieser Vermutung nicht stand, was jedoch in Wismar niemanden daran hinderte, unter Verwendung historischer Holzbearbeitungsmethoden einen von dem Wrack inspirierten Nachbau anzufertigen, der 2006 unter dem Namen WISSEMARA seine Jungfernfahrt antrat. Interessierte können die Kogge seitdem im Alten Hafen Wismars besichtigen, im Sommer unternimmt sie Hafenrundfahrten und Segeltörns bis zur Insel Poel und zurück. Foto: Kai Ortel Der Lotsenschoner ATALANTA Ungleich jüngeren Datums, dafür aber authentischer, ist der Lotsenschoner ATALANTA, der den Winter im Werfthafen verbringt, in den Sommermonaten aber ebenfalls in den Alten Hafen verholt und für Rundfahrten genutzt wird. Ende des 19. Jahrhunderts dienten Lotsenschoner wie die damalige CUXHAVEN in der Deutschen Bucht dem Übersetzen der Seelotsen auf die großen Windjammer, ehe sie in den 1920er Jahren durch dampfbetriebene Lotsenboote ersetzt wurden. Aus der 1901 gebauten CUXHAVEN wurde nach ihrer aktiven Zeit erst eine Privatyacht, dann ein Schulschiff und schließlich ein halbes Wrack, ehe sich 1994 ein weiterer Förderverein des Schiffes annahm. Nach knapp achtjähriger Restaurierung gehört der Zweimast-Gaffelschoner ATALANTA seit 2002 rund um den Alten Hafen Wismars zum Stadtbild. Ihr Schwesterschiff ist übrigens die 2019 durch eine spektakuläre Havarie mit einem Containerschiff vor Stadersand bekannt gewordene No. 5 ELBE. Kreuzfahrtschiffe Auch Kreuzfahrtschiffe laufen Wismar seit Jahren regelmäßig an, wobei sich die Saison längst nicht mehr nur auf die Sommermonate Juni bis August beschränkt. Allerdings steht Wismar traditionell im Schatten der beiden anderen großen deutschen Kreuzfahrthäfen an der Ostseeküste, Kiel und Warnemünde. Außerdem können nur Schiffe mit maximal 8 Metern Tiefgang den Seehafen Wismar anlaufen, so dass vor allem kleine und mittelgroße Kreuzfahrer die Hansestadt in ihren Routenplänen führen. Nachdem die Anzahl an Schiffsanläufen 2019 auf 9 zurückgegangen war, liegt sie 2020 wieder bei 13. Vor allem Phoenix Reisen und Cruise & Maritime Voyages (CMV) kommen mit ihren Schiffsklassikern regelmäßig nach Wismar, wobei die MARCO POLO von CMV eine besondere Verbindung zu Stadt und Hafen hat. Sie ist 1965 als ALEKSANDR PUSHKIN auf der damaligen Mathias-Thesen-Werft (MTW) gebaut worden und kehrt somit fast jedes Jahr an ihre „Geburtsstätte“ zurück. Das 2012 gegründete Columbus Cruise Center Wismar (CCCW) ist ein Joint-Venture zwischen der Columbus Cruise Center Bremerhaven GmbH und der Seehafen Wismar GmbH und verantwortlich für die Vermarktung Wismars als Kreuzfahrtdestination. Foto: Kai Ortel Die SUPERSTAR LIBRA Wenn Sie einen Tag erwischen, an dem kein Kreuzfahrtschiff Wismar besucht, dann gehen Sie einfach am Alten Hafen vorbei, biegen rechts in den Schiffbauerdamm ein, und schon stehen Sie vor den riesigen Aufbauten der SUPERSTAR LIBRA, einem Kreuzfahrtschiff, das dauerhaft in Wismar festgemacht hat. 2018 hatte das 1988 als SEAWARD in Finnland gebaute Schiff als Kreuzfahrer bei Star Cruises ausgedient, allerdings hatte ihr Eigner Genting Hongkong kurz vorher die angeschlagenen Werften in Wismar und Warnemünde übernommen. Und da Hotelkapazitäten in Werftnähe knapp waren, verholte Genting die ausgemusterte SUPERSTAR LIBRA nach Wismar, um sie dort als Wohnschiff für Werftarbeiter und Zulieferer einzusetzen. Nach einer ausgedehnten Werftzeit in der Dockhalle von MV Werften wurde sie im Juni 2019 mit Dalben-Schlössern am Werftkai (Pier 5) festgemacht. Im November zogen dann die ersten Arbeiter an Bord ein, und da MV Werften aktuell nicht nur ein einziges großes Kreuzfahrtschiff für Genting baut, sonder bis 2024 gleich vier, ist die Zukunft der SUPERSTAR LIBRA in der Hansestadt vorerst gesichert. Womit Wismar übrigens der einzige deutsche Hafen ist, in dem man ganzjährig ein großes Passagierschiff bestaunen kann. Nur besichtigen darf man es leider nicht – ein hoher Zaun trennt die Promenade am Westhafen vom Gelände von MV Werften. Foto: Kai Ortel MV Werften und die GLOBAL DREAM 2016 hatte Genting Hongkong bekanntgegeben, nicht weniger als zehn Kreuzfahrtschiffe in Deutschland bauen zu lassen – acht für Crystal Cruises (vier Fluss- und vier Expeditionskreuzfahrtschiffe) und zwei weitere, die „Global Class“, für Star Cruises. Noch im selben Jahr formte Genting den Werftenverbund „MV Werften“ und nahm für 100 Mio. € den Bau einer neuen Paneel-Linie, einer eigenen Fabrik zur Fertigung von Kabinenmodulen und einer neuen überdachten Sektionsbauhalle in Angriff. Der Bau der GLOBAL DREAM, des ersten Schiffes der Global Class, sollte dabei an zwei Standorten gleichzeitig erfolgen. Die große Mittschiffssektion wurde in Warnemünde gefertigt und am 22.11. 2019 nach Wismar geschleppt, dort erfolgt seitdem hinter den verschlossenen Türen der Dockhalle die Zusammensetzung mit den vor Ort gefertigten übrigen Sektionen. Im weiteren Verlauf dieses Jahres soll die GLOBAL DREAM am kürzlich sanierten Kai 4 endausgerüstet werden, wobei sie mit ihren Dimensionen dann selbst die SUPERSTAR LIBRA mühelos in den Schatten stellen wird: Mit 342 Metern Länge, 46 Metern Breite und einer Kapazität für 5.000 (maximal 9.500) Passagiere gehört die GLOBAL DREAM bei ihrer Indienststellung zu den größten Schiffen ihrer Art weltweit. Die Ablieferung ist für Anfang 2021 vorgesehen. Foto: Kai Ortel Das Radisson Park Inn Einen Vorgeschmack auf das neue Kreuzfahrtschiff bekommt man praktisch gleich nebenan: Im „Park Inn by Radisson“-Hotel im Alten Holzhafen finden die Gäste statt Hotelzimmern die gleichen Kabinen vor, wie sie bei MV Werften in den Schiffen der „Global Class“ verbaut werden. Die Radisson Hospitality AB betreibt das Hotel im Rahmen eines Franchise-Vertrages, genau genommen ist es jedoch ein weiterer Teil des Engagements der Genting-Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern. Es dient vor allem Geschäftspartnern, Schiffsoffizieren und Ingenieuren von MV Werften als Unterkunft, kann aber natürlich auch von Touristen gebucht werden. Das Hotel (98 Zimmer bzw. Kabinen) ist in der gehobenen Mittelklasse angesiedelt und verfügt über ein Restaurant, zwei Konferenzräume, eine Bar sowie eine Lounge mit Blick auf den Wismarer Hafen. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft kann man von dort aus auch das Auslaufen der GLOBAL DREAM beobachten. Ein weiterer Meilenstein in der reichen maritimen Geschichte Wismars. Foto: Kai Ortel Das Phantechnikum Noch ein Stück hinter den Dockhallen von MV Werften liegt das Phantechnikum, ein Technikmuseum zum Anfassen, auf dem auf 3.000 Quadratmetern Fläche beeindruckende Exponate und zahlreiche Experimente zum Schauen und Mitmachen einladen. Besonders interessant für maritim Interessierte: eine Dauerausstellung über die FRITZ HECKERT, das zweite Kreuzfahrtschiff des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB neben der VÖLKERFREUNDSCHAFT. 1960 war die FRITZ HECKERT auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar gebaut worden; 198 Reisen unternahm sie unter DDR-Flagge, ehe sie, von technischen wie politischen Problemen geplagt, bereits 1972 außer Dienst gestellt werden musste. Noch bis zum 03.05.2020 lädt die Ausstellung über das Schiff im Phantechnikum ein, wobei zahlreiche Exponate, Fotografien sowie Film- und Tondokumente nicht nur die FRITZ HECKERT, sondern auch die VÖLKERFREUNDSCHAFT und den DDR-Alltag auf See lebendig werden lassen. Entstanden ist die Ausstellung in Zusammenarbeit mit Zeitzeugen des Schiffes und des FDGB-Urlaubsbetriebs. Foto: Kai Ortel

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